laut.de-Kritik
Die Krautrock-Legende Neu! ist tot. Sie lebe hoch!
Review von Michael SchuhBraucht die legendäre Krautrock-Band Neu! heute noch Fürsprecher? Eine Band, die schon zu ihren aktiven Zeiten von David Bowie als "Musik der Zukunft" gepriesen wurde und deren Geschichte nach dem Tod des Drummers Klaus Dingers im letzten Jahr nunmehr zu Ende erzählt ist?
Ebenfalls 2008 soll es geschehen sein, dass sich "die beste Musik, die ich seit langem gehört habe" an die Ohren Noel Gallaghers vorwagte. Dieses Erlebnis veranlasste den nur scheinbar im Beatles-Wurmloch gefangenen Musiker im folgenden Spex-Interview zu einer flammenden Lobrede auf Neu! - nicht ohne seinen singenden Bruder einmal mehr als bornierten 60s-Hippie zu diskreditieren, der "diese Musik niemals begreifen" würde.
Um auf die eingangs gestellte Frage zurück zu kommen: Schaden würde es sicher nicht, wenn mehr Menschen von der dynamischen wie langlebigen Kompositionskunst der drei Neu!-Alben "Neu!", "Neu! 2" und "Neu! 75" erfahren würden. Trotzdem ist es noch immer kurzweiliger, ein Noel Gallagher-Interview über Neu! zu lesen, als sich "Brand Neu!" in voller Länge anzuhören.
Dieser Eindruck ist nicht allein auf die Song-Beiträge der namhaften Beteiligten zurück zu führen, als vielmehr auf den Legendenstatus des zu ehrenden Sujets. Die Idee des Projekts, von den Künstlern keine Coverversionen zu verlangen, sondern stattdessen von Neu! inspirierte Songs, ist respektabel und erscheint vor dem Hintergrund der visionären Originale sinnvoll.
Wie groß der Einfluss des Grönland-Labels mittlerweile ist, auf dessen Sublabel Feraltone "Brand Neu!" erscheint, ist ebenfalls beachtlich. Primal Scream, der Sonic Youth-Ableger Ciccone Youth und eben Oasis assoziert man nicht in erster Linie mit dem Duo Klaus Dinger und Michael Rother.
Dass bis auf School Of Seven Bells keine Band dem Samplertitel entsprechend brandneue Titel abliefert, ist dann zwar schade, im Endeffekt aber unerheblich. Gerade Oasis' "Can You See It Now?" zählt, obwohl bereits 2005 als Hidden Track auf "Don't Believe The Truth" veröffentlicht, überraschenderweise zu den Highlights.
Bobby Gillespies Jungs bleiben hinter den Erwartungen zurück und Ciccone Youth fungieren mehr als Intro; besteht es doch hauptsächlich aus einem Gespräch zwischen Kim Gordon und einer Freundin zu einem im Hintergrund laufenden Neu!-Song (bevor J. Masciszur Gitarre greift). Eingespielt wurde es vor über 20 Jahren.
Ein Hauptproblem manifestiert sich über die gesamte Samplerlänge: So wegweisend die Dinger- & Rother'schen Glanztaten der frühen 70er auch sein mögen, sie sind nur schwer aus ihrer Zeit heraus zu holen. Stellt man das ihnen innewohnende Motiv der Repetition dreißig Jahre später einfach nur nach, fehlt das korrelierende Zeitgeist-Moment, die Reibung, die die dahin fließenden Songs erst so einzigartig machte.
Schon das Monks-Tribute "Silver Monk Time" (2006) konnte diese Problematik trotz guter Bands nicht verschleiern. So nähern sich Holy Fuck, Foals und Fujiya & Miyago ihren Idolen auf instrumentalen, teilweise nicht unspannenden Wegen, während Kasabian und LCD Soundsystem allein durch Hinzunahme von Gesang einen eigeneren Ansatz wagen.
Japans Elektro-Wizard Cornelius aka Keigo Oyamada kommt dagegen auf "Wataridori" nicht nur fast schon an den Titel-Wahnsinn der Originale heran, sondern liefert auch eine ungemein spannende Frickel-Seance ab. Ein Höhepunkt.
Als Special-Bonus findet sich mit La Duesseldorfs "Sketch 1_08" die letzte Aufnahme ein, an der der verstorbene Dinger beteiligt war und die wohl nur den Neu!-Archäologen neue Denkansätze liefert. Michael Rothers unveröffentliches, sphärisches "Neutronics 98" schließt die Hommage zart pluckernd ab.
Ob die Neu!-Fans John Frusciante und David Bowie einfach schlauer sind, indem sie ihre Liebe für sich behalten? Vielleicht hatten sie auch einfach Angst. Das zumindest könnte Noel Gallagher nie passieren.
1 Kommentar
Ich hätte dem Album schon 3 Punkte gegeben, klar, die Neu!-Zeit ist schon lange vorbei, doch mit so vielen namenhaften Künstlern und einigen richtig guten Songs, hätte es die 3 Punkte schon verdient. Ich persönlich hätte es zuerst bei dem Oasis nicht gemerkt, dass sie von Neu! inspiriert worden, jetzt hört man es mit einem völlig neuen Hintergrund...