laut.de-Kritik
Die Soziologie-Fachschaft würde auch gern mal nach Malle.
Review von Yannik Gölz01099 ist einer der Musik-Acts, der Leuten in Zukunft peinlich sein wird. Das läuft bei denen, wie bei so viel anderem Wohlstandskinder-Studentenrap. Erst wirken sie kurz wie eine willkommene Abwechslung zum durchschnittlichen Rap-Betrieb und haben ein paar musikalisch effektive Songs. Aber dann lungern sie einfach für immer im Dunstkreis der Szene, werden graduell schlechter, und je weniger sie die Underdogs sind, desto weniger versteht man, warum man ihnen überhaupt je den Erfolg gewünscht hat. Mit ein bisschen Distanz im Rückspiegel ist diese Macklemore-Kaste Rapper immer besonders leicht zu belächeln.
Auch 01099 scheinen zum Ergebnis gekommen zu sein, dass sie den Leuten in Zukunft peinlich sein werden. Ihr neues Album "Orange" ist nämlich ziemlich anders als "Kinder Der Nacht". Sie machen zwar effektiv immer noch die gleiche, Hedonismus-verkitschte Partymusik. Der Vorgänger war ziemlich drüber und MDMA-launig. Sie wollten ihrer Generation Tiefschürfendes zur Lage der Welt erzählen. Von "Angekommen Interlude" bekommt man immer noch Fremdscham-Gänsehaut. "Orange" ist nun die minimalkonsensigste Version ihrer Selbst. Alle Macht wird der Produktion gegeben, die MCs (würden die sich selbst überhaupt so beschreiben?) ducken sich pflichtschuldig und phrasig aus dem Weg, wo ein guter House-Beat sein Ding macht. Allein dafür ist "Orange" zumindest ein klein bisschen besser als der Vorgänger.
Nein, ehrlich: Es gibt auf jeden Fall ein paar Titel, die gut funktionieren. Besonders die zweite Hälfte ist ziemlich okay: "Himmel Pink" mit Filow zitiert irgendeinen Techno-Klassiker (glaube ich), zumindest klingt dieser schrubbende Synth-Sound ebenso bekannt wie fantastisch. Ob es zu dem Moshpit-Rager taugt, als den Feature-Gast Filow den Track hehlt, unsicher. Aber er hat ein gutes Tempo und macht Laune. "25Grad" ist der bessere Cro-Track als der Intro, auf dem Cro tatsächlich gastiert. "Supernova" ist das wahrscheinlich beste Stück des Albums, einfach, weil hier tatsächlich mal ein bisschen von der Leine gelassen wird. So ausgelassen und energetisch klang die Crew selten.
Aber trotzdem, das ist vielleicht das Hauptproblem: Keiner der Rapper, also weder Tim, Karl, Klößchen noch Gaby, verdient sich auf diesem Album die Berufsbezeichnung. Gerade die erste Hälfte plätschert mit einer geistesabwesenden Lethargie vor sich hin, die schon an Arbeitsverweigerung grenzt. "So Heiß" mit Cro nimmt einen Reggaeton-Beat, auf dem schon Cro nur so mittelgut klingt. Die 01099-Parts haben die rhythmische Finesse für dieses Genre nicht einmal hypothetisch. Sie klingen wie rappende YouTuber, nur dass rappende YouTuber meistens immerhin den Plan haben, Leute zu überzeugen, dass sie rappen können.
"Was Ich In Die Lieder Steck" will uns überzeugen, dass da etwas in diesen Songs stecken würde, dass sowohl wir, als auch die Angebetete des Performers übersehen würden. "Was ich in die Lieder steck / glaub ich hast du nie gecheckt". Daraufhin zählt er einen ganzen Haufen lauwarmer Klischees auf. In einer Tonlage, die wirklich gerade so an der unteren Begriffsgrenze von Sprechgesang entlangschrammt. Bruder, es tut mir leid. Wenn das, was du anscheinend in deine Lieder steckst, so esoterisch ist, dass es weder mir noch deiner Freundin ersichtlich wird, kann es gar nicht so viel sein. Das ist schade, weil das Instrumental mit seinen sanften Tropical House-Anschlägen und einem sehr unterschwelligen Breakbeat eigentlich Potenzial für einen Sad Banger à la NewJeans gehabt hätte.
"Nachtschicht" ist ein furchtbarer Rummelbumsdisco-Track mit Ikkimel, der eine wilde Nacht auf eine Art beschreibt, die man nur so erklären kann, dass die örtliche Soziologie-Fachschaft Neid auf den Bierkönig in Malle entwickelt hat. "Laufen" vergreift sich noch einmal an lateinamerikanischen Rhythmen, denen wirklich niemand in der Zahlencrew, weder Justus noch Peter noch Bob, gewachsen ist. "Leopard", so merkt man beim vierten Hören, hätte eigentlich ein Rage-Beat werden sollen. Verzeiht mir Jungs, aber niemand von euch ist ein Playboi Carti.
"Orange" beweist, dass 01099 eigentlich nichts auf dem Kasten haben, außer sich im richtigen Moment in den Windschatten von guten Beats zu stellen. Das ist eine Fähigkeit, die man nicht unterschätzen sollte. Vielen Rappern geht es absolut ab, einen guten Beat zu finden und dem nicht im Weg zu stehen. Trotzdem hilft es "Orange" am Ende des Tages leider wenig, dass das Album produktionstechnisch wirklich rund geraten ist und zur zweiten Hälfte einen ehrlich starken Run findet. Diese Performances sind leichenblass. Die Tracks haben nichts zu sagen. Es sind die immergleichen Phrasen über lila Nachthimmel und stürmische Beziehungen. Man merkt, dass dieses Album sich weniger angreifbar machen wollte. Aber am Ende machen weniger Fehler auch nicht mehr richtig.
4 Kommentare
Wenn Supernova der beste Song sein soll, na dann gute Nacht.
Die zweite Hälfte gefällt mir auch wesentlich besser als die erste. Mit einem Sympathiestern für "ich bin ein Sachse seit Tag eins" bin ich dann bei netten 3/5.
yannik, mach mal top 10 der playboi carti abriss rage songs
Ob das mal für die Villa in 01324 reicht?