laut.de-Kritik

Ihr Penis ist größer als der des Teufels.

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Der einfachste Weg, einen Autor oder eine Autorin so richtig zu sabotieren, ist Lob. Guckt in die Schreibwerkstätten des Landes, es ist ein wohldokumentiertes Phänomen: Wenn jemand ein paar mal zu oft gesagt bekommt, eine richtig geile Schreibe zu haben, dann haben sie auf einmal einen Affen im Ohr, genau diesem Urteil entsprechen zu wollen. Und je proaktiver und energischer jemand versucht, 'gut' zu schreiben, desto wahrscheinlicher ist, dass gezierter, überdrehter Müll herauskommt. Es ist eine elementare Fähigkeit in der Kunst, die eigene Cool Aid nicht zu sehr zu trinken. Taylor Swift hat ihre eigene Cool Aid getrunken. Eimerweise.

Das große Problem war "Folklore". "Folklore" war ein sehr gutes Album, das Taylor Swift für einen kurzen Augenblick aus all ihren Unsicherheiten gerissen hat. Für einen Moment war sie nicht mehr die Teen-Girl-Flüsterin, die trotz monolithischem Erfolg von den coolen Artists nur belächelt wurde. Sie war ein Auteur. Leute haben sie ernsthaft mit Bob Dylan verglichen. Sie war eine Kurzgeschichten-Schreiberin. Eine Charakterstudien-Zeichnerin. Sie war der Artist, der sie als 19-Jähriger Anglistik-Erstie, der sie nie war, so gern gewesen wäre. Und dieses High wird sie jetzt für immer chasen.

Die Selbstzuschreibung eines Showgirls klingt besser als die eines "Tortured Poet", von daher sah es kurz so aus, als würde "The Life Of A Showgirl" besser ausfallen als "The Tortured Poet's Department". Auch Schwedenpop-ICBM Max Martin an den Beats klang vielversprechender als zum tausendsten Mal Jack und Aaron. Und immerhin gibt sie sich wieder mit popmusikalischen Nebensächlichkeiten wie Melodien, Refrains oder irgendeinem Level an Kuration ab. Vielen, vielen Dank. Das war nötig.

Es fängt auch gar nicht furchtbar an. "The Fate Of Ophelia" ist ein sweeter Liebessong darüber, endlich den Richtigen gefunden zu haben (ein Motiv, das noch öfter auftaucht). Aber weil das nicht reicht, wird er schwerfällig in eine Shakespeare-Referenz gewickelt. Auch ihr früher Karrierehöhepunkt "Love Story" war ein simpler Liebessong, der sich ein bisschen in Shakespeare-Sprache verhebt. Aber dessen 'wir sind wie Romeo und Julia omg' nimmt etwas, das natürlich in unserer kulturellen Vorstellung existiert, und arbeitet mit sehr viel Self-Awareness um die Naivität und Albernheit dieses Tagtraums.

Witzigerweise entsteht genau durch diese Self-Awareness der jovialen Naivität eine bittersüße und melancholische Note, die den Song trägt. Die moderne Taylor setzt eins drauf, indem sie die gifttote Ophelia aus Hamlet heraufbeschwört, deren Leben und Ableben zwar überhaupt nichts damit zu tun hat, dass ein Popstar jetzt einen Footballer heiratet - aber immerhin klingt es smart. Da ist gar keine Synergie, kein Mut zur Verwundbarkeit. Es ist einfach nur auf eine relativ unbeeindruckende Art prätentiös. Es ist ein simples In-Den-Raum-Werfen von Weltliteratur, um dann im Grunde überhaupt nicht damit zu arbeiten. Es ist ein bisschen so, als wenn ein Teenage-Boy dich damit beeindrucken will, Pink Floyd zu hören.

Trotzdem gibt die erste Hälfte die besseren Songs her. "Elizabeth Taylor" schwelgt in einer ähnlichen Old Hollywood-Ästhetik wie schon "Welcome To New York", dieses mal aber bitter und paranoid. Das macht Laune, der Refrain ist stark. Der erste Part auf "Eldest Daughter" unterfüttert diese Paranoia mit dem textlich wohl ehrlichsten Moment des Albums: "Everybody's so punk on the internet / Everyone's unbothered 'til they're not / Every joke's just trolling and memes / Sad as it seems, apathy is hot". Bitte, danke, sag einfach, was du denkst, Taylor. Die Leute im Internet sind gemein und das ist scheiße. Fühle ich! Fühlt jeder! Dass sogar der größte Popstar der Welt von dieser schroffen Untouchable-Kultur gehetzt ist, das ist irgendwie schön zu hören. Wenn sie sagt "But I'm not a bad bitch, and this isn't savage", dann checkt man, was sie meint. Es ist quasi eine direktere und ergo bessere Version der "everybody's a sexy baby"-Line auf "Midnights".

Apropos: Ich muss leider festhalten, dass Max Martin Clickbait war. Ich weiß nicht, wie das gelaufen ist; ob immer, wenn Max einen zu grellen Synth bauen oder das Tempo über 95 drehen wollte, sie fuchtelnd in den Raum gerannt ist, um 'Halt, Halt, Halt, jetzt wollen wir hier aber mal nicht durchdrehen' zu schreien? Auf jeden Fall bekommen wir mehr von diesen Neon-surrenden Midtempo-Semiballaden, die für Taylor wohl das Epitom von guter Musik geworden sind. Leider beginnt daraufhin eine wirklich ungünstige Reihe an herben Fehlschlägen.

"Father Figure" klingt, als sei sie schwer neidisch auf Lana. Das ist nicht nue, da Lana auf dem Tumblr-Thron sitzt, den Taylor seit vielen Jahren anvisiert. Sehr oft auf diesem Album und besonders auf diesem Track versucht sie sich an einer spezifischen Melange: Subtil-drakonische Poesie, in die im genau richtigen Moment ein Stück Alltagssprache zur ironischen Brechung führt. Wenn Lana das macht, kommen Lines wie "Goddamn manchild, you fucked me so good that I almost said I love you" heraus. Taylor schreibt auf "Father Figure" hingegen Sachen wie: "I'll be your father figure / I drink that brown liquor / I can make deals with the devil because my dick's bigger". Nein! Aus!

Dazu ganz kurz: Taylor oszilliert so hilflos zwischen diesen beiden Polen. Wenn sie lyrisch schreiben will, geht sie in blumig-überzeichnete Purple Prose wie das hier auf "Opalite" über: "You were dancing through the lightning strikes / Sleepless in the onyx night / But now the sky is opalite" (denn wir wissen alle, nichts ist poetischer, als Klischees in die größtmöglichen Synonyme zu heben). Und dann bricht sie es mit Blödsinn wie dem hier: "Keep it one hundrеd on the land, the sea, thе sky / Pledge allegiance to your hands, your team, your vibes" ("The Life Of Ophelia", wir erinnern uns, das hier ist ihre Shakespeare-Referenz). Es klingt alles laboriert und unnatürlich.

Der wirkliche Tiefpunkt des Albums ist "Actually Romantic". Das ist ihr Charli XCX-Disstrack. Für alle, die einen Job haben, kurz aufbereitet: Charli hatte letztes Jahr auf ihrem Album "Brat" einen Track darüber, der allgemeinhin so gelesen wurde, dass die Präsenz und der Charakter von Taylor sie einschüchtern. Es war durchaus kein Liebeslied, aber man muss nicht studiert haben, um zu verstehen, dass es vor allem um die eigenen Unsicherheiten ging. "Sympathy Is A Knife" ist ein Track, der Charli selbst schlecht aussehen lässt und ihre uncoolen Impulse thematisiert.

Nur hat Taylor das nicht verstanden, die darauf reagiert, wie Nicki Minaj auf eine Cardi B-Stichelei reagieren würde. "I heard you call me 'Boring Barbie' when the coke's got you brave", leitet sie im Beef-is-on-Modus ein, nur um dann im Refrain darüber zu singen, wie absolut überhaupt nicht bothered sie über all das wäre. Sie war seit "Shake It Off" nicht mehr so überzeugend dünnhäutig. Das ganze Album räkelt sich so sehr in Paranoia und Anspielungen auf ihre vielen Feinde und Hater, dass es überhaupt nicht verwundert, dass sie gefühlt ständig auf "Reputation" zurückverweist. Das hier ist eins der unsichersten, dünnhäutigsten Taylor-Alben überhaupt - nur ohne die Self-Awareness drumherum.

Und vielleicht ist der Charli-Disstrack in dieser Hinsicht wirklich auch ein allgemeines Problem: Ich persönlich habe Taylor noch nie für dumm gehalten. Sie ist offensichtlich ein Genie, sonst wäre sie nicht da, wo sie heute ist. Dachte ich zumindest, bis sie auf diesem Track wirklich strohdumm wirkt. Sie versteht nicht, was der Charli-Track sagen will und bulliet einfach hirn- und taktlos dagegen, während sie sich trotzdem als das Opfer wähnt. Allein, dass sie sich immer noch als den sympathischen Underdog wähnt, obwohl sie größentechnisch das Popmusik-Äquivalent von Azerghoul, dem Sternenfresser, ist: Wo ist die Self-Awareness?

Es geht weiter mit irgendwie unangenehmen Tracks. "Wish List" lässt sich nur als eine bizarre Trad-Wife-Anthem beschreiben, in dem sie darüber lamentiert, wie viel geiler es wäre, ganz viele Kinder mit einem sexy Mann zu haben, als weiter den Bullshit der Öffentlichkeit mitzumachen. "Cancelled!" hat immerhin eine solide Melodie und mit "Did you girl-boss too close to the sun?" eine der besten Lines des Albums. Leider zerfällt der Track dann zu einem bizarren Stück darüber, dass sie und all ihre Freunde in einem infernalischen Limbo des Gecancelt-Seins existieren. Pardon, habe ich etwas verpasst?

"The Life Of A Showgirl" schließt mit einer uninspirierten Sabrina Carpenter-Featurenummer, auf der die beiden halbgare und durchschaubare Self-Insert-Charaktere schreiben, die trotz ihrer Geilheit von der Öffentlichkeit ganz doll gemein behandelt werden. Wahrlich, ein Gipfel der feministischen Literatur. Musikalisch ist an dem Punkt auch jeder Juice verloren. Diese zweite Hälfte ist so generisch und blutleer, das kann unmöglich von Max Martin produziert worden sein. Es klingt gerade so poppig, als hätte man Jack Antonoff mit Kötbullar eingerieben.

"The Life Of A Showgirl" markiert Album Nummer vier, das immer weiter von dem wegdriftet, was Taylor einst gut gemacht hat. Die Taylor, die Meisterwerke wie "Red" oder "1989" gemacht hat, war ein Artist, der sehr gut um die eigenen Stärken und Schwächen wusste. Sie wusste, dass sie keine Pulitzer-Lyrikerin ist, aber sehr gut darin sein kann, unglaublich nahbare, direkte und reale Bilder für alltägliche Gefühle zu finden.

Die neue Taylor weiß um keine Schwächen. Die neue Taylor hat eine Legion an Swifties, die ihr jeden Blödsinn als Perle der feministischen Literatur spiegeln. Und was sie auf diesem Album macht, es tut mir leid, das so hart zu sagen, kracht konstant an die Limitationen ihres Talents. Es ist im Grunde ein bescheuertes Album darüber, dass sie ein krasser Popstar ist, der viele Hater hat. Aber sie muss es unbedingt in ihr neues 'ich bin ein Kurzgeschichten-Autor, der Charakterstudien schreibt'-Ding wickeln. Das wird aber nie zu mehr als einer hauchdünnen Lackschicht.

Das Ding ist: Es wäre überhaupt nichts falsch daran, simple Songs zu schreiben. Im Gegenteil! Taylor war einmal ein absolutes Genie darin, Tiefsinniges im Alltäglichen und trügerisch Seichtem zu finden. Dieses Album nimmt supersimple Ideen, aber packt es in die schwerfälligsten, großspurigsten Bilder und Rahmen. Und all das will nicht einmal etwas kommunizieren. Es will nur beeindrucken.

Taylor hat ihre eigene Cool Aid getrunken, weil sie vor fünf Jahren für einen Moment gespürt hat, wie es wäre, ihre Vorstellung von einem cooleren Artist zu sein. Und jetzt ist das Hauptziel ihrer Arbeit, Leuten dieses neue Bild auf Biegen und Brechen zu zementieren, auch wenn dabei alles über Bord geht, was sie einmal zu einer guten Schreiberin gemacht hat. Und das ist im Grunde die einzige Tragödie, die in diesem Groschenroman-Schnellhefter erfolgreich erzählt wird.

Trackliste

  1. 1. The Fate Of Ophelia
  2. 2. Elizabeth Taylor
  3. 3. Opalite
  4. 4. Father Figure
  5. 5. Eldest Daughter
  6. 6. Ruin The Friendship
  7. 7. Actually Romantic
  8. 8. Wish List
  9. 9. Wood
  10. 10. Cancelled!
  11. 11. Honey
  12. 12. The Life Of A Showgirl

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