laut.de-Kritik
Bock auf BÖC? Oh, ja!
Review von Ulf KubankeBlue Öyster Cult gelten als die Credibility-Könige der Rock- und Metalszene. Stephen Kings Lieblingsband, maßgebender Einfluss für Alternative-Ikonen wie Sonic Youth/Hüsker Dü, Kollabos mit Freundin Patti Smith und Erfinder des Heavy Metal-Umlauts, der sogenannten Röck Döts. Mit der kompletten "Columbia Albums Collection" legen sie eine Werkschau hin, die mit 17 CDs nahezu alle Alben bis auf die letzten beiden enthält. Elf Studioplatten, vier Lievescheiben und zweimal Raritäten. Bock auf BÖC? Oh, ja. Es lohnt sich!
Die kompositorische Qualitätsdichte der 1967 unter dem Namen Soft White Underbelly gegründeten Pioniere bleibt dabei ebenso erstaunlich wie unerreicht. Bereits das Debüt aus dem Jahr 1972 zeigt eine künstlerisch gefestigte Band, die musikalisch ganz genau weiß, was sie will.
Prog verschmilzt mit eingängigem Hardrock. Dazu eine ordentliche Kelle Psychedelic und eine Prise Noise der Marke Stooges oder MC5, sowie oft hochliterarische Texte, die man entweder selbst verfasst oder sich von befreundeten Autoren à la Michael Moorcock oder Sandy Pearlman auf den Leib schneidern lässt.
Unbedingt anchecken: Den Rockklumpen "Cities On Flame With Rock And Roll" und seine surrealen Schwestern "She's As Beautiful As A Foot" und "Then Came The Last Days Of May". Dem anspruchsvollen, dabei höchst unterhaltsamen Stil bleiben Blue Öyster Cult auf den beiden grandiosen Folge-LPs "Tyranny And Mutation" (1973) und "Secret Treaties" (1974) treu. Die Trilogie zementiert musikhistorisch ihren Platz als Inspiration für die amerikanische Indieszene der 80er. Auch Punkbands vom legendären Label SST ("Minutemen") oder Mike Watt zeigen sich nachhaltig beeindruckt.
Besonders die beiden 1974er-Perlen "Flaming Telepaths" und "Astronomy" lohnen das Entdecken. Ersteres geht als Beweis dafür durch, dass Rock zur Partymucke taugt, und dennoch komplex sein darf. Das wundervolle "Astronomy" bezaubert mit harten Gitarrenriffs und einem herrlich schwelgenden Pianoarrangement. vielen gilt der Track als ihr bestes Lied überhaupt.
1975 erscheint mit "Agents Of Fortune" Blue Öyster Cults wohl bekanntestes Album. Das liegt nicht zuletzt am ewigen Überhit "Don't Fear The Reaper" und an Patti Smiths Vocals auf "The Revenge Of Vera Gemini". Im Vergleich zu seinen Vorgängern erscheint die Platte musikalisch deutlich konventioneller gestrickt. Das pessimistisch hypnotische "This Ain't The Summer Of Love" griffen hernach sowohl der Postpunk (Current 93) wie später der konzeptionell miesepetrige Grunge ("L7", "Green River") auf.
Als erste Kombo überhaupt inszenierten die Blauen Austern ihre Livekonzerte als Lasershows. Entsprechend deutlich bereits die strahlende Optik des Covers vom 1977 erschienenen Longplayer "Spectres". Mit dabei: Der Monsterhit "Godzilla" und das Horrorfilm-taugliche "I Love The Night".
"Mirrors" kultiviert ihr lyrisches Fantasy-, Horror- und Science Fiction-Image. Die eigentlich schönen Songs kranken nach einem Produzentenwechsel jedoch deutlich an Drucklosigkeit und anämischem Sound. Mit dem Übergangsalbum "Cultosaurus Erectus" (Anspieltipp: der Live-Abräumer "Black Blade") steigt Superproduzent Martin Birch (unter anderem Fleetwood Mac, Deep Purple, Rainbow, Iron Maiden, Black Sabbath, Whitesnake) 1980 als Producer ein.
Doch erst das superbe "Fire Of Unknown Origin" bringt die Truppe 1981 wieder kreativ in die Spur und chartet angemessen erfolgreich. Trotz nicht unerheblicher Radiotauglichkeit finden sie zu alter Stärke zurück. Großer Classic Rock, der Freunden von Magnum, Russ Ballard, Journey, etc. gefallen wird. Bis heute ihr Kultalbum und ihre Visitenkarte.
Beim atmosphärischen Titelsong schreibt Patti einmal mehr mit. Das hymnische "Burning For You" bringt ihre Hitqualitäten auf den Punkt und wurde seither oft gecovert. Das düstere "Veteran Of The Psychic Wars" hat die jungen Metallica nicht unerheblich beeinflusst.
Höhepunkt der Platte und mein persönlicher Lieblingssong ist das herrlich fiese "Joan Crawford". Die 1977 verstorbene und als Schreckschraube und Tyrannin gefürchtete Hollywooddiva steigt aus ihrer Gruft und lehrt Amerika als Zombie das Fürchten. "Policemen are hiding behind the skirts of little girls. / Their eyes have turned the color of frozen meat." Der perfekte Rocksong!
Ohne den im Streit geschiedenen Mitgründer Albert Bouchard geht es mit "The Revolution By Night" (1983) und "Club Ninja" (1985) weiter in straighte AOR-Gefilde. Weniger übersinnlich und fast komplett ohne Gruselelemente. Mit Kloppern wie "Eyes On Fire", "White Flags" und den US-system-kritischen "Make Rock Not War"/"When War Comes" aber immer noch in der Lage, Genrebands wie Toto oder den damals angesagten Survivor musikalisch zu enteilen. Besonders der neuerliche Antikriegshardrock galt BÖC als bewusste Gegenposition zum tumben Patriotenrock von Stallones "Eye Of The Tiger"-Truppe.
"Imaginos" (1988), ihr letztes Columbia-Album, entpuppt sich als ihr kuriosestes Werk. Inspiriert von Sandy Pearlmans gleichnamigem Gedichtzyklus, aus dem auch der Bandname stammt, schrieb Ex-Mitglied Albert Bouchard die Lieder zwischen 1972 und 1981 als geplante Solo-LP. Eine Produktion, die sich über sieben Jahre hinzog und mit Edelgästen wie Joe Satriani oder Robbie Krieger (Doors) aufwartet, errettet die zerfahrene Rockoper nicht vor dem Eindruck des Überambitionierten.
Stattdessen gibt es mit "Some Enchanted Evening" (1978) und "Extraterrestrial Live" (1982) zwei sehr unterschiedliche, aber höchst bemerkenswerte Liveplatten, die sich qualitativ keine Sekunde hinter Klassikern wie etwa Deep Purples "Made In Japan" verstecken müssen. Vor allem letzterem hört man die wuchtige Spiellaune nach den überraschenden Erfolg mit "Fire Of Unknown Origin" deutlich an.
Einziger kleiner Kritikpunkt: Die Bonustracks und Raritäten wirken trotz eines coolen Stephen King-Vocal-Schnipsels ein wenig beliebig und haben der Essenz dieser außergewöhnlichen Band nicht viel hinzuzufügen. Dafür muss man den remasterten Sound loben. Sämtliche Platten klingen deutlich voller als die Originale. Wer nach diesem tollen Boxset immer noch mehr Austern-Appetit hat, kann sich getrost die beiden empfehlenswerten, wesentlich härter rockenden "Heaven Forbid" und "Curse Of The Hidden Mirror" zulegen.
9 Kommentare
Christina...Mother's home...:D...ich mag ja auch die Some Enchanted Evening gern. Bisschen kurz für ein Livealbum, aber dafür ist ein herrliches Cover von We Gotta Get out of This Place drauf.
du sagst es....
HAHAHA wie geil, nachdem ich The Reaper selbst schon mit Band gecovert habe bin ich letztes Wochenende mal auf Burning for you gestoßen und habe beschlossen mehr von der Band zu suchen. Danke Ulf
Oh Entschuldigung, es muss natürlich BÖC heißen, mit Umlaut
das ist nicht technisch gemeint...ist halt kein durchschnitts AOR a la "africa", sondern allein textlich deutlich weniger kommerziell....und nicht so glatt wie die damalige konkurrenz im radio.....@Radiohead9 (« Ich besitzte nur die ''Some Enchanted Evening'' Liveplatte und die finde ich großartig. Mit dieser Diskographie werde ich mich wohl noch ein bisschen genauer auseinandersetzen müssen.
Darf ich noch fragen, wie das gemeint ist mit:
?aber immer noch in der Lage, Genrebands wie Toto musikalisch zu enteilen.?
Ist damit gemeint, dass die Platten von BOC nicht so kommerziell waren oder dass BOC Toto in musikalischer Hinsicht überlegen sind.
Denn ich weiß nicht, ob es (vielleicht mit Ausnahme von Bands im progressiven Bereich wie z.b. Dream Theater oder Animals As Leaders) bessere und versiertere Musiker in einer Band als Toto gibt. »):
Das stimmt, es ist weniger kommerziell.
Jedoch ist es ein Riesenfehler, Toto und ihre wunderbare Diskographie nur auf ihre 3 Radiohits zu beschränken.
Aber ansonsten stimme ich überein