laut.de-Kritik
Einmal zu den Sternen und zurück.
Review von Dani FrommBescheidenheit ... eine Zier, auf die Big Boi nur zu gern verzichtet. Als "living legend, rap scholar, art major" stellt er sich vor, "'cause I make major art like Beetvoven, Van Gogh or Mozart". Mit Scheu vor großspurigen Vergleichen hält man sich in Atlanta gar nicht erst auf. "Sir Lucious Left Foot" war gestern. Inzwischen bevorzugt Big Boi den Titel "Sylvester The Unskippable".
"Wer Outkast von Beginn an verfolgt hat, weiß, dass es uns nie um die Singles ging", führte er im Vorfeld aus, versprach neuerlich ein Gesamtkunstwerk. Tatsächlich entpuppt sich "Vicious Lies And Dangerous Rumors" als dermaßen unterhaltsam, üppig und vielseitig, dass das Verlangen, den einen oder anderen Track zu überspringen, gar nicht erst keimt.
"It seems just like yesterday. Where did the time go?" Aus den unendlichen Weiten des Weltalls auf den flauschigen Schlafzimmerteppich und zurück zu den Sternen: In Big Bois Gesellschaft dauert die Reise nur einen Wimpernschlag lang. Man hätte es jedoch nicht mit "official ATLiens" zu tun, wäre dabei nicht auch noch der eine oder andere Abstecher in den Stripclub drin.
Reichlich Pomp, aber auch rohe Gewalt steckt im bratzigen Bläser-Aufmarsch von "In The A", für den T.I. und Ludacris Big Boi flankieren. Die Herren rappen einer wie der andere wie die losgelassenen Viecher. Kid Cudi, B.o.B. und Killer Mike finden sich ebenfalls unter den Gästen. Kelly Rowland steuert Hookline und einen Vers zu "Mama Told Me" bei. "Try not to break too many hearts": ein wahrhaft brauchbarer Ratschlag, Mutti. Danke!
Weit stärker springt jedoch die Beteiligung einer anderen Dame ins Auge. "Sie ist mein neuer Sleepy Brown", freut sich Big Boi über Sarah Bartel, Sängerin von Phantogram, die er sich gleich mehrfach ins Boot holt. Vielleicht sogar ein bisschen viel des Guten: Sorgt Bartels zarter Gesang in "Objectum Sexuality" noch für verblüffende Kontraste, nutzt sich der Effekt im Verlauf doch rasch ab. Bei "CPU" halte ich die zumutbare Dosis an Gesangsanteilen bereits für überschritten, bei "Lines" hätte mir A$ap Rockys "art of storytelling" alleine auch schon genügt.
Filigrane, wie Sternschnuppenschauer vorbei flirrende Elektrosounds, tauglicher Bass und natürlich Big Bois entfesselter "flow tsunami" schwemmen eventuelle Bedenken ohnehin gleich wieder über Bord. Allenthalben schlagen seine Tracks unerwartete Haken, drehen und winden sich und preschen schließlich in eine Richtung davon, die man einen Augenblick zuvor noch nicht hätte vorhersagen können.
Reichlich Soul und Funk steckt in den Synthies von "Vicious Lies And Dangerous Rumors". Der Gesamteindruck bleibt dennoch Lichtjahre entfernt von jedem Retro-Trend. "Vicious Lies And Dangerous Rumors" setzt auf schlüssige Atmosphären, nicht etwa auf verklärende Nostalgie. Für das gepflegte Down South-Gefühl bleibt immer noch genug Raum, für Gitarren – je nach Bedarf elektrisch oder akustisch - ebenso.
Sogar die Zugaben haben es in sich: Das verstörend scheppernde, aber durch und durch funkige "Higher Res" weckt hochwillkommene Erinnerungen an Jamie Lidells und Cristian Vogels Super_Collider-Projekt. "Gossip" - mit UGK und Big K.R.I.T. - haut kompromisslos auf den Putz. Der Lady, die Big Boi, Theophilus London und Tre Luce ganz am Ende im Chor um allerlei Freizügigkeiten angehen, bleibt da ja gar keine andere Entgegnung mehr übrig: "She Said OK".
6 Kommentare
Klingt super! Das Sir Lucious Left Foot-Album war schon bombe. Big Boi ist unhatebar!
Beim Vorgaenger hat der Abwechslungsreichtum bei mir dazu gefuehrt, dass ich irgendwann gelangweilt war. Hansdampf in allen Gassen, aber da war kein einheitliches Soundbild.
Fand den Vorgänger klasse, hoffentlich ist die Scheibe ähnlich gut
Jop der Vorgänger war wirklich gut. Mal schaun.
Bin riesiger OutKast-Fan und vergöttere die beiden nahezu. Umso gespannter war ich "damals" drei bis vier Jahren auf Big Boi's Erstling. Nach etlichen Verschiebungen kam es dann 2010 raus.
Es hatte nicht diesen typischen OutKast Flair. Songs wie Shutterbug hätte es mit Andre wohl nie gegeben, obwohl der Song gut ist. Irgendwie hatte ich aber das Gefühl, dass Album enstand mit zu vielen verschiedenen Producern aus zu vielen unterschiedlichen Bereichen. Zu sehr mochte ich Southerplayalisticadillacmuzik, dass von Organized Noize produziert wurde.
Insgesamt wurden alle OutKast Alben von Organized Noize, Earthtone 3 (Big Boi, Andre Mr. DJ) und gelegentlich Gast-Producern produziert. Daher hatten alle Alben zwar unterschiedliche Sounds aber ein einheitliches Klangbild.
Seit Sir Lucious Left Foot aber lässt Big Boi zu viele Leute an sein Werk. Zwar nur die Besten ihres Faches oder er lässt sie zur Hochform anlaufen... dennoch ist es nicht immer der Sound, den ich mir mit Big Boi wünsche. Songs wie Apple of my Eye (produziert von Mr. DJ (sozusagen dass dritte OutKast-Mitglied)) oder Lines, bzw. Daddy Fat Sax (ebenfalls Mr. DJ) vom Vorgänger lassen erahnen wie gut sich ein neues OutKast Album mit beiden Rappern anhören würde. Es wäre der Wahnsinn.
So bleibt VL DR ein sehr gutes Album, was leider nicht den irgendwie-doch-erkennbaren-OutKast-Sound vorzeigen kann - nur vereinzelt.
Wie auch beim Vorgaenger: alles sehr gut, Ohrwuermer ohne Ende, aber man wird es sich wahrscheinlich schnell totgehoert haben. Den Punkt habe ich bisher noch nicht erreicht, aber vermute, dass er bald kommen wird. Der Grund ist, wie gesagt, der uebertriebene Abwechslungsreichtum, der keine durchgehende Stimmung und Atmosphaere zulaesst (Gegenbeispiel waere Chief Keef-Album). Dafuer hat es mich angespornt, OutKast-Debut nochmal zu hoeren. Bestes Stueck natuerlich 'In The A', 'Lines' auch super, obwohl ich auf A$AP Rocky echt verzichten kann.