laut.de-Kritik

Liebeslieder vom Fließband.

Review von

Unter der "Traumfabrik" verstehen wir gemeinhin Hollywood. Als wesentliches Kennzeichen vieler Hollywood-Filmhits haben sich über die Jahrzehnte innige Küsse gehalten. Ob "one kiss im Segelboot", überbracht von himbeerrot glänzenden Lippen oder der initiale Kuss in "Küss Mich Wach" ("schon damals war es alles gescheh'n bei dem Kuss") - diese Form der Zärtlichkeit ergießt sich reichlich durch Vanessa Mais Album "Traumfabrik".

Weitgehend schlüpft die Dancefloor-geneigte Musik in die schmale Nische, die noch verbleibt zwischen dem Malle-Sauf-Schlager der Kollegin Mia Julia, Aerobic-Pop der Marke Catterfeld und Bounce-Ohrwürmern, wie Sarah Engels sie im "Strong Girls Club" rotiert. Heterogen irrt Vanessas Longplayer zwischen dem Eurodance-Déjà-Vu "Nimmerland" und dem oh-hoo-Mitgröl-Tune "100 Prozent Verliebt" herum: "Ja, du bist genau mein Typ (...) sowas hatt' ich noch nie, denn nur mit dir krieg ich dieses Hochgefühl".

Schlapp, belanglos und lahm schleppt sich "Keine Deiner Worte" dahin. Der Plot bietet weniger Reibung als Rosamunde Pilcher: "Und an jedem neuen Morgen bin ich dankbar, dass es dich gibt." - In "Sorry Sorry" ereignet sich ein Ausflug ins Disco-Genre zu einem Szenario mit italienischer Eiscréme und einem Ausflug auf der Vespa. Vanessa verwendet in homöopathischer Dosis Jugendsprache ("mit dir ist alles bisschen nicer") und lässt mehrmals Auto-Tune missglücken, in "Küss Mich Wach" oder "Von London Nach New York". Phasenweise geriert sich die Platte lyrisch so wiederholungsreich, klischeehaft und öde, dass man jedes Bemühen vermisst. Musikalisch passt die verbreitete Einfallslosigkeit stimmig dazu - immerhin.

Sowohl unter den schnellen wie auch ruhigen Songs findet sich mal je ein toller Treffer. Der ruhige heißt "Schneemann". Man kann diesem Lied weder seine gute Pop-Melodie noch die visuelle Einprägsamkeit der Worte absprechen. Das englische Original stammt freilich von Sia: "Ich will, dass du weißt, dass du bei mir frei bist (...) im Wintergarten lass ich für dich Schnee fallen, damit du noch bleibst / ich hol uns den Nordpol und frier mit dir ein / brich jedes Eis, nur damit du bei mir bist / alles was ich in dieser Nacht will: das ist mein Schneemann und ich - Baby!" - Allerdings, müsste es nicht heißen "ich breche jedes Eis" und "meinen Schneemann und mich"? Und welches Stilmittel mag sich wohl hinter dem Grammatikfehler "Keine Deiner Worte" verbergen? Die Wort, das Mann, ich brich?!

Die Zielgruppe wird es verzeihen. Zweifel sind der Sängerin trotzdem willkommen. Den Zweifel spricht die Backnangerin mit "Lieber Zweifel" ganz direkt an und philosophiert: "Wie oft gehen die Straßen nicht immer geradeaus / aber jede Abzweigung führte mich wieder zurück. / Manchmal verliert man sich / aber ich weiß ganz genau, lieber Zweifel / wenn du wieder kommst, dann lass ich dich ziehen." - Ziehen lassen musste ihr langjähriges Label Ariola die Künstlerin, obwohl man gemeinsam eine beträchtliche, langjährige Nonstop-Serie von Charts-Erfolgen verzeichnet. Wie Vanessa im Branchen-Blog Musikwoche beschreibt, habe ihre neue Label-Heimat Warner ihre Vision verstanden. Die meisten Metaphern wirken jetzt jedoch nicht allzu sehr in Visionen gebadet, sondern in Adel Tawil-Seifigkeit ertränkt. Beispiel: "Du heilst die Wunden in mei'm Herz / ... du bist alles und viel mehr (...) du bist mein Begleiter, öffnest alle Türen."

Visionär mutet das Album schon formal nicht an, zumal acht der 13 Tracks bereits als Single erhältlich waren. Der Mehrwert besteht nun mehr darin, überhaupt etwas Physisches zu greifen, zum Beispiel in rasch ausverkauften Deluxe-Boxsets mit hübschen Fotos anstelle eines konzeptuellen Anliegens. Die trance-housige Nummer "Lobby" bei 126 bpm gibt es schon fast ein Jahr lang. "Lobby" ist das gute schnelle gute Lied - rein musikalisch gesehen. Lyrisch bleibt Luft nach oben. "Vanille auf der Haut" matcht nach dem Motto 'Reim dich, oder ich fress dich' mit "komm, dreh die Nacht auf laut".

Die miteinander keinerlei Flow bildenden Einzel-Tracks, die teils im 14-Tages-Rhythmus erschienen, erwecken den Eindruck eines Fließbandes innerhalb der "Traumfabrik". Im Promi-Blatt Gala bezieht Vanessa den Begriff "Traumfabrik" derweil auf die Firma ihres Mannes, die AFM Productions & Publishing, quasi die eigene familiäre Traumschmiede. "'Traumfabrik' ist mehr als eine Sammlung von Tracks – es ist eine Reise durch Lovesongs, Selbstreflexion und Weiterentwicklung", schwärmt Vertragspartner Warner Central Europe. Zusammengefasst handelt das Album vor allem von Küssen und Verliebtsein - hinter die "Reise durch Lovesongs" lässt sich ein Haken setzen. Bezüglich der Selbstreflexion kommt heraus, dass Dankbarkeit wichtig sei - ein schmaler Befund, aber okay. Statt einer Weiterentwicklung fällt aber auf, dass "Traumfabrik" eben genau nichts weiter als eine x-beliebige "Sammlung von Tracks" ist und diese auf langweiligste Art sammelt.

Trackliste

  1. 1. Himbeerrot (One Kiss)
  2. 2. Traumfabrik
  3. 3. Küss Mich Wach
  4. 4. Auf Freien Feldern
  5. 5. Von London Nach New York
  6. 6. Sorry Sorry
  7. 7. Keine Deiner Worte
  8. 8. 100 Prozent Verliebt
  9. 9. Nimmerland
  10. 10. Lobby
  11. 11. Für Mich Bist Du Liebe
  12. 12. Lieber Zweifel
  13. 13. Schneemann
  14. 14. 100% Verliebt

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