laut.de-Kritik
Latin-basierte Rap-Musik mit vielen Gastauftritten.
Review von Alexander EngelenIm Hip Hop-Genre gibt es drei Arten von Produzentenalben. Jene, die mit den großen Namen aufwarten - ein Wulst von (aktuellen) Superstars in Endlosschleife. Dann die, die einer vergangenen Zeit frönen - eine Retro-Respektsbekundung mit Beteiligung alter Helden, und schließlich die, die eine neue Idee verfolgen - eine wie auch immer geartete Grenzauslotung des Status Quo.
Eigentlich. Denn auf einmal kommt dieser BK-One, Tour-DJ von Brother Ali und Left Field-Rap-Radiopersönlichkeit aus Minneapolis, daher und macht mir meine schöne Haarspalterei kaputt. Denn dieser Kerl mischt einfach alle drei Kategorien zusammen. Sein Debüt "Rádio Do Canibal" enthält ein paar große Namen, die anerkennende Rückwärtsgewandtheit und den Wunsch, beides ein wenig anders zu verschmelzen. Ausnahmen bestätigen eben doch die Regel.
Die Idee: Von seinen etlichen Trips nach Süd- und Lateinamerika, insbesondere Brasilien, brachte der passionierte Vinyl-Digger BK-One stets Platten aus dem Sound-Universum des Kontinents mit. Bald daraufhin reifte der Wunsch heran, aus den Fundstücken ein Hip Hop-Album zu basteln. Mit Hilfe des Produzenten Benzilla gelingt ihm dieses Vorhaben: Latin-basierte Rap-Musik mit Gastauftritten einer wilden Mischung kontemporärer Mikrofonhalter.
Brasiliens Tropicalia-Bewegung hat es dem Jazz-Enthusiasten besonders angetan. In den Sechzigern verschmolzen im politischen Chaos Brasiliens Kunst-, Musik- und revolutionäre Antihaltung zu einem Kulturmoment, der Freigeister wie den Musiker Gilberto Gil, die schreibenden de Campos-Brüder und den Maler Hélio Oiticica hervorbrachte.
Tropicalia vereinte die Gleichgesinnten, die erst Jahre später auch über die Grenzen Brasiliens hinaus Respekt ernteten. Auch dank der neuen offengeistigen Annäherung Musikbegeisterter Cratedigger der Generation Hip Hop finden Gilberto Gil, Tim Maia, Arthur Verocai und Co. gerade immer mehr neue Fans. Fans wie BK-One. Auch bei ihm bilden Conga Drums, joviale Basslines, Latin Jazz-Bläsersätze, Bossa Nova-Arrangements und Favela Funk den Grundstock, den zudem Rap-Mechanismen der goldenen Ära durchziehen.
Inhaltlich ist ein roter Faden viel schwieriger zu finden. BK-One hat keinen seiner zahlreichen Gäste zu einem grundlegenden Thema gezwungen. Damit bleibt er in der offenen Tradition der Tropicalia-Vordenker, die nichts von Kleingeistigkeit und Vorgaben hielten.
Auf diese Weise klingen die Kollaborationen nur noch interessanter. Raekwon, noch high vom Erfolg des zweiten Teils seines Drogen-Epos "OB4CL", teilt sich Rio-Bläser mit dem Underground-Rapper I Self Devine. Brother Ali beschreibt mit Scarface (!) auf komprimierte Marschtrommeln den "American Nightmare". Neben der Solo-Nummer von The Roots' Black Thought "Philly Boy" auf fransig vibrierendem Bass sicher die Highlights einer durch und durch überzeugenden Platte.
Auf klassischen Sample/BoomBap/Rap-Skizzen ziehen außerdem die Project Blowed-Bagage, Slug, Toki Wright, P.O.S., Blueprint, Phonte und The Grouch ohne Beanstandung mit 90 bpm vorbei. Den Flow unterbrechen lediglich die unaufdringlich platzierten portugiesischen Skits und das wunderbar opulente "Temo Do Canibal".
Eingespielt hat die Instrumentalnummer das Hypnotic Brass Ensemble aus Chicago und klingt dabei, als würde der Karneval von Rio während Mardi Gras durch New Orleans' 9th Ward ziehen. Auf einer Länge von gut 50 Minuten gelingt BK-One eine grundsolide, Skandal-arme Zusammenführung verschiedener Welten - genau das, was ein sich immer weiter ausfransendes Genre wie Hip Hop manchmal braucht.
2 Kommentare
ich habe nicht viel Ahnung von Hip-Hop, aber diese Platte hört sich sehr "smooft" an.
Cool!
Gerade über "Here I Am" gestolpert, das und der Fakt, dass das HBE an der Platte beteiligt sind machen ein Reinhören eigentlich zur Pflicht!