laut.de-Kritik
Mit dem Kuhfuß gegen die Verzweiflung.
Review von Dani Fromm"Du hast noch Wut? Dann immer hier lang." Bei Milli Dance ist dein Zorn in den allerbesten Händen. Der zeigt zwar noch immer seine Fresse nicht, stochert aber ungebrochen unbequem mit dem "Schürhaken" in der schwelenden Glut. "Weil der Jähzorn noch Bock macht."
Beides, der Jähzorn wie den Bock, springt einem aus jeder Zeile dieses durch und durch unprätentiösen Releases heraus direkt mitten ins Gesicht. Waving The Guns mögen über die letzten Jahre ein paar ihrer Mitglieder verloren haben. Am Ausmaß ihres Unmuts darüber, "wie die Welt in echt ist", hat sich nichts geändert.
Warum auch? Es wird ja nicht besser, im Gegenteil: Die beste Zeit liegt wahrscheinlich tatsächlich bereits hinter uns. Das Sozialsystem hat schwere Schlagseite, in Europa wütet wieder ein Krieg, obendrein scheint die Menschheit wild entschlossen, sich in gar nicht so furchtbar ferner Zukunft vom Antlitz des Planeten zu rösten ... Gründe dafür, schreiend aus dem Halbschlaf hochzufahren, muss niemand lange suchen, "Motivationscoaches lügen dich an, es geht abwärts."
Statt zu verzweifeln, wahrscheinlich genau, um nicht zu verzweifeln, treten Waving The Guns die Flucht nach vorn an und drehen im Vorüberrennen noch ein paar Kanonen in die richtige Richtung: "Steig' dem aufs Dach, der etwas geben kann, statt dem, der eh schon knappst." Zwischendurch lassen sich prima ein paar Backpfeifen verteilen. "Alles, was ich schreib', sind Disses", das trifft sich da ja gut.
Es stimmt halt bloß nicht. Milli Dance hat sich noch nie auf "Wir sind dope, ihr seid wack" eingrenzen lassen, wenngleich er diese Brechstange natürlich auch schwingt. Wie der durchaus brutale Titel "Schwerter Zu Schusswaffen" andeutet, seziert er aber hauptsächlich gesellschaftliche Zustände. Stellt sich raus: "Ich rappe und kann wetten, es gefällt dir nicht so ganz."
Aber auch an seinem eigenen Ego hebelt er rum mit dem Kuhfuß, auch wenn, was dabei zutage tritt, nicht immer erfreut. Der Pazifismus von ehedem weicht mehr und mehr der Gewaltbereitschaft. Zugleich konstatiert Milli aber: "Ich merke, wie mir alles egaler wird." Die Frage der Ahnen, "Junge, was tust du?", beantwortet er mit einem einigermaßen hilflosen "Naja, ich verbinde Wunden mit Bluetooth".
Inhaltlich hat sich wenig geändert, die Darreichungsform jedoch ist inzwischen schlicht großartig. Nix gegen die Produktionen von WTG-Gründungsmitglied Dub Dylan, aber der Entschluss, sich der Zusammenarbeit mit weiteren Beatbastlern zu öffnen, hat dem musikalischen Gesamtbild nur gutgetan. "Der Kreis der Verschwörer ist handverlesen", es mischen inzwischen mit: BRYCK, Pete Gelée (der bei Liveauftritten der Crew hinterm Schlagzeug sitzt), Milli selbst und vor allem der spätestens seit "Fünf Vor Fick" schwer bewährte U.N.O.
DJ Joaf setzt per Scratches hin und wieder nostalgische Akzente, so zum Beispiel in "Schürhaken", durch dessen dunklen Sound immer wieder ein Fiepen dringt, wie von einem Überwachungsmonitor. Atmet noch? Gut, dann können wir weitergehen, direkt durch zu "Würge Es Hoch". Der deutlich sperrigere, widerspenstigere Beat scheint in alle Richtungen wegspringen, ausbrechen zu wollen. Mit "erlesenem Habitus" braucht Milli hier niemand zu kommen, "irgendwann ist der härteste Knochen weichgeklopft."
"Manchmal" fährt noch fiesere, bedrohlichere Geschütze auf. "Du, Nicht Doch" dagegen startet freundlicher, melodischer, was sich allerdings als Täuschungsmanöver entpuppt. Die schrägen Untertöne arbeiten sich aus dem grummelnden Fundament nach oben und übernehmen gnadenlos das Ruder. Für "Spaßbremse" schiebt U.N.O., ehe es im abschließenden Titeltrack noch Kinoklassiker-mäßig schwülstig wird, einen aus wimmernden Saiten und fett brummelndem Bass gestrickten, wahrhaft schrägen Beat unter Millis "hervorragende Aussagen".
Dessen mittlerweile überreichliche Liveerfahrung schlägt sich im Vortrag nieder. Er flowt sicher und platziert seine Silben absolut on point. Gelegentlich legt er erhebliches Tempo vor, und wirklich immer steckt unheimlich viel Melodie in seinen Zeilen. Stellenweise entgeht einem darüber beinahe, dass ein Track, siehe "Bluetooth", gar keine Hook hat. Kein Scheiß: "Wer Milli Dance kennt, der hat Live-Rap gesehen, und die Splash!-Hauptbühne ist ein Scheißdreck dagegen."
"Das Mic werd' ich erst abgeben, dann, wenn ich endlich das Bundesverdienstkreuz ablehnen kann", verheißt er dann auch. Oha. So lange das alles klingt wie diese EP: Finger weg von diesem Link!
2 Kommentare mit 2 Antworten
Eigentlich müsste ich die mögen, aber ist mir insgesamt zu anstrengend im Vortrag und inhaltlich zu undifferenziert sich selbst gegenüber.
Hast du "Das muss eine Demokratie aushalten können" mal gehört? Mmn das beste wtg-Album und auch weniger anstrengend als die anderen.
Ich glaube nicht. WTG hat ein Freund mir nahegelegt, dessen Geschmack wahrscheinlich eher deinem als meinem ähnelt. War dann bei Besuchen immer mal wieder was in der Playlist. Da konnt ich die Sympathie verstehen, aber es hat mich nicht abgeholt. Ich höre mal rein.
Wer WTG kennt, weiß, was ihn erwartet: Es ist ein richtig gutes Album - so wie alle eigentlich - ohne Höhe- und Tiefpunkte. Das ist keine Popularmusik und gehorcht deren Regeln nicht, das ist politische Meinung, handwerklich extrem gut vorgetragen. Ich würd mich als Fan der Band outen und hätte trotzdem arge Probleme, einzelne Songs aus dem Opus als outstanding herauszulesen, geschweige denn könnte ich Songs Alben zuordnen. Wenn man den Output der Band als Gesamtpaket begreift fügt sich das Album absolut gut ein. 4/5 halte ich für absolut angebracht.