laut.de-Kritik

Miss "Goldfinger" ist und bleibt einfach der Hammer.

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Sie eröffnete drei Bond-Filme, jetzt legt Shirley Bassey mit fast ihr Abschiedsalbum vor: "I Owe It All To You". Einem großen Pop-Publikum kam die Künstlerin zuletzt 1998 mit dem tollen Drum'n'Bass-Track "History Repeating" näher. Sie machte immer weiter Musik, und auch jetzt gelingt ihr ein fetter Paukenschlag mit Nachhall. Drei Mal ohne Orchester, auf allen weiteren Tracks mit.

Mit jeder Kehlkopfschwingung schält Shirley Bassey akribisch die Bedeutung des Songtexts von "Who Wants To Live Forever" aus dem Queen-Oldie heraus. "There's no chance for us / It's all decided for us": Dass wir sterben müssen, steht genauso unausweichlich fest, wie der Umstand, dass jede Liebe an ihr Ende stößt, "Who dares to love forever / When love must die?" – "Wer wagt es ewig zu lieben / Wenn die Liebe sterben muss?" Klingt so poetisch wie absolut. Formuliert hatte den dick auftragenden Text Brian May.

Die resolute Stimme Basseys passt gut dazu. Einst fand man ihre zweite Tochter im Alter von 21 tot durch einen Fluss in Bristol treiben; womöglich schwingt solch eine Erfahrung beim Interpretieren der Nummer mit, sie geht jedenfalls unter die Haut. Shirley Bassey interpretierte das Ereignis damals öffentlich als Unfall und legte somit ihr Verhältnis zum Tod offen. Was das Queen-Beispiel vor allem zeigt: Auf dieser Platte geht es vor allem darum, Songs, die es schon perfekt gab, noch perfekter zu machen.

Bassey, für alle, die sie nicht (bewusst) kennen, eignete sie sich stets bestens für cineastischen Orchestersound. An ihr muss sich Billie Eilish jetzt messen. Bassey hatte im Genre '007-Titelsong' bei Bond Nummer Drei, Sieben und Elf die doppelte Ebene verankert: Das Schlüpfrige des verführungsanfälligen Spions, zugleich das Skrupellose von Bonds Gegenspielern, beide Aspekte in einer Stimme. Von ihrem Reiz hat diese Stimme 2020 kein Quantum eingebüßt: Die erfahrene Entertainerin pflegt ihre Stärke im Leisen, Subtilen, in den bewussten Betonungen und in der dunklen Stimmfarbe. Punktuell aber bricht sie sehr wirkungsvoll ins Laute und Explosive aus. Die Raubkatze auf zarten Pfoten.

Wenn ihr dann mal zwischendrin, so wie in der neuen Aufnahme "Adagio", doch eine intensiv geträllerte Line beiläufig rauszurutschen scheint, dann demonstriert sie, wo die wirklich erschütternden Momente stattfinden. Und beweist ihre persönliche Opern-Kompetenz. Gelernt hat sie dieses Handwerk nie, und womöglich wirkt sie auch auf dieser letzten Platte genau deshalb so souverän. Weil sie sich in ihren amateurhaften, mitunter heiseren, rauen Stil nie hineinreden ließ. So soulig und gleichwohl rockig wie im rasanten "Look But Don't Touch" dürfte sie auf einer Opernbühne natürlich nie losröhren.

Mit "I Don't Know What Love Is" hat sie sich einen Song aus der Feder von Lady Gaga und Willie Nelsons Sohn Lukas geangelt. Die Nummer ist die jüngste der Kollektion, das wohl einzig brauchbare Stück des "A Star Is Born"-Soundtracks; was ich mir damals schon wünschte, dass er expressiver dargeboten würde, erfüllt Shirley Bassey hier.

Pathos lockert Bassey mit dem zurückhaltend, still und besinnlich vorgetragenen "I Was Here" ebenso auf wie mit schmissigen Stücken. "I Was Here" vertritt den modernen R'n'B und den Anfang des 20. Jahrhunderts, entrückt das Stück dem Beyoncé-Kosmos und klingt dabei sehr persönlich. Kein Zugeständnis an den Zeitgeist, sondern der stärkste Moment der Platte!

"You Ain't Heard Nothing Yet", "Look But Don't Touch" und "Almost Like Being In Love" ziehen vergleichsweise vom Leder. Es sind für sie essenzielle Stücke, anders ließe sich das scheinbar willkürliche Puzzle aus so vielen Phasen der Pophistorie kaum zusammensetzen. Im Einzelnen findet sich da Easy Listening der 60er ("Maybe This Time" der Musical-Autoren Kander/Ebb, später auch ein Film-Hit). Außerdem: Ein Jazz-Standard aus der Nachkriegszeit 1947, das berühmte "Almost Like Being In Love" (Nat King Cole, Frank Sinatra, Charlie Parker, Sonny Rollins, um nur ein paar zu nennen). Bassey baute den Evergreen über die Jahrzehnte hinweg gerne in Live-Medleys ein.

Das neo-barocke "Adagio" mit Wurzeln im 18. Jahrhundert ist das älteste Stück, dagegen wurde der Titeltrack "I Owe It All To You" eigens für das Album verfasst, ebenso wie das feurige "Look But Don't Touch" und "You Ain't Heard Nothing Yet", auch eine schöne Nummer). "Always On My Mind" kennt man zwar von den Pet Shop Boys, war aber vorher schon eine Elvis-Nummer (sic!) und gleichwohl ein Country-Hit und auch ein Soul-Classic. Flexibel, wie der Song sich so in die Genres einfügte, zaubert Bassey tiefe Ruhe und Kontemplation aus ihm heraus.

Ebenso aus den 70ern stammt John Miles Orchesterklassiker "Music", der das Album würdig abrundet, ohne die gesamten sechs Minuten Pomp aufzufahren. Er wird knapp, dafür bombastisch angespielt, und das muss reichen. Denn es ist eindeutig und klar: Wenn jemand glaubhaft den Text "Music was my first love / (...) Music of the future and music of the past / To live without my music / would be impossible to do" verkörpert, dann ganz eindeutig Shirley, nachdem man diese fulminante Platte gehört hat.

Da müsste so ein i-Pünktchen wie das honigsüße, tief melancholische "Smile" aus der sarkastischen Triebfeder Charlie Chaplins gar nicht mehr sein, das der Komiker für seinen systemkritischen Filmklassiker "Modern Times" 1936 schrieb. Aber Bassey ohne Kinoklassiker ginge einfach nicht. Miss "Goldfinger" ist und bleibt einfach der Hammer.

Trackliste

  1. 1. Overture
  2. 2. Who Wants To Live Forever
  3. 3. I Owe It All To You
  4. 4. Almost Like Being In Love
  5. 5. Maybe This Time
  6. 6. I Made It Through The Rain
  7. 7. Adagio
  8. 8. Look But Don't Touch
  9. 9. Smile
  10. 10. You Ain't Heard Nothing Yet
  11. 11. I Don't Know What Love Is
  12. 12. Always On My Mind
  13. 13. I Was Here
  14. 14. Music

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2 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    "Formuliert hatte den dick auftragenden Text Brian May."
    Dick aufgetragen ist der Text vielleicht im Kontext eines Normalsterblichen - als Teil des Soundtracks für den Film Highlander, der vom Leben Unsterblicher handelt, ergibt der Text durchaus einen Sinn. Dass "wir" sterben müssen, stimmt dort eben nicht - der Tod der Liebe ergibt sich aus dem Tod des sterblichen Partners des unsterblichen Protagonisten (bzw. in dem konkreten Fall seines Mentors Ramirez).

  • Vor 3 Jahren

    Ich fürchte fast, dass Leute, die Elvishören (oder auch nur die alten Pet Shop Boys) nicht eben zu den Stammlesern von laut.de gehören. Beides schade!

    • Vor 3 Jahren

      @JRole:
      Ich hab' jetzt in den AGBs nix davon gelesen, daß man sich mit Zutritt auf die Seite dazu verpflichtet, Elvis Presley, Shirley Bassey oder anderen Interpreten abzuschwören ...?
      Gruß
      Skywise

    • Vor 3 Jahren

      ...und das ist echt eine Schweinerei. Den jüngeren Ereignissen hier Rechnung tragend fordere ich, dass man sich verpflichtet, Onkelz, Deutschpop (ich weiß, ist dasselbe) und K-Pop abzuschwören. Dazu Schlager & Rap.

      Betroffene Parteien dürfen gerne in der ancient cave Zuflucht finden. Garret und das Walross sind freundliche Gastgeber.