laut.de-Kritik
Vom Aufbrechen und Ankommen.
Review von Anastasia HartleibNach drei Jahren Wartezeit stellt uns Bonobo cineastische Soundmalereien vor die Füße. In "Migration" baut der Sample-Meister minimalistische Soundgerüste, die eine Geschichte erzählen: "Das Leben hat Höhen und Tiefen, laute und stille Momente, schöne und hässliche. Musik ist die Reflektion des Lebens."
Seine persönliche Idee von Identität und Zuhause hat einen ziemlich großen Einfluss auf den Sound von "Migration", sagt er selbst. Ist Zuhause da, wo du bist, oder da, wo du herkommst? Im Zusammenspiel aus Vorwärtsgehen und Ankommen, der Abfolge von Aufbau, Einrichten und wieder Abbrechen, liegt der unverkennbare Kern dieser Platte.
Bonobo beginnt mit einem Gitarrenton, der sachte vor sich hin läuft, und den kurz darauf ein Piano ergänzt. Erst langsam öffnen sich die Synth-Klänge, die den Sound immer voller und düsterer machen. Ein Schlagzeug bildet die Wand, vor der alles andere in "Migration" stattfindet, bevor es wieder verschwimmt.
Das Album bietet Ausflüge in alle Ecken der musikalischen Welt: in östliche Regionen ("Ontario"), marokkanisch-housige Klangwelten ("Bambro Koyo Ganda" zusammen mit der New Yorker Band Innov Gnawa) und auch in Popgefilde ("Surface" mit Nicole Miglis von der Indie-Elektronik Band Hundred Waters oder "No Reason").
Während bei "Outlier", der Song zu seinen gleichnamigen DJ-Shows in New York, die klassischen Elemente elektronischer Musik auf knapp acht Minuten Spielzeit vereint, will man bei "Grains" einfach nur den Vocal-Samples lauschen und auf den weichen Synth-Wolken schweben, die über den Beat tragen.
"No Reason" zusammen mit Nick Murphy aka Chet Faker war eine passend gewählte, erste Singleauskopplung, wenngleich auch etwas poppiger als der Gesamtsound von "Migration". Sehr minimalistisch erzeugt eine stringente Bassline eine klare Struktur, die Klicken und Flimmern durchzieht, bis sich große, hallige Räume öffnen. "Pictures of people who don't make a sound when music's around." Mehr Bild geht nicht.
Als ersten Song für "Migration" hat Bonobo "Kerala" aufgenommen. Man will förmlich in diese Welt voller synthetischer Klänge eintauchen. Das Vocal-Sample von der R'n'B-Sängerin Brandy macht alles vergessen, was um einen herum passiert. "Second Sun" wiederum versprüht das Gefühl des Ankommens und bringt das Migrations- bzw. Bewegungsthema der Platte wieder auf.
"7th Sevens" leitet mit einem voranschreitenden Bass und sanften Soundplatten, die ein komplexes Gewebe ergeben, das Finale ein. "Figures" klackernde Stakkatoklänge umspielt und umschmeichelt das genial gewählte Vocal-Sample. Der letzte Song endet mit ganzen zwanzig Sekunden vollkommener Stille, die den Raum dafür geben, das Gehörte ausklingen zu lassen.
Bonobo lässt sich wie immer auf keine bpm-Zahl festnageln. Von 90 bis 130 Schlägen pro Minute ist alles dabei. Selten hat man ein so dynamisches und doch in seinen Wurzeln fest verankertes Gesamtkunstwerk gehört. Das Artwork fügt sich perfekt an den Klang von "Migration" an und gibt den einzelnen Sounds Farben.
"Es ist spannend zu sehen, wie eine Person Einflüsse von einem Teil der Welt in einen anderen bringen und so wiederum diese neue Welt beeinflussen kann. Mit der Zeit entwickeln diese neuen Orte eine neue Identität." Bonobo bringt sein Album selbst auf den Punkt.
2 Kommentare
Das hier liest sich zumindest mal, als gäbe es bei Bonobo wieder mehr Interessantes für mich zu entdecken als auf dem Vorgänger, der mir doch zu glatt und durchgehend an Pop angeschmiegt daher tönte. Freu mich auf's Listening- Wochenende.
Dass er mit Chet Faker gearbeitet find ich hier schon mal ganz interessant