laut.de-Kritik
Einstündige Eloge an seine Heimat Puerto Rico.
Review von Johannes Jimeno"Ich hätte mehr Fotos schießen sollen" lässt uns Benito wissen bei seinem fünften Soloalbum. Der Titel evoziert Nostalgie, Vergänglichkeit, eine gewisse Wehmut. Auf knapp eineinhalb Dutzend Songs reflektiert er über sein Leben und widmet vor allem einer großen Liebe seine Zeilen: Puerto Rico. Seine Heimat stellt er in den Vordergrund, schwärmt über ihre Vorzüge, kollaboriert ausschließlich mit Musiker:innen von der Insel.
Auch musikalisch schlägt sich diese Rückbesinnung auf seine Wurzeln selbstredend nieder. Der Latin Trap des Vorgängers vorerst ad acta gelegt, übernimmt der Reggaeton erneut das Zepter, flankiert von traditionellen Genres. Sozusagen ein zweiter Teil von "Un Verano Sin Ti", jedoch mit bedeutend mehr Lokalkolorit und Intimität. Dem Cover entsprechend bittet er auf einen entspannten Plausch auf Plastikstühlen unter Bananenbäumen, als würde er uns zu sich nach Hause einladen, so geschehen auf "Voy A Llevarte Pa PR".
Eigentlich ein Segen, dass uns Bad Bunny mit einem Sonnenlicht durchfluteten Album im Winter beglückt, vehement trotzt es der bitteren Kälte. "Nuevayol" bittet sogleich zum Tanz, bei dem ein Sample von "Un Verano en Nueva York" von El Gran Combo de Puerto Rico mit Andy Montañez. Ein typischer Representer-Track aus Salsa und Dembow, bei dem er sich als Popstar tituliert. Ebenfalls breitbeinig ertönt "Veldá" mit den beiden Shootingstars Omar Courtz und Dei V, die dem klassischen Reggaeton mit 2010er Einschlag frönen und um die weibliche Gunst kämpfen.
Weitere Vertreter dieser Sorte bilden den sehr guten Standard dieses Mannes, jedoch nicht die Highlights. "Ketu Tecré" probiert sich an elektronischen Spielereien und transportiert einen traurigen Vibe mit melancholischem Mittelteil, bei dem er moniert, dass sein Superstarleben einer Liebschaft zu Kopf gestiegen sei. "Kloufrens", eine mundartliche Schreibweise von "Close Friends", poltert solide, während Benito nicht mit einer Verflossenen abschließen kann, weil er immer noch unter enge Freunde bei ihren Instagram Stories gelistet ist. Das späte "Eoo" holt dann den Dampfhammer raus mit fiesen Synthies und einer rauen Attitüde. Weitaus besser gelingen die süßlichen Momente des Reggaeton, wie das betuliche Duett mit RaiNao auf "Perfumito Nuevo", bei dem gleißende Synthies einen sentimentalen Anstrich verleihen, zudem es einen coolen, verspielten Abgang beherbergt.
Die große Stärke von "Debí Tirar Más Fotos" liegt in der Sanftheit sowie der musikalischen Freude und Leichtigkeit, die einen in ihren Bann ziehen. Das erinnert stark an den Buena Vista Social Club, serviert als moderne Ausprägung. Der romantische Lovesong "Weltita" beispielsweise fusioniert Latin Pop mit Bossa Nova, überzeugt mit abwechslungsreicher Instrumentierung. Im verträumten "Bokete" wagt er sich gekonnt am Bachata und lamentiert über eine nicht ganz ehrliche Freundin. Der Bolero erhält ebenfalls ein Glanzlicht durch das doppeldeutige "Turista" mit gezupfter Gitarre, hallender Stimme und melodramatischem Gesang.
Der Jíbaro, eine ureigene puerto-ricanische Folkrichtung, darf hier nicht fehlen, zum einen im getragenen "Lo Que Le Pasó A Hawaii", in dem Benito sogar politische Äußerungen tätigt und die Gentrifizierung Amerikas kritisiert. Atmosphärisch steigert sich der Song sukzessive, um kurz zu implodieren und elektronisch auszufransen. Zum anderen in "Pitorro De Coco", in dem Party sowie Herzschmerz besungen werden im Kleid lokaler Weihnachts- und Neujahrsmusik.
Plena, ein weiteres Genre der hiesigen Folklore, findet Einzug im lebhaften "Café Con Ron" mit der Band Los Pleneros de la Cresta. Zu traditionellen Rhythmen animieren die Musiker die Menschen dazu, zu tanzen und einfach gute Laune zu haben. Ach ja, Plena gemixt mit Deep House stellt der Sadboy-Banger "El Clúb" zur Schau. So langsam muss man sich fragen, was dieser Bad Bunny eigentlich nicht kann.
Seine Performance ist wenig überraschend über jeden Zweifel erhaben. Mit unnachahmlicher Präsenz und Stilsicherheit ergreift er jegliche Genres, macht sie sich zu eigen und findet Raum für Experimente, die funktionieren. Es verkommt so langsam zu einem Ding der Unmöglichkeit, dass er jemals einen schlechten Song aufnimmt. Beeindruckend und beinahe beängstigend, wie tadellos er seine Qualität hält und das auch bei dieser schieren Masse an Songs pro Album.
Wie ernst er es mit seinem Geburtsland meint, erfährt man im monumentalen Salsa "Baile Inolvidable". Ein bezauberndes Zusammenspiel von allen Beteiligten. Die Instrumentierung stammt von Musiker:innen zwischen 17 und 20 Jahren aus einer Musikschule in San Juan. Breite Synthies und Bläser bereiten die Bühne vor für ein sechsminütiges Wechselspiel unterschwelliger Melancholie, wenn Bad Bunny über das Ende einer wundervollen Beziehung parliert. Dieses Elegische zementiert sich beim Titeltrack "DTMF", wenn ein rührender Chor am Ende einsteigt und über die Flüchtigkeit des Seins und das Erhalten von Erinnerungen sinniert wird.
Mit dem intensiven Salsa "La Mudanza" findet Benito einen überaus persönlichen Abschluss. Er referiert über das Kennenlernen seiner Eltern, die Schönheit Puerto Ricos und dass er trotz seines Status als Megastar immer für sein Volk die Flagge mit Stolz trägt und sich für sie einsetzt. "Debí Tirar Más Fotos" fungiert als einstündige Eloge an seine Heimat, ein Liebesbrief aus Tradition und Moderne mit Charakterstärke sowie viel Gespür für Authentizität.
1 Kommentar
Schönes Album, sagt mir persönlich wieder mehr zu als der Vorgänger. 4/5