laut.de-Kritik
Open-Air-Soundtrack mit Hip Hop-Exkursen.
Review von Maximilian FritzMit ordentlich Moll beginnt Caribous neues Album "Suddenly": "Sister, I promise you, I'm changing", melancholisiert Dan Snaith im zweiminütigen Opener "Sister" über eine Synthesizer-Melodie, die den Lyrics den nötigen Raum lässt. "Brother, you're the one who must make changes", ergänzt er anschließend. Der gebürtige Kanadier thematisiert gleich am Anfang die #metoo-Debatte, mit der er sich im Vorlauf intensiv beschäftigt hat, und weiß dabei ganz genau, welches Geschlecht die Hauptschuld trifft.
Ungewöhnlich politisch und sozial engagiert beginnt damit ein Album, das der Künstler selbst in weiten Teilen als Antithese zum vorangegangenen, poppigen "Our Love" ins Feld schickt. Experimenteller soll Caribous Sound wieder werden, keine Stadion-LP mehr mit Überhits wie "Can't Do Without You". Aus hunderten Skizzen habe Snaith für die Platte schöpfen können, heißt es. Freund und Musikerkollege Four Tet half ihm dafür bei der Auswahl.
Vor diesem Hintergrund überrascht es durchaus, dass mit "You and I" an zweiter Stelle eine dem eben erwähnten Hit stellenweise sehr ähnliche Nummer ihren Platz findet – die seltsam deplaziert wirkenden Trap-Interludes, die sich immer weiter in die Länge ziehen und wie Schweröl aus den Boxen tropfen, mal ausgenommen. Hier wird plakativ Altes eingerissen, um Neues um der Innovation willen zu erschaffen, Experimentalmusik verkommt zum Selbstzweck.
"Sunny's Time" setzt auf ein träumerisches Piano, das wie zu "Pelican Narrows"-Zeiten einen Hip Hop-Beat vorwegnimmt, der anschließend mit Rap-Samples in Fahrt kommt und sich wieder in Luft auflöst. Snaith hat sich hier erneut viel vorgenommen, das zur Schau gestellte Ideenreichtum fasziniert und bestürzt gleichermaßen, skizzenhaft ziehen die Tracks vorbei. Immer deutlicher kristallisiert sich zudem heraus, dass er seine Inspirationen inzwischen nicht mehr in der Club- bzw. Indie-, sondern der Rapmusik sucht.
Das grandiose "New Jade" bestätigt das eindrucksvoll. Ein zerstückeltes Sample, eine kunstvolle Melodie, die in ihrer elusiven Poppigkeit an Four Tet erinnert, Snaiths sonores Organ über allem thronend – hier geht die Formel auf. Auch mit reichlich Effekten und Western-Anmutungen am Ende. Ein Ende übrigens, das wieder kein richtiges ist. Fast alle Tracks wirken merkwürdig ausgefranst, ein Zeugnis von Unausgegorenheit und kindlicher Freude im Studio gleichermaßen.
Dann die Vorabsingle "Home", die schon fast als lupenreine Beatmaker Instrumental Hip Hop-Blaupause durchgeht. Ein Soul-Sample von Gloria Barnes und funkige Gitarrenakzente sprechen eine deutliche Sprache. Der Clou: Snaith tritt in ein heiteres Duett mit dem Sample und erschafft so den morgendlichen Alarmton für sämtliche Start-Up-Mitarbeiter Berlins. "Lime" im Anschluss rubriziert man eher wieder unter dem Pop-Etikett, ein abermals unorthodoxes Outro und Ethno-Nuancen sollen aber für Abwechslung sorgen.
"Never Come Back" prescht dann auf geradem Beat vorwärts, exerziert die traditionelle Caribou-Formel zwischen dem Husarenstück "Swim" von 2010 und "Our Love" durch. Hier liegt definitiv das meiste Hitpotenzial, die halbalternative Open Air-Saison hat ihren Zeltplatz- sowie Aftermovie-Soundtrack gefunden. Auch Snaith kann sich dem ewigen Joch des Experimentalmusikers nicht entziehen: "Never Come Back" wird im Gedächtnis hängenbleiben, seine phasenweise wirklich gelungene und kreative Melange aus Hip Hop, exzessivem Sampling, zeitgenössischem Pop und anspruchsvoller Instrumentalisierung ("Like I Loved You") wohl eher weniger.
In "Magpie" wird dann zunächst kräftig gefiltert, erst nach eineinhalb Minuten dringt der Track an die Oberfläche. Anfangs klingt Snaith beinahe wie ein Beatle, nach dieser Kuriosität weiß die Nummer aber nicht so recht, wo sie hinwill. Anders dann "Ravi" mit peitschenden Hi-Hats, satten Kicks und einem der zahlreichen hochgepitchten Samples, die auf "Suddenly" zum Einsatz kommen. Hier ertönt durchweg solider Pop, der allemal spannender und einladender wirkt als Formatradio-Produktionen. Der in angrenzenden Genres wie House, Hip Hop oder Indie fischt, teilweise an der Grenze zur Belanglosigkeit entlang schrammt. Das pendelt dann wahlweise zwischen Beliebigkeit und spielerischer Innovationsfreude.
Das balladeske "Cloud Song" zum Ende illustriert dies über sieben Minuten nochmals in aller Eindeutigkeit. Snaith, der, auch dann wenn er Zeilen wie "Don't Tell Me What To Do" säuselt, den Eindruck vermittelt, er könnte keiner Fliege was zuleide tun, ist mit seiner Stimme Fluch und Segen für die Tracks zugleich. Teils erstickt er den sachte aufflackernden Drive, manchmal befeuert er grazil die transportierten Emotionen – im behutsam instrumentierten Closer ist eher zweiteres der Fall.
Mit "Suddenly" gelingt Caribou, der mit Daphni übrigens auch ein reines Dance-Projekt unterhält, ein Album, das das Pop-Appeal des Vorgängers konstant hält. Dieses garniert er mit Experimenten, die sich meist, ganz en vogue, beim Hip Hop bedienen. So entsteht ein Genre-Mix, der unterhält, aber nur selten Außergewöhnliches schafft.
2 Kommentare
Album ist top geworden!
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