laut.de-Kritik
Ein A-Capella-Sumpf aus Boomer-Parolen.
Review von Janne StoltzeBis auf den Film "Pitch Perfect" (2012) kann ich mit A-Capella nicht viel anfangen, aber mit der Generationshürde (die ich als Genz-Z nun mal mitbringe) im Hinterkopf bin ich so unvoreingenommen an dieses Album herangetreten, wie möglich. Versprochen. Trotzdem kann und will ich dem neuen Album von Alte Bekannte schon nach dem ersten mal Hören nicht viel Nettes nachsagen.
Der Titelsong zu "Mehr!" ist musikalisch gar nicht mal so schlecht. Die Melodie ist catchy, wenn auch etwas nervig, je öfter man sie hört. Besonders sticht aber die Bridge in der Mitte von "Mehr" heraus. Inhaltlich reflektieren die Gruppenmitglieder über Reichtum und Konsum, sowie das Gefühl, nie genug zu bekommen. In der zweiten Strophe findet sich sogar ein bisschen Genderkritik, wenn man danach sucht: "Ich brauch Testosteron! Wieviel? Na, superviel! Mehr Haare da, wo sie hingehören und mehr glatte Haut, wo mich die Haare stören." Der Frust aufgrund unerreichbarer Schönheitsideale betrifft eben nicht nur Frauen, wie es scheint. Schön, dass diese fünf Männer dazu stehen.
Mit dem Track "Tassen", hätten sie mich dann fast von sich überzeugt. Hier beweisen Alte Bekannte nämlich, dass sie ihren wortgewandten Humor auch auf diesem Album nicht verloren haben. Ein absurdes, komisches Symbol - die Tasse - aber ein hervorragender Gegenstand für Wortspiele. "Dra-Chanasan Mat Dam Kantrabaddtassan" hätte aber echt nicht sein müssen. Dass dieses Kinderlied wegen seines rassistischen Inhalts kritisiert wird, muss man nicht mitbekommen haben - da kann man auch selbst drauf kommen.
Die Line wäre nur halb so schlimm, wenn nicht drei Songs später "Wir Sind Mehr" mit seinem oberflächlichen Anti-Rassismus-Geschwafel folgen würde. So ganz nach dem Motto: Wir sind zwar (alte) weiße Männer, aber nicht rassistisch oder so ... also echt nicht. Der Song wirkt auf mich ohnehin überschwänglich plakativ, hinzu kommt die chinesenfeindliche Line aus "Tassen" - ich kauf den fünf Sängern kein Wort mehr ab.
Wie schade, dass auch "Schön Für Dich" die Reflektiertheit von "Mehr" direkt zunichte macht. "Ich steh' nicht so auf Wagner und ich bin kein Bayern-Fan." Was als Geständnis des Anders-seins inszeniert wird, wirkt wie ein Boomer-Pick-me-Akt, und das, obwohl die Mitglieder zur Nachfolgegeneration gehören. Erklärung für alle Boomer-Leser*innen: "Pick-me" ist ein Ausdruck, um jemanden zu bezeichnen, der überschwänglich betont, anders zu sein, um von einer bestimmten Gruppe Bestätigung zu erlangen. (Bitte fühlt euch in eurer Unwissenheit nicht angegriffen, ich musste dafür googlen, wer Wagner ist.)
Es geht weiter: "Auf Tiktok zu sein sorgt bei mir für großen Frust. Auf die Serien bei Netflix hab ich meistens keine Lust." Also wenn Alte Bekannte schon einen Song darüber schreiben, anders zu sein, dann sollen sie bitte valide Erklärungen liefern. Niemandem tut Tiktok sonderlich gut, und auf Netflix nichts Spannendes zum Anschauen zu finden, ist auch keine Normabweichung.
Swifties sind Alte Bekannte auch nicht, wie sie ebenfalls in "Schön Für Dich" offenbaren. Wer hätte das gedacht. "Ist es nicht ein bisschen egal, dass ich das nicht mag?", lautet der Refrain und nun ja, damit liegen sie nicht falsch. Es ist völlig egal, weil es niemanden interessiert, dass die Musik von Taylor Swift dieser Gruppe erwachsener Männer nicht zusagt - immerhin entsprechen sie weder der Zielgruppe, noch sind sie allein mit ihrer Meinung. Ich bin kein Taylor-Fan, obwohl ich zu ihrer Zielgruppe gehöre, aber warum kann man die Frau nicht einfach ihr Ding machen lassen? Anstatt sich wirklich verletzlich zu zeigen, äußert diese Boy-Band sich negativ gegenüber einer weiblichen Künstlerin, die sowieso oft genug im Fadenkreuz steht. Das Songthema wurde damit nicht nur völlig verfehlt, Alte Bekannte haben damit einen Boomerang mit 180 Grad-Wende geworfen.
Die restlichen Songs sind weniger problematisch. "Fehlt Nichts" fühlt sich musikalisch wie lyrisch nach einer Umarmung an und lädt zum Träumen ein. Leider fühlt sich das eher nach einer Entschuldigung wegen eines schlechten Gewissens an.
"Sprachnachricht" hört sich ebenfalls nach Boomern an, die sich gegen die Digitalisierung wehren. Sorry, not sorry. Nach den bisherigen Tracks hab ich "Steh' Wieder Auf" wirklich gebraucht. Ein Song der zum Weitermachen aufruft. Ganz süß, aber sogar Kontra K erweckt in mir mehr Willenskraft als das wiederholte "Steh wieder auf" des Refrains.
Mehr will ich von Alte Bekannte nach diesem Album nicht. Bei all den kontroversen Texten hab ich glatt vergessen, dass es sich hier um A-Capella handelt. Gibt es Schlimmeres als die Aussagen von Alte Bekannte? Definitiv. Ein bisschen mehr Aufklärungs-Content auf Tiktok (oder in den zahlreichen Lektüren des Büchermarktes) könnte den Herren dennoch gut tun.


6 Kommentare mit 4 Antworten
Hm, also von der musikalischen Leistung der Truppe kann man geteilter Meinung sein, auf Dauer ist mir das einfach zu eintönig (und der Humor oft nicht meins), aber was hier an den Texten kritisiert (bzw. gefühlt für absolut unzulässig gehalten) wird, lässt mich doch perplex zurück. Über die Chinesen kann man halten was man will, aber wer jemanden wegen dieser einen Zeile zum schlimmsten Rassisten abstempelt, dem nannte nichts mehr glaubt, schießt auch übers Ziel hinaus. Richtig abstrus wird es dann aber bei schön für dich. Die Reaktion zeigt eigentlich sehr gut, dass die Aussage des Liedes absolut zutreffend ist. In dem Lied geht es nicht um irgendeine Verletzlichkeit, sondern schlicht und ergreifend nur darum, den anderen ihren Spaß an was auch immer zu lassen. Wer da die komplett harmlose Strophe über Taylor Swift als persönlichen Angriff auf die Frau wertet (und nicht einfach nur als naheliegende Wahl, da sie halt eine sehr engagierte Fanbase hat), der bestätigt letzten Endes das besungene Problem.
Oh nein, ein 55-Jähriger schreibt Songs über und für seine Generation. Klar war die Vorgängerband gerade in ihren mittleren Jahren witziger, aber die hatte auch noch grundlegend andere Voraussetzungen, die Welt zu sehen. Den wenigsten Künstlern gelingt in fortgeschrittenem Alter ein ähnlich offener Blick auf die Welt, ohne in performativen Aktivismus abzugleiten. Wobei die Rezension das ja durch die Blume auch noch ernsthaft zu fordern scheint.
Aber wie auch immer; sowas durch den Gen-Z-Filter zu jagen, der zwischen hehren Ansprüchen alles richtig zu machen (gut) und felsenfester Überzeugung ein besserer Mensch sein zu müssen (nicht so gut), kann der Sache gar nicht gerecht werden. Unabhängig davon, dass ich die Truppe seit eh und je für ein müdes Altersprojekt halte, dass weder den ursprünglichen Verve noch das dazu passende Umfeld mitbringt und in anderen Leben(sentwürfen) auch eine mies gealterte Deutsch-Indie-Band sein könnte.
So etwas wie die Sportfreunde Stiller in A-Capella?
Und in etwas mehr Rheinland und etwas weniger Bayern.
Als Kurzzeit-Rheinländer gefiel mir die Musik der Wise Guys eigentlich ganz gut, einige von denen haben vor 15 Jahren in meiner Nachbarschaft gewohnt.
Mehr von alte Bekannte brauche ich allerdings nicht, bleibt also ungehört.
"Bis auf den Film "Pitch Perfect" (2012) kann ich mit A-Capella nicht viel anfangen, aber mit der Generationshürde (die ich als Genz-Z nun mal mitbringe) im Hinterkopf bin ich so unvoreingenommen an dieses Album herangetreten, wie möglich."
Wenn es nötig ist, eine Rezension mit einer solchen Rechtfertigung zu beginnen, dann ist nach dem ersten Satz klar, dass alles, was danach kommet NICHT unvoreingenommen sein wird und es nicht mehr darum gehen wird, das gebotene zu bewerten, sondern nur mehr darum etwas zu konstruieren, was die eigene Voreingenommenheit bestätigt.
(An der Musik kein Interesse und daher nicht gehört.)
Wie darf man das denn verstehen ... es soll boomerhaft sein, Sprachnachrichten nicht zu mögen? Ich bin deutlich jünger und halte die Verwendung von Sprachnachrichten, jedenfalls über berechtigte Einzelfälle hinaus, auch für eine furchtbare Angewohnheit. Ich halte es insofern auch nicht für irgendwie progressiv, kritiklos jede technische Neuerung mitzumachen. Sorry, not sorry.
‚"Pick-me" ist ein Ausdruck, um jemanden zu bezeichnen, der überschwänglich betont, anders zu sein, um von einer bestimmten Gruppe Bestätigung zu erlangen.‘
Nope. https://www.merriam-webster.com/slang/pick…
Ist auch ganz schön peinlo sich so aufzuspielen und dann Quatsch zu erzählen. Ragism versteht was ich meine.
lol. ich lese pick-me(girl) literarisch nur, wenn weiße linke akademikerinnen auf x/twitter andere frauen beleidigen oder habe es darüber hinaus nur in dieser einen einzigen folge des brave mädchen podcast von funk gehört. hätte nicht gedacht, dass das tatsächlich eine sache ist
Diese Band ist mir komplett egal, aber eine Musikreview mit der Erklärung zu beginnen, dass man das besprochene Genre weder kennt, noch wirklich mag, ist schon sehr komisch. In welchem anderen Musikmagazin liest man so einen Käse? Das du Gen Z bist, hättest du nicht extra schreiben müssen, denn das hier fühlt sich an wie eine Funk-Reportage.