laut.de-Kritik
Die Legende genießt ihre Narrenfreiheit.
Review von Martin MengeleWenn man bedenkt, was für ein Aufsehen um die Vorgängeralben "Dummy" und "Portishead" (zurecht) gemacht wurde, so sind die Erwartungen nach einer derartig langen Pause natürlich riesig. Aber brauchen wir überhaupt ein neues Portishead-Album? Warum verlangt der Verstand immer nach Fortsetzungen? Im portugiesischen Prolog zu "Silence" findet man die Antworten:
"Du kannst nur gewinnen, was du verdienst."
Die Frage muss also - mit gewisser Arroganz - anders lauten: Sind wir denn eines neuen Portishead-Albums überhaupt würdig? Eine Grundschwere, die im Oeuvre dieser Band mitschwingt, ist bis in die Gegenwart zu spüren. Als hätten sie damals 1994 mit "Dummy" eine riesige Stimmgabel angeschlagen, die heute noch in der selben dunklen Frequenz vibriert. Und wie damals ist diese Schwingung auch jetzt keineswegs out of style - die Elegie hat mehr denn je Konjunktur. Die Parameter zum Erfolg sind die selben, nur scheint es jetzt schwieriger, nach Avantgarde zu klingen.
Es scheint, als habe man genau daran die letzten elf Jahre gefeilt. Dabei hat man sich nicht nur Exerzitien hingegeben oder sich wie ein Eremit allein von Tau und Flechten ernährt. Auch wenn ein derartiges Werk sicher ein gehöriges Maß an Insichgekehrtsein erfordert, ist eben jetzt genau der richtige Zeitpunkt, damit an die Öffentlichkeit zu treten. Jetzt, wo sich inzwischen so viel angestaut hat, wo man einfach gar nicht mehr anders kann, als mit dem Innersten nach Außen zu treten. Und es scheint weder zu früh noch zu spät für einen solchen Schritt.
Das große P hat sich weder den Zwängen des Kommerz ergeben, noch seiner Experimentierfreude entsagt. Da finden sich z.B. sperrige Versuche der Gibbons im Duo mit einer kleinen Ukulele im Song "Deep Water". Ein derart minimalistisch-schräger Track hätte in dieser Gestalt nie seinen Platz auf dem Album gefunden, genösse die Band nicht inzwischen eine gewisse Narrenfreiheit der Industrie gegenüber.
Dieser kurze Titel fungiert als fragile Überleitung in das couragierte "Machine Gun". Ein total untypischer Song, der aber die Portishead'sche Unbehaglichkeit in dramatischer Präzision bis auf die Spitze treibt, um am Ende wie ein wirrer Captain Future auf einem Lasergewitter in ein schwarzes Loch hinauszusurfen.
Diese apokalyptischen Beats haben schon knapp ein halbes Jahr vor dem Release von "Third" auf dem All Tomorrow's Parties Festival gestandene Fans total verstört zurückgelassen. Via Youtube wurde per Handymitschnitt wenig später globale Verwirrung ausgelöst. Aus der Gerüchteküche brodelten Begriffe wie "Techno", "Industrial" und "Hardcore" herüber - kurz: Portishead seien jetzt nicht mehr Trip Hop!
Nein, vielmehr noch: Bei "Small" und auch bei "Threads" sind sie vorwiegend Krautrock und klingen nach Amon Düül II oder Deep Purples "Child In Time". Mit "We Carry On" zollen sie ihren Tribut an Joy Divisions "She's Lost Control" und schmiegen sich eng an aktuelle Trends.
Man merkt, dass die drei aus Bristol auch heute noch hungrig sind und sich keiner Kategorisierung unterwerfen wollen. Sie öffnen sich den verschiedensten Strömungen und erschaffen dadurch solche Juwelen wie "The Rip". Eine schwermütige Ballade, in der die Gibbons weiße Rösser herauf beschwört, sie fortzutragen. Synonym dazu der in Trance versetzte Synthiebass, der den Song in sanften Wogen mit sich davon schwemmt. Klingt wie ein Kraftwerk-Remix, der leider viel zu früh ausgefadet wird.
Portishead hinterlassen immer noch das Gefühl, den kompletten Score eines Film Noir ohne die dazugehörigen Bilder erlebt zu haben, mit dem eindeutigen Vorteil, dass sich eben diese individuell in jedem selbst formen. Die Songs sind auch im 21. Jahrhundert tüftlerisch und zeugen von einer besonderen Besessenheit.
Wo so viel unaufdringliche Liebe zum Detail und Hingabe in die Erschaffung von neuem Hörgenuss eingeflossen ist, da vergehen auch weitere elf Jahre zur nächsten Fortsetzung wie ein Fingerschnippen. Aber wollen wir's mal nicht heraufbeschwören ...
136 Kommentare
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must have, freu mich tierisch.
Wird wohl sehr ungewohnt für frühere Portishead Anhänger. Der Artikel in der Visions macht mich tierisch neugierig. Es wohl wohl sehr sperrig und verstörend zugehen. Kalt, härter, Gitarren, Noise. Wohl weg vom klassischen Trip Hop Sound.
Das ist Absicht. Aber so sind sie, die Portishead... er. Kaum gefällt ein Song, vermiesen sie's einem wieder .
Deshalb liebe ich Portishead. Das Ende von Threads find ich aber noch ´nen Tick fieser.
hätte zwar einen eigenen thread verdient, aber egal...
geoff barrow bringt dieser tage ein album seines projekts "beak>" raus.
im vergleich zu "third" wirkt das album ungleich schwerer zugänglich, 'abstrakter'. erinnert mitunter an die alten krautrock-tage...
wird deswegen auch nicht denselben anklang finden wie "third".
nichtsdestotrotz ein gutes album...
album-stream:
http://beak.bandcamp.com/
(anspieltipps: "blackwell", "ham green", "battery point", "blagdon lake"...)