laut.de-Kritik
Dunkelschöne Traumwelten.
Review von Manuel BergerEinen nahezu perfekten Erstling lieferten Avatarium vor zwei Jahren ab. Eine Mischung aus Doom, Pop und Progressive, wie man sie bislang noch nicht kannte, war Leif Edling mit seinem aktuellsten Projekt gelungen. An alle, die Avatarium noch nicht kennen, hier ein gut gemeinter Rat: Das sollte sich schnellstmöglich ändern! Album Nummer zwei steht dem Debüt in punkto Qualität und Hörspaß kaum nach.
Die 2014 zwischengeschobene EP "All I Want" gibt die Richtung vor. Deutlich reduzierter Metal-Anteil, hochgeschraubter Fuzz und Orgeldominanz. Mit letzterem drohte Mastermind Edling ja schon: "Orgel und Rhodes sind lächerlich laut im Mix. Sogar Dr. Carl gibt das zu. Aber ich glaube, das verleiht den Songs mehr Kanten." Ja, Dr. Carl (mit vollem Namen Carl Westholm und auch für Krux aktiv) lässt seine Klänge gerne mal über die Ränder schwappen.
Wie Leif Edling andeutete: Das stört keineswegs sondern bereichert die Stücke ungemein. Egal ob mit Jon Lord-mäßigen Kreischorgeleinlagen oder weirden Melodien. Was könnte ein "Ghostlight" passender vertonen als Westholms Tastenmagie? An den Keyboards lassen sich auch die mittlerweile einzigen Parallelen zu Quasi-Inspirateur Mikael Åkerfeldts Band Opeth feststellen. "Ghost Reveries" sagt hallo. Logischerweise ohne Death-Metal-Faktor.
Denn böse Growls sucht man bei Avatarium natürlich vergeblich. Die Mikrohoheit beansprucht einzig Jennie-Ann Smith, und das ist auch gut so. Ihre Stimme allein macht einen Song schon hörenswert. Immer in Balance zwischen Sanftmut und Kraft, die sich stufenweise aufbaut. Immer mit gewisser kindlicher Faszination im Ausdruck, die hervorragend die Texte widerspiegelt. Diese erkunden dunkelschöne (teilweise in der Realität verankerte) Traumwelten, zimmern eine Art düstere Hippie-Landschaft, mysteriös angehaucht, majestätisch und verspielt zugleich.
Da ist es völlig egal, ob die Rhythmusfraktion gerade im Up-Tempo durch "The Girl With The Raven Mask" pflügt oder in "The Master Thief" die Doom-Wurzeln ausgräbt. Beim Tanz in die Hände klatschen (wortwörtlich) oder schwelgen in Langsamkeit – Avatarium laufen in beiden Fällen zu Höchstform auf. Dass Jennie-Ann Ohrwürmer aus so ziemlich allem herauskitzeln kann, bewies sie schon auf dem Debüt. Gerne bricht sie die Stimmung eines Tracks zudem auf und führt ihn in eine andere Richtung.
Bisweilen sind die Kompositionen daher auf die Sängerin zugeschnitten, mal verhält es sich andersherum. "Hypnotized" etwa ist ein Fall, an dem sich die Vocals stark am Riff orientieren. Vergessen wir deshalb Gitarre und Bass nicht. Die Riffs sitzen, der Sound ist trotz aufgedrehtem Fuzz herrlich differenziert. Markus Jidells Soli sind niemals nur Selbstzweck, setzen immer genau dann ein, wenn man sich eines wünscht und übertreffen die Erwartungen in der Regel. Der Wechsel mit der ein oder anderen Orgelmelodie ist dabei beinahe obligatorisch.
Dynamisch ausgeglichen zirpen Saiten und Tasten manchmal nur, während sie im nächsten Moment die Schattenmonster zum Leben erwecken. Wichtiger Bestandteil der ruhigen Passagen ist dazu die Akustikgitarre, die dem ganzen noch eine zusätzliche Ebene verpasst. "Pearls And Coffins" wäre so ein Beispiel. Gemeinsam mit lebendiger Hintergrundpercussion ergibt sich ein abwechslungsreiches Gebilde, das sich über sieben Minuten hinweg ständig verändert, durch Laut und Leise wandert und schließlich in einem mächtigen Hymnenpart endet.
Tatsächlich ist genau diese Abwechslung vielleicht die größte Stärke Avatariums. Die Band ruht sich niemals auf nur einer Spielweise aus. Während das minimal an Dio erinnernde "Run Killer Run" oder der Titeltrack straight durchrocken, schlagen andere Nummern wie "The January Sea" ständig Haken, springen durch unterschiedlichste Stile, lassen sich dabei niemals eindeutig festlegen.
So sehr es sich aufgrund eines oberflächlichen Eindrucks anböte, "The Girl With The Raven Mask" der sogenannten Retro-Welle zuzuordnen – so einfach machen es Avatarium zum Glück nicht. Ja, sie haben Fuzz, sie haben Orgel, sie lieben Classic Rock und 70er. Doch eines haben die Schweden dieser gesamten "Welle" voraus: Sie lassen sich ums Verrecken nicht mit einer anderen Band vergleichen. Wer die Musik des Fünfers kennt, weiß wovon ich spreche. Wer nicht, sollte das schnellstmöglich nachholen.
Ich wiederhole mich. Lassen wir also wieder Meister Edling sprechen: "Eine Band kann nicht mehr abliefern, als wir es hier getan haben. Es ist ein Album nahe der Perfektion". Mit ihrem Zweitling schrammen Avatarium wirklich nur ganz, ganz knapp an der Höchstpunktzahl vorbei. Richtig gemacht haben sie alles. Und bleiben eine der aufregendsten Neugründungen der letzten Jahre.
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You Are Bewiiiiiiitched...