laut.de-Kritik

Power-Metal mit unbändiger Energie.

Review von

Im hanseatischen Norden sucht ein aufstrebender Gitarrist Anfang der 80er nach einem eigenen Sound. Er ist inspiriert durch die immer schneller werdenden Metal-Grooves wie Accepts "Fast As A Shark" sowie den hymnischen Melodien der NWOBHM-Helden. 1985 findet er seine Bestimmung im Melodic Speed Metal, der später in der Geburt des europäischen Power Metals münden wird.

In Kalifornien kämpft sich zur gleichen Zeit ein junger Gitarrist durch die Clubs und Proberäume der Metal-Szene. Auch er sucht seinen eigenen Sound. Selbst Rückschläge wie die schlechten Kritiken für die Beiträge "Ultimate Death" und "One Way Ticket" auf den Shrapnel-Samplern "US-Metal Vol.3 und 4" halten ihn nicht davon ab. 1985 hebt auch er zusammen mit Bands wie Savatage oder Metal Church die amerikanische Version des Power Metals aus der Taufe.

Die Namen der jungen Kuttenträger: Kai Hansen und Geoff Thorpe. Die zwei kommenden Helloween- bzw. Vicious Rumors-Legenden veröffentlichen einander unbekannt und über tausende Kilometer hinweg innerhalb weniger Monate bahnbrechende Debütalben, die sich in punkto Geschwindigkeit, Gitarrenarbeit, Energie und Lyrics aufeinander reimen wie Verse von Goethe. Selbst Songtitel ähneln sich. "Murderer" und "Ride The Sky" heißen bei Vicious Rumors "Murder" und "Ride Into The Sun" und dominieren die Jugendzimmer rund um den Globus, als die "Soldiers Of The Night" die "Walls Of Jericho" durch die Boxen attackieren.

Drei Tracks bilden die Brücke über den Atlantik, die stets auf allen Ebenen so wichtig war. Der Opener "Ride (Into the Sun)" ist Speed Metal aus dem Lehrbuch. Der Nacken knackt verdächtig, der Refrain zwingt förmlich zum Mitgrölen "Til the battle is won", während St. Pierre im Duell mit den irrwitzigen Riffs die Tonleiter erklimmt. "Blitz The World" drückt noch mehr aufs Gaspedal und "In Fire" wechselt zwischen tiefen Gangshouts, spitzen Schreien und bombastischen Hook wie Lars Ulrich seine Drumfills. Wären die Songs auf "Walls Of Jericho" erschienen, niemanden hätte es gewundert.

Der feine Unterschied zwischen Helloween und Vicious Rumors liegt jedoch in den Wurzeln der beiden Songwriter. Während Kai von der deutschen Szene geprägt wird, scheint an der Westküste die Sonne aus Ärschen und Clubs. Der Vicious Rumors-Sound orientiert sich daher, wie so oft im US-Metal, an schweren bluesig bis hardrockigen Grooves. Der Midtempo-Mosher "Medusa" zeigt mit wippender Bridge und Harmonien starke Ansätze von Catchiness. "Domestic Bliss" macht sich dann ganz nackig und setzt sich mit gelockter Matte zwischen Dokken und Ratt an die Bar.

Ein gewisser Vinnie Moore drückt dem Debüt zusätzlich seinen Stempel auf. Vinnie Moore, aufstrebender Star am Himmel voller Klampfen und Shredding-Derwisch, trifft auf Songwriter Geoff Thorpe und dessen Metal-Vision. Kein ChatGPT der früheren Generation kann sich diese Zusammenkunft ausdenken, zu unterschiedlich ticken die beiden Riff-Meister, zu unwahrscheinlich ist eine solche Verbindung. Doch die Realität ist eben kein Prompt - und so weben Thorpe und Moore ihre Stärken auf "Soldiers Of The Night" zu einem Once-In-A-Lifetime-Moment. Alleine sein Wettkampf mit Thorpe bei den Soli für "In Fire" und "Invader" oder die Riffs auf dem galoppierenden Monster "Blistering Winds" gehören zu den größten Metal-Momenten der frühen 80er.

Dazu stößt die ausdauernde, gnadenlose Rhythmus-Section um Drummer Larry Howe und Bassist Dave Starr, sowie der Gesang von Gary St. Pierre und ein ebenso unfertiger DIY-Sound. Alles, was später bei Vicious Rumors technisch sauberer, variantenreicher und strukturierter klingt, wird hier ab Sekunde eins weggebügelt von Power und unbändiger Energie. Ausfälle sind nicht zu verzeichnen.

"Soldiers Of The Night" reitet an der Seite Maidens in die Schlacht, Gary kotzt, rotzt und singt sich die Seele aus dem Leib und die Meute skandiert "Fight Stay Alive". Vicious Rumors gelingt mit dem Titeltrack eine Hymne für die Ewigkeit. Mehr Metal geht nicht. "Murder" verbreitet titelkonforme Slayer-Vibes und mutiert zu einem dreckigen Genickbrecher. "March Or Die" kommt mit Tony Iommi-Gedächtnisriff, stampfendem Beat und fast gerappten Versen als frühe Crossover-Annäherung daher. Bandgründer Geoff Thorpe beweist gerade hier seine ganze Bandbreite im Songwriting.

Der große Erfolg von "Soldiers Of The Night" bleibt jedoch trotz Kultstatus und Millionenverkäufen von Mötley Crüe und Co. komplett aus. Vinnie Moore verlässt die Band, zu unterschiedlich sind seine musikalischen Vorstellungen. Auch Sänger St. Pierre geht. Mark McGee und vor allem Gesangsgott Carl Albert stoßen zur Band. Es ist Thorpe hoch anzurechnen, dass er nach einem solchen Start dieses Talent findet, bindet und hintereinander drei extrem starke Alben in Folge veröffentlicht - auch wenn die ungestüme, oft widersprüchliche Kraft des Debüts einer polierten Produktion, verfeinerten Harmonien und klareren Songstrukturen weichen musste. Kai Hansen, sein Bruder im Geiste, kann von dieser Entwicklung Ende der 80er ein Lied singen.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Premonition
  2. 2. Ride (Into the Sun)
  3. 3. Medusa
  4. 4. Soldiers Of The Night
  5. 5. Murder
  6. 6. March Or Die
  7. 7. Blitz The World
  8. 8. Invader
  9. 9. In Fire
  10. 10. Domestic Bliss
  11. 11. Blistering Winds

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15 Kommentare, davon 14 auf Unterseiten

  • Vor 8 Tagen

    Na,ja, ein Meilenstein ist dieses Album ja nicht wirklich,wahrscheinlich nicht mal in der Metal Szene.Wie wäre es eigentlich mal mit Meilenstein Reviews für Meantime von Helmet und Siamese dream von den Smashing Pumpkins oder auch Apocalypse Dudes von Turbonegro.