laut.de-Kritik

Slamdunks statt Techno.

Review von

Seit Jahren macht Drake jährlich ein Album, mit dem er auf die Kritik an seinem letzten Album reagieren möchte – und irgendwann nutzt es sich ab, dass der größte Rapper der Welt wieder und wieder um Mitgefühl für sein vermeintliches Unterschätztsein bittet. Seit dem kommerziellen Hoch von "Views" 2016 springt er auf jede neue musikalische Welle, feilscht paranoid um die eigene Relevanz (als wäre die jemals gefährdet gewesen) und reitet sich trotzdem mit jedem schlechter werdenden Projekt tiefer in die Kritiken, denen er eigentlich entgehen will. Denn trotz nie fehlender Hits haperte es am Hunger. "Her Loss" zeigt nun mit einem gut aufgelegten 21 Savage als Trainer in der eigenen Ecke, dass Drizzy kein House-Album machen muss, um seine Ambition zu beweisen. Denn wenn er einfach geil rappt, kommen die guten Songs von ganz allein,

Um eins direkt klarzustellen: 21 Savage ist als Lead-Artist mit angegeben, spielt diese Rolle aber nur bedingt. Der kaltblütige Atlanta-MC agiert hier eher als Co-Pilot, als ein verlässlicher, manchmal etwas eindimensionaler Kontrastpunkt, der Drake davon abhalten soll, sich zu sehr in den eigenen Kopf zu verrennen. Wenn man nämlich dessen "Pussy"-Adlibs im Ohr hat, passieren einem musikalische Missgeschicke wie "Falling Back" wohl nicht. Auch wenn Vergleiche mit dem früheren Atlanta-Kollabo-Album "What A Time To Be Alive" mit Future naheliegen, hinken sie doch. Das war nämlich Drakes Praktikumsbericht aus ein paar Monaten Magic City-Ausflug in die Klangwelt von Future und seinen Produzenten.

"Her Loss" ist Drakes Sound durch und durch, 40-Sounddesign und OZ- und Tay Keith-Beats statt Metro Boomin. Stattdessen co-moderiert 21 wie Ghostface Killa auf "Only Built 4 Cuban Linx" - und hat zudem den Vorteil, dass er und sein kanadischer Kompadre sich wohl wirklich gut leiden können. So zeigt bereits der Einstieg "Rich Flex" ein beeindruckendes Level an Synergie, bemerkenswerte kleine Austausche und Hooks, in denen die beiden sich gegenseitig hochhypen, verdammt starke Rap-Parts von beiden Seiten und ein halbes Dutzend Beatwechsel in unter vier Minuten. "The bad bitches waitin' on a n*gga like I'm PND / I'm steady pushin' P, you n*ggas pushing PTSD" flowt Drake so lebendig wie schon lange nicht – und 21 Savage reiht mit Lines wie "I might slap a tracker on his whip and get the addy / Don't call me on Christmas Eve, bitch, call your daddy" Gemeinheiten aneinander, die erst mit seiner innerlich toten Stimme so richtig humoristisch zur Geltung kommen.

Erfrischend stellt man fest: Es gibt im Gegensatz zu anderen Drake-Alben hier kein musikalisches Gimmick, kein Afrobeat, kein Dancehall, kein Grime, kein House, keine musikalische Strömung, für die er sich nach zwei Wochen Beschäftigung als Botschafter aufspielt. Stattdessen nimmt er die simple Atlanta-Trap-Formel als kleinsten gemeinsamen Nenner mit seinem Gegenüber und spielt sie wunderbar aufgeweckt aus. Was will man sagen? Die Beats hitten durch die Bank, die Balance zwischen atmosphärischeren Momenten und reinem 808-Geschabe gelingt, und selten hat sich ein Album der beiden so wenig langwierig durchhören lassen. Entweder trägt ein markanter Loop die Songs – oder die generischeren Trap-Beats rotieren zumindest so schnell durch, dass sie keinen Rost ansetzen.

Die euphorischen Synths gegen die Lil Yachty-Adlibs auf "BackOutsideBoyz", die ungestümen Punchlines auf "Privileged Rappers", die Chemie auf "Treacherous Twins", die Energie von "Jumbotron Shit Popping" - wann hat man das letzte Mal nach einem Drake-Album aufs erste Hören so viele hitverdächtige Nicht-Singles gehört? Ein paar Hänger zwischendurch gibt es trotzdem: Travis Scotts Feature trägt nicht viel zum ohnehin eher generischen "Pussy & Millions" bei, und "Circo Loco" sticht ohnehin negativ hervor. Nicht nur wegen der geschmacklosen Dissline an Megan Thee Stallion, die angeblich ihre nachgewiesen Schussverletzung durch Tory Lanez aus mysteriösen Gründen erfunden habe. Das extrem lieb- und fantasielose Daft Punk-Sample hat einfach musikalisch hier nicht besonders viel zu sagen. Den House-Klassiker "One More Time" zu samplen, verspricht Spaß - der Song schleppt müde im immergleichen Trapbeat dahin.

Im letzten Drittel dürfen dann trotzdem beide noch einmal die Zügel enger führen und zeigen, warum sie zu den Großen ihrer Generationen gehören. 21 nutzt auf "3AM On Glenwood" die klassische PM/AM-Formel seines Partners für einen intensiven und lyrischen Solotrack, Drake hält dagegen auf "Middle Of The Ocean" mit einem der besten Beats und besten Parts in fast schon "Tuscan Leather"-esker Manier fest, warum das mit "Honestly, Nevermind" nicht so ganz geklappt hat. Wenn man seine Performances hier und dort sieht, sieht es aus wie ein Video von Dirk Nowitzki auf dem Basketballfeld und eins beim Minigolfen.

"Her Loss" ist essentiell Fan-Service. Weniger als viele Alben zuvor ist es kein musikalischer Schritt in eine bestimmte Richtung und kein mutiger neuer Karriere-Arc, sondern ein Besinnen auf einen bestimmten Typ Kollabo, der für Drake im Laufe seiner Karriere stets gut funktioniert hat. Und sieh an – er funktioniert auch hier. Vielleicht weniger, weil 21 Drake neue musikalische Impulse liefern würde, sondern weil der Mann dem OVO-Chef irgendwie die Freude am Rappen zurückzugeben scheint.

Nach einer Abwärtsspirale in einen immer bitteren und passiv aggressiveren Charakter zeigt Drake hier zum ersten Mal seit langem wieder Spaß. Und auch, wenn die Kollaboration, auf der er doppelt so viel rappt wie sein Ko-Artist, ein bisschen mehr Gleichgewicht verdient hätte, ließ sich doch in langer Zeit kein Drake-Album so smooth und unterhaltsam durchhören wie dieses.

Trackliste

  1. 1. Rich Flex
  2. 2. Major Distribution
  3. 3. On BS
  4. 4. BackOutsideBoyz
  5. 5. Privileged Rappers
  6. 6. Spin Bout U
  7. 7. Hours In Silence
  8. 8. Treacherous Twins
  9. 9. Circo Loco
  10. 10. Pussy & Millions (feat. Travis Scott)
  11. 11. Broke Boys
  12. 12. Middle Of The Ocean
  13. 13. Jumbotron Shit Poppin
  14. 14. More M's
  15. 15. 3AM On Glenwood
  16. 16. I Guess It's Fuck Me

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8 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Album ist überraschenderweise ganz gut geworden, auch wenn sowas wie "... murder gang shit" von Drake schon komisch kommt.

  • Vor 2 Jahren

    4/5 ist definitiv zu viel, 21 Savage ins Boot zu holen, ist zwar auf dem Papier eine gute Idee, kommt aber relativ wenig zur Geltung, da Drakes Parts klar überwiegen. Seine Lyrics sind erneut ein Schwachpunkt und häufiger unfreiwillig komisch, als es ihm selbst lieb sein dürfte. Mit „Circo Loco“ gibt es zudem einen weiteren Track mit Drake, der ein sehr bekanntes Sample verwendet („One More Time“), ohne wirklich etwas daraus zu machen, das ganze wirkt eher faul und uninspiriert, wie schon bei „Way 2 Sexy“ oder „Stayin Alive“. Alles beim Alten also, 2,5/5.

  • Vor 2 Jahren

    Enttäuscht mich leider, weil too much Drake & not enough 21 Savage :(… Wahrscheinlich musste Drake hier die erste Geige mal wieder spielen und lässt seinen Partner wenig Raum für Freiheit !