laut.de-Kritik
R'n'B zwischen Funkrock, Märchen-Pop und Neo-Soul.
Review von Philipp KauseAuf "Three Dimensions Deep" regiert die Tiefe. Longplay-Debütantin Amber Mark timbriert in angenehmer Stimmlage, schert lieber mal ein bisschen in tiefe Resonanzebenen aus, nie in kieksige. Tief fühlt sich ihr Album auch deshalb an, weil es vom geschmackvollen Artwork bis zur Gestaltung der Songs nie wie hin konstruiertes Charts-Futter wirkt. Obwohl stilistisch nahe an Dancepop, mit einem Bein fest im Urban Soul, kann man sich das auch in 40 Jahren noch anhören. Manches erinnert an das Debüt von Sade. Sade hat Amber übrigens schon mal so faszinierend gecovert, dass man sagen kann: Besser als das Original!
Seither ließ sich die 28-Jährige viel Zeit für den ersten Longplayer. Es wäre theoretisch Material für noch zwei Alben vorhanden, Demos, Stand-alone-Singles, EPs, geschmackvolle Covers. Auch ohne sie ist der Erstling bereits eine Doppel-Vinyl. Außergewöhnlich im gesamten Musikbiz, denn die Labels mögen sowas meistens nicht. Nellie McKay, kostete so ein Start im Streit mit dem Label die Karriere. An Nellie und an Corinne Bailey Rae werden in den ruhigen Takten des Albums Erinnerungen wach.
Amber wählt One Size Fits All für ihre Stücke. Statt einzelne Einflüsse, New Yorker Disco-Funk, den Reggae der jamaikanischen Heimat ihres Vaters, europäischen Electropop und dann das, was sie "ein bisschen 'tribal'" nennt, auseinander zu klamüsern, fusioniert sie alles gründlich. Heraus kommt eine funky-elektronifizierte Form von R'n'B. Ihr Funk hat nicht den Primat der Basstiefe, nur manche Momente in manchen Stücken dröhnen. Dafür tut der Amber-Groove sich durch Gelenkigkeit, Lebensfreude, Eleganz und Sportlichkeit hervor.
Ästhetisch auch die visuelle Ebene von LP-Cover bis Video-Clips. Analog dazu, wie die Wahl-New Yorkerin auf dem Cover in einem interplanetaren Riesen-Aquarium zu hocken scheint, taucht der Track "Event Horizon" in bläschenhaften, sanften Kraulbewegungen viele Meter tief in eine seit Kate Bush verlassene Wunderwelt des Märchen-Pop ein. Mehr Bläschen gibt es in "Bubbles". Diese Blasen sind Schutzzonen, um sich dank häufigen Ausgehens nicht den tristen Erinnerungen an eine verflossene Beziehung stellen zu müssen.
Auf Tauchstation geht Amber in "What It Is": "Dive deep in the dark / with no light", eine schöne Alliteration. Amber legt sich die Worte schon so, dass ihre beste-Freundin-von-nebenan-Stimme voll zur Geltung kommt. Die Texte klingen knackig. Sie sind anschaulich. Zum Beispiel wird Wäsche mit Tränenflüssigkeit gewaschen. Sie nutzen Binnenreime, Parallelismen, Aufzählungen, abstrakt-/konkret-Sprünge. Obwohl Amber Mark in ihren Twen-Themen fast ersäuft, findet sie dafür einen Kanal, schnitzt Reime, die ihr lässig über die Lippen gehen. Setzt voraus, dass hier jemand tief gegangen ist und Emotionen - zumal die eigenen - gründlich beobachtet hat. Mit "Three Dimensions Deep" hat sie ein Psychologie-Album gestrickt, ein tanzbares.
"One" ist die ausgereifte Upper Midtempo-Urban R'n'B-Ballade in gehobenem Midtempo, mit geschmackvollen Beats, Bässen und Background-Gekläffe eines MCs. "Bubbles" erfüllt wieder das Versprechen der Sorte Jamiroquai-Style, mit dem "Mixer" vor ein paar Jahren lockte.
"Darkside" knüpft an den Prince von "1999" an, auch an Cameo und ihren Stil, angedeuteten Funk-Rock mit aufglühender E-Gitarre abzufahren. Ein paar Boogie-Reminiszenzen durchqueren mehrere Stücke (z.B. "Foreign Things"), Hot Chocolate kommen ab und an für ein paar Takte in den Sinn.
Alles kaum state of the art of 2022, insofern extravagant unzeitgemäß, andererseits auch nicht vordergründig retro. Für alle Tracks gilt: Jeder Schuss ein Treffer, und über allem diese entspannte Stimme.
1 Kommentar
Ihr Tiny Desk lohnt sich. Auf Albumlänge eher ermüdend.