laut.de-Kritik
Gelebte Großspurigkeit im Sechzehntonner.
Review von Max BrandlEin Rückblick: Vor rund sechs Jahren hab ich noch mit den Jungs die Ansage Eins und Zwei bei drei bis vier Flaschen Wodka gepumpt. Ein kritischer Kollege befand seinerzeit: "Dieser Aggro-Dreck ist in spätestens einem halben Jahr wieder von der Bildfläche verschwunden." Ich hatte meine Zweifel. Zu brutal, frisch und professionell aufgezogen war das, was da nach Savas aus der Hauptstadt in die deutschen Bundeslande rollte.
Call me Hellseher. Aggro Berlin ist planmäßig und kontinuierlich aus dem selbst designten Untergrund heraus explodiert und funkelt heute als das umstrittene Sägeblatt unumstritten ganz oben am deutschen Gossen-Labelhimmel. Ich muss paradoxerweise gestehen, dass ich den Berliner Kader aufgrund der medialen Omnipräsenz eine ganze Weile nicht mehr wirklich auf dem Schirm hatte – ausreichend brutal erfrischt orientierte sich meine Aufmerksamkeit irgendwann neu.
Sido machte bei Raab auf Volks-Rapper, Bushido kurz nach dem Startschuss einen Schuh, B-Tight als Solo-Artist einen schwindligen Eindruck und Signings wie Tony D und G-Hot die Sache zunächst nicht besser. Mit der "Anti Ansage Acht" legt das Unternehmen nun die inzwischen sechste Nabelschau ab. Einen Zahlendreher schließe ich dabei aus und nehme an, dass die Ansagen Sechs und Sieben dem Corporate Image zum Opfer gefallen sind: Gelebte Großspurigkeit.
Zwar schlägt man auch dieses Mal keine wirklich neuen Wege ein, zum Befahren der ausgetretenen Pfade setzte man sich aber endlich mal wieder in den Sechzehntonner – und das birgt wiederum die eine oder andere Überraschung:
"Fler übertrumpft sich selbst in puncto Peinlichkeit", attestierte Kollege Gässlein der letzten Ansage. Diesmal gilt: Fler lässt die "Leute Reden" und übertrumpft nahezu alle anderen – Punkt. Das souveräne Schlägerorgan, der gestresste Schlepper-Flow und die ultraüberhebliche Emphase machen die ewig diskutierten inhaltlichen Mängel gerade im Vergleich mehr als wett. Beim Strongman fragt auch keiner nach dem Warum.
Sein Südberlin-Sidekick Godsilla steht ihm dabei in nichts nach: In russischer Asphaltästhetik vorgetragene Aussagen wie "Ich bin so cool, ich geh' zu Sunpoint und hab' danach Gefrierbrand" machen aus der Kneipenklopperei zwar noch keine Kampfkunst, beweisen aber, dass der "Silla Instinkt" und seine Birne nicht exklusiv der Kopfnuss dienen. Auch hier gilt: Ein Panzergetriebe ist nicht für die Formel 1 konzipiert.
Interessant ist der Eindruck, den Aggro-Leitwolf Sido hinterlässt: Der Entertainer und Popstars-Juror wirkt inzwischen befremdlich deplaziert in diesem Reigen aus niederprasselnden Ellenbogen. Man gewinnt den Eindruck, dass ausgerechnet auf ihn ein jüngeres Zitat von Bushido zutrifft: "Rap ist für mich langsam nur noch Freizeit." Vielleicht hat der Mann aber auch Order von ganz oben bekommen, den Rest der Mannschaft nicht in den Schatten zu stellen.
Den Tiefpunkt erreicht die Platte ausgerechnet dort, wo ganz früher mal der Aggro-Hammer hing: Das Duo Sido und B-Tight beweisen mit "Sexy" schmerzhaft, dass die Dreamteam-Zeiten rum sind. B-Tight selbst kommt an kaum einer Stelle der Platte über das impotente Goldständer-Niveau hinaus, die einzige Solo-Nummer stammt gar vom letzten Album. Ein Maus-auf-Haus-Reimschema, der Einfallsreichtum eines Bierdeckels und bestens versteckte Raptechnik zeichnen das Aggro-Urgestein dieser Tage aus: Bobby steht mit Bleifuß auf der Bremse. Ich frage mich, weshalb.
Etwas anders sieht die Lage auf der lyrischen Baustelle aus: Betonmischmeister Tony D zieht einmal mehr seinen Kranführer-Fachchargon durch und setzt damit diverse, ich behaupte ja inzwischen freiwillig komische Akzente – gerade auf dickem Bassmauerwerk wie "100 Metaz" und Synthiegerüsten wie "Tony Ist Das". So wenig Skills und so viel Leidenschaft, das hat endlich einmal Anerkennung verdient.
Das absolute Highlight findet sich ohne Zweifel in seinem Duett mit Neuzugang Kitty Kat: "Fiesta" macht das Sägeblatt zur Tanzfläche und ist eine irritierende Kombination aus Strandbar und Knastkantine: Tanz' den Cripwalk an der Costa del Sol und bring' den Ballermann zum Ballermann.
Die First Lady feiert endlich und offiziell Premiere – und zwar gebührend: Sie ergänzt das testosterontriefende Kinnhakenzeremoniell um ein rosa Konterkaro im Stile von Catwoman: Mit ihrer sexy Stimme lullt sie das Patriarchat ein und rammt den Kontrahenten im nächsten Moment die Krallen, respektive das Aggro-Butterfly in den Rücken. Technisch schnurrt dieses hundsloyale Kätzchen tadel-, aber auch etwas belanglos.
Der Gastaufritt von Frauenarzt namens "Undissbar" hinterlässt mich mit einem unfassbar großen What-The-Fuck? Unterlegt mit einem Slapstick-meets-Karneval-Beat von Überproducer Tai Jason liefert er hier ein Stück ab, das sich so nur er oder aber die Augsburger Puppenkiste für Erwachsene leisten kann. Entweder ist Frauenarzt der Helge Schneider des Kriminellenrap oder der Mann hinterm Mond höchstpersönlich. Ich weiß es nicht.
Ganz so "Anti" wie ausgerufen ist das Gesamtbild indes gar nicht. Gerade was die Produktion betrifft: Die überwiegend monströs aufgetürmten Starkstrom-Bomben, die die angeheuerten Synthiekapitäne Beatzarre und Djorkaeff hier zünden, sind mit dem topaktuellen Straßenchic per du, mainstreamlinienförmig per definitionem allerdings auch. Lediglich Kitty Kats "Pussy" bekommt Stakkato-Claps auf den Hintern und Sido von den Goofiesmackerz für seinen 360 Grad-Diss "Du Bist Scheiße" eine Gitarren-Extrawurst kredenzt.
Summa summarum eine solide Ansage Sechs respektive Acht aus dem Hause Aggro, die zwar nicht viel Neues, aber immerhin 23 amtliche Tracks ohne Lückenfüller und Skit-Geplänkel bietet. Für eine Runde, die willens ist, Intellekt und Selbstreflexion mit drei bis vier Flaschen Wodka gepflegt aus der Bahn zu spülen, auf jeden Fall ein optimaler Soundtrack. Oder, um B-Tight schlussendlich doch noch ein brauchbares Zitat abzuringen: "Das ist die Aggro Berlin Gegenwart."
177 Kommentare
@laut.de (« Diesmal gilt: Fler lässt die "Leute Reden" und übertrumpft nahezu alle anderen – Punkt. »):
So is es!
cool brandl gibt die selbe wertung wie ich geben würde
guter mann
haha
ich werde irgendwie den eindruck nicht los, das gewisse releases hier aus prinzip schlecht bewertet werden!
@Cyclonos («
Ich arbeite doch immer wieder gerne für dich ! »):
das hört man doch gern! dann hast du wenigstens mal was sinnvolles zutun, un lümmelst nicht die ganze im streichelzoo umher.
Ich hab befürchtet dass die Jungs (und Mädels) mit Hinblick auf ihre Solo-Karriere nur noch rotz auf die Ansage bringen, doch bin wirklich positiv überrascht worden.
Fler hinterlässt eindeutig den besten Eindruck, man darf sich schon auf sein baldiges Album freuen. Godsilla nervt wie immer gehörig und man hat er geschafft Tony trotz 0 Fähigkeiten perfekt in Szene zu setzen („Tony ist das“). Kitty hat sich glücklicherweise auch endlich deutlich verbessert und überzeugt auf mehreren Songs komplett (Banger „Pussy“).
Ach ja und der (fast) allererste Frauenarzt den ich mir geben kann, dank ertragbarem Rap und wahnsinnigem Beat
Beste Tracks: Scheiss egal, So ist es, Pussy, Tony ist das, Fiesta, Undissbar, Meine Jungs, Du bist Scheisse, Egoist, Beweg dein Arsch.
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