laut.de-Kritik
Detroits Dilla findet die richtigen Raps.
Review von Yannik GölzIn den vergangenen Jahren hat sich instrumentaler Hip Hop als eigenes Genre emanzipiert, das sich in Sachen Hörverhalten den neuerdings typischen Verbreitungsformen anpasst. Gigantische YouTube-Kanäle wie ChilledCow oder Provocative Educative stellen täglich Musik zwischen Dilla und Knxwledge ins Netz, die Samples und Drumloops eine ganz neue Ästhetik anheften: Müde Anime-Mädchen erinnern nun an den schrägen Internet-Eigenbrötler-Vibe, den die Simpsosnwave ihrerzeit PC Music verliehen hat.
Psychedelischen und afrozentrischen Alben-Artworks scheint im World Wide Web ein ähnliches Versprechen wie Psychedelic- und Post-Rock-Covern innezuwohnen. Folgerichtig entwickelt sich ein neues Publikum, das in seinen Ansprüchen auch das Releaseverhalten zeitgenössischer Produzenten verändert.
Da ist es interessant, dass sich das Schaffen eines Rapper-Producers wie Black Milk scheinbar fast unbewusst an diese neue Demographie anpasst. "Fever" geizt nicht nur nicht mit Anleihen an kontemporäre Revivalisten wie Joey Badass oder Aesop Rock. Der Gesamteindruck des Projekts gerät zudem entspannter und ruhiger, als der Detroiter Produzent in der Vergangenheit geklungen hat. Scherzte man früher noch, dass sein Rap der Zoll für seine Beats sei, scheint Black Milk auf seiner neuen Platte genauer zu wissen, was sein Gesamtbild erreichen will.
Natürlich steht der Einfluss von Großmeister J. Dilla immer noch an der Speerspitze der Referenzpunkte, aber wohlklingende Funk- und R'n'B-Versatzstücke wie auf wie "2 Would Try" oder "True Lies" erinnern überraschend deutlich an die aktuellen Wege von Produzenten wie Kaytranada oder BadBadNotGood. Der psychedelische Synth-Einspieler "eVE" könnte in seiner Ästhetik fast schon auf Thundercats "Drunk" landen. Die Samples speisen sich aus typischen Quellen der alten Schule, bleiben aber zumeist low-key und unaufdringlich. Den entspannten Vibe komplettieren Drums wie aus der Trickkiste von einem Madlib oder Pete Rock.
Einer der wichtigen Beobachtungen auf "Fever" ist dabei die Emanzipation von Milks Vocals. Auch wenn der Mann immer noch auf nahezu jedem Titel rappt, avancieren seine Rapparts hier vom obligatorischen unreflekierten Aufsetzer zu geplanten und strategisch sinnvollen Akzenten: Die Verses kommen pointiert und ausbalanciert daher, nehmen aber im Gesamtbild der Platte weniger Raum ein, als die Instrumentals selbst aufwerfen würden.
Die Konsequenz aus dieser Entscheidung ist ein Album, das viel Atemraum besitzt. Der gibt perfekten Sinn, immerhin sind es allen voran die Samples und ästhetischen Auseinandersetzungen mit dem Leitmotiv, die eine wirkliche Kommunikationsleistung erbringen. "Fieber" titelt das Projekt ja, und doch klingt es nur unwesentlich negativ. Es scheint, als wolle Black Milk hier Schwermut über Kontraste einfangen. Die Melancholie kommt auf Titeln wie "Drown" oder "Dive" eher in klanglichen Nuancen als in konkreten Momenten zustande.
Die Vocals wollen nicht mehr die Hardliner-Stimmung von Detroiter Untergrund-Größen replizieren. Statt Bizarre könnte man eher einen frühen Kendrick Lamar festmachen, unnötige Doubletime-Einlagen und wahllose Angebereien fallen zu Gunsten eines charakterstärkeren Stimmeinsatzes weg.
Auch hier lohnt sich wieder der Vergleich zu Zeitgenossen wie 9th Wonder oder Thundercat, die auf vergangenen Tapes ja ebenfalls menschliche Zustände auf der MPC erkundet haben. "Drunk" ist vielleicht der sinnvollste Vergleich, denn auch wenn sich dieses Album mit einer komplett anderen Stimmung und einer völlig anderen Ästhetik auseinandersetzt, scheint die Herangehensweise und das Kohärenzgefühl der Projekte überaus ähnlich. Da fügen sich die relativ apathischen, technisch sauberen Vocals von Black Milk eher als letztes Detail statt als Kernstück in den Mix ein.
Vielleicht ist "Fever" Black Milks bisher rundestes Album. Dass die Produktion auf allgemeinem Top-Niveau mitspielt, dürfte sich ja herumgesprochen haben. Aber mit einem (bewussten oder unbewussten) Wandel in den Einflüssen und Ambitionen geht Milk einen Schritt weiter, der sich in dieser Dekade bereits auf Platten wie "No Poison No Paradise" oder "If There Is A Hell Below" abgezeichnet hat: Er will nun kein technisch beeindruckender Hardcore-MC mehr sein, sondern schafft Musik, die sich selbst gerecht wird. "Fever" ist einheitlicher, homogener und in sich selbst geschlossener, ohne bisherige Stärken des Rappers und Produzenten verloren gehen zu lassen.
2 Kommentare mit einer Antwort
Detroit`s Dilla ?
Beste Subheadline
Solides Album!! Wertung geht komplett klar.