laut.de-Kritik

Brillantes Hämmern, Hacken und Orgeln zu Textinhalten des Roots-Reggae.

Review von

Auf dem Album "Timeless" von Chezidek geben sich die klassischen Zutaten des Roots-Reggae die Klinke in die Hand. Mit seiner talentierten Begleitband erzeugt der Jamaikaner aus Bob Marleys Geburtsort St. Ann eine 37-minütige Wohlfühlphase mit richtig guten Songs und einer Soundgestaltung wie aus dem Lehrbuch der 'Ever-rizing' Roots-Predigt. The Ligerians steuern Keyboard-Spielereien bei und sorgen im Titellied für etwas Freches und Frisches inmitten des gleichmäßigen One Drop-Beats. In "Let's No Say" geht es an den Tasten noch etwas orgelnder zur Sache, so dass der Soul im Reggae nicht zu kurz kommt.

Entsprechende Soul-Wurzeln innerhalb des Reggae überwuchern auch die anrührende Ballade "No Solutions In Their Lies". Chezidek singt von betonierter sozialer Ungleichheit; so aktuell wie zeitlos. Während die Keyboards kirchlichen Gospel-Soul entrollen, hämmern und hacken Bass und Schlagzeug eine klare Roots Dub-Spur unter die klagende Stimme Chezideks, alles in bestechender Präzision.

Aber: "Nicht Neues soweit", gesteht der Barde selbst ein, und fährt fort: "Nur die Reichen werden reicher / und der Arme funktioniert immer noch im System / und das einzig gerechte Teilen, das wir sehen / ist, wenn der Regen runterkommt." Chezidek reimt "rain fall" auf "ball" - das Wort für den Nicht-Rastafari oder verkappten Gläubigen, der in seinem Job (oder als Kind in der Schule) keine Dreadlocks tragen und sich seine Spiritualität nicht anmerken lassen darf. Der Sänger klagt über eine "secret agenda" korrupter Politiker. Es klingt ein bisschen nach Verschwörungstheorie, doch die tiefe Traurigkeit in Chezideks Gesang überzeugt: Er glaubt, was er singt, und immerhin muss man konstatieren, dass das jamaikanische Gesellschaftssystem anno 2020 durch Schmiergelder am Laufen gehalten wird, die nur wenigen zugutekommen und in vielen den starken Wunsch nach Auswanderung wecken.

Dafür immer wieder neue Töne zu finden und darüber neue Geschichten zu erzählen, scheint schwierig und das Potential ausgelutscht. Die letzte große Welle von Protoje, Kabaka, Nattali Rize und Chronixx wirkt, als habe sie sich fürs Erste weitgehend auserzählt. Chezidek, der altersmäßig Papa von Chronixx sein könnte, überrascht nicht die Bohne, wenn er feststellt: "I Love Jah". Das dachten wir uns schon vor dem Auflegen der Platte. Die besten Gitarrenlicks und Bassläufe des Genres täuschen hier nicht darüber hinweg, dass Visionen und neue Ideen fehlen.

Die andere Seite: Im Nachbarland Frankreich blüht dankenswerterweise diese richtige handgemachte Reggae-Rezeptur wieder auf, die man stoisch durchspielt. Sie kleidet bissige, triste Texte in ein 'Happy-go-Lucky'-Musikbett. Frei von Weichspülerei, Stilfusionen und Elektronik.

The Ligerians sind dort zuhause und mehr als eine ausführende Backing-Band. Sie agieren auf "Timeless" mit einem solchen klanglichen 'Jamaikanismus', wie er auf der Insel selten wurde. Sie nähen die dichten Sound-Texturen, auf denen Burning Spear, Third World und die Twinkle Brothers in den 70er Jahren das große Narrativ der sozialen Schieflage in der postkolonialen Ära einführten. Der Neo-Liberalismus gerann zum starren Feindbild. Chezidek greift ihn nicht mit großer Geste, sondern unauffällig und nach dem Motto 'Steter-Tropfen-höhlt-den-Stein' an. Im Gegensatz zu vielen ebenbürtigen Acts hält er an seinem Release mitten zwischen Konzert- und Kontaktverboten fest und auch an seinen Themen, während sich auch in Reggae und Dancehall die Acts nur so vor Corona-Hymnen überschlagen.

Die Drums trommeln passend zu so viel Problembewusstsein holprig und hart. Chezideks Sorte Reggae wirkt anachronistisch, auch wenn er im Akustik-Track "It Comes Down To Love" auf Plastikmüll im Meer Bezug nimmt. Chezidek und The Ligerians bleiben zwar Hymnen und Hits hier schuldig. Handwerklich aber schreiten sie auf einem so extrem hohen Level zur Tat, dass "Timeless" ein passender Titel ist. Die Spielarten reichen von 'sportlich' in "It's Allright" über 'nachdenklich' in "Over The Mountains", bis 'dramatisch' und 'melancholisch' in "No Solutions In Their Lies". Give it a shot!

Trackliste

  1. 1. Beat Dem
  2. 2. It's All Right
  3. 3. Over The Mountains
  4. 4. Timeless
  5. 5. Let's No Say
  6. 6. No Solutions In Their Lies
  7. 7. Ready For The Show
  8. 8. I Love Jah
  9. 9. It Comes Down To Love

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