laut.de-Kritik
"All Mirrors" als sparsame und intime Fassung.
Review von Toni HennigSchon im letzten Jahr spielte Angel Olsen darauf an, dass eine intime Fassung von "All Mirrors" existiere. Nun haben wir mit "Whole New Mess" Gewissheit.
Die Platte hatte die US-Amerikanerin schon ein Jahr vor der Veröffentlichung von "All Mirrors" in The Unknown aufgenommen, dem von Phil Elverum und Nicholas Wilbur betriebenen, kircheneigenen Studio in Anacortes, Washington. Die Aufnahmebedingungen ermöglichten besonders viel Hall auf ihrer Stimme. Neun von elf Songs begegnete man schon auf dem Hauptalbum. Dazu gesellen sich noch zwei bislang unveröffentlichte Stücke. Zudem ist "Whole New Mess" das erste Werk nach "Half Way Home" von 2012, das die 33-Jährige ohne Bandmitglieder einspielte.
Den künstlerischen Ansatz erklärte sie in einem kurzen Statement: "Ich hatte diese Trennung durchlebt, aber sie war so viel größer als das - ich hatte auch Freundschaften verloren. Wenn man aus einer Beziehung aussteigt, muss man beleuchten, wer man ist oder war in all den Beziehungen ... Das sind die persönlichen Aufnahmen, die in einem Moment eingekapselt sind."
Dementsprechend hinterlässt das Titelstück, einer der zwei bislang nicht gehörten Songs, mit sparsamer Gitarre und klagendem Gesang nur noch pure Verzweiflung. Dafür schimmert mit dem zweiten unveröffentlichten Track, "Waving, Smiling", sogar kurzzeitig eine leise Zuversicht durch. Die minimalistischen Versionen der "All Mirrors"-Nummern klingen dagegen so emotional finster wie das Hauptalbum.
Nur leider übertreibt man es an vielen Stellen mit dem Hall. In Kombination mit der recht übersteuerten Produktion erzielen die Stücke oftmals nicht die emotionale Eindringlichkeit der Versionen auf der Hauptplatte. Schon "Too Easy (Bigger Than Us)", auf "All Mirrors" ein hübscher, wenn auch nachdenklicher Pop-Song, verdeutlicht dieses Dilemma, wenn im Refrain die gesangliche Wucht Angel Olsens im matschigen Soundbrei völlig untergeht. Ansonsten gefällt der gegenüber dem Hauptalbum weniger kühle, emotionalere Ansatz.
Weniger Effekthascherei weist dagegen "(New Love) Cassette" auf, das jedoch ohne gefährliche Streicher im Jean-Claude Vannier-Stil ziemlich nackt wirkt. Ebenso "(We Are All Mirrors)", das zwar hier eine spukige Atmosphäre besitzt, dafür aber den düsterpoppigen Charme der späteren Einspielung vermissen lässt.
Im Grunde war der Einsatz von Streichern und die Hinwendung zu artpoppigen Sounds auf "All Mirrors" die beste Entscheidung, die Angel Olsen künstlerisch jemals getroffen hatte. Letzten Endes erwies sich diese Scheibe in all ihrer Dramatik als perfekt. Sie war cineastisches Gefühlskino in seiner schonungslosesten Form.
Es gibt aber auch positive Beispiele, was alles möglich gewesen wäre, wenn sich die US-Amerikanerin voll und ganz auf spartanische Töne besinnt hätte, gerade in der Mitte. "(Summer Song)" lebt einzig und allein von tiefer Indie-Rock-Gitarre und verführerischem Gesang, aber gerade dadurch kommt das veträumte Feeling der Nummer noch besser zum Tragen als auf der Hauptplatte.
Dass dieser zurückhaltende Ansatz überaus gut funktioniert, verdeutlicht weiterhin "Tonight (Without You)", das die Mittdreißigerin auf die gleichen Mittel herunterbricht, nur dass die Saitentöne noch ein wenig tiefer daherkommen. Jedenfalls hat der Song auch ohne jazzige Instrumentierung etwas ungemein Brüchiges. Bei "Lark Song" macht dann die Übersteuerung sogar mal Sinn, jagt nach einem verhaltenen Beginn doch ein dramatischer Moment dem nächsten.
In "Impasse (Workin' For The Name)" erreicht sie allerdings ihren Tiefpunkt. Wenn man Angel Olsen auf dem Hauptwerk wütend "you know best, don't you now" singen hörte, dann gefrierte das Blut in den Adern. Hier bleibt bei dem übertrieben kratzigen Sound nur noch blankes Entsetzen.
Ebenso leiden die beiden Abschlusssongs "Chance (Forever Love)" und "What It Is (What It Is)" unter der ohrenbetäubenden Lautstärke. Allerdings überzeugt immerhin noch die Lana Del Rey-mäßige Stimmführung im erstgenannten Track. Trotzdem wäre auch hier weniger mehr gewesen.
Unterm Strich lässt "Whole New Mess" gemischte Gefühle zurück. Auch eine der wohl besten und wandelbarsten Musikerinnen der letzten zehn Jahre gelingt nicht immer alles. Das macht Angel Olsen aber umso menschlicher.
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