laut.de-Kritik
Ein perfekter Moment des Prog-Metals.
Review von Alexander CordasIm Jahr des Mauerfalls erschien das Dream Theater-Debüt "When Dream And Day Unite", mit dem die Prog-Metaller gleich ein Ausrufezeichen setzten. So richtig flott wurde der Kahn aber nicht. Zudem erwies sich Sänger Charlie Dominici als die falsche Besetzung für den Job. Mit seiner eher poppig orientierten Stimme fühlte es sich an, als würde "Billy Joel bei Queensryche" singen, wie Ex-Drummer Mike Portnoy es dereinst einmal formulierte. Die Wege der beiden Parteien trennten sich freundschaftlich nach vier von fünf geplanten Promo-Shows zum Album.
Der angedachte Ersatz John Arch von Fates Warning wollte nicht, dessen Nachfolger Steve Stone konnte nicht, und so mussten die vier Traumtänzer weiter nach einem adäquaten Sänger Ausschau halten. In diese Zeit fielen diverse Sessions, in denen Petrucci, Myung, Portnoy und Moore das Gros des Materials zusammentrugen, aus dem später einmal "Images And Words" entstehen sollte.
Während dieser Zeit erhalten die Musiker ein Demotape des Kanadiers Kevin James LaBrie, der damals bei Winter Rose am Mikro steht, die dem seinerzeit angesagten Mainstream-Hardrock frönen. Sie engagieren ihn vom Fleck weg. Im Rückblick ist für Petrucci LaBrie das fehlende Puzzleteil, das der Band gefehlt hat. Nachdem sie sich erfolgreich aus dem Vertrag mit ihrer bisherigen Plattenfirma Magnetic geklagt hatten und der Major Warner ihnen einen langfristigen Deal über sieben Alben anbietet, geht die Arbeit am zweiten Album los.
Als "Images And Words" im Frühsommer 1992 in den Läden steht, passiert erst einmal nicht so viel. Dream Theater begeben sich im September des Jahres im bandeigenen Van auf Tour, um das Album zu promoten. Kurz zuvor beschließt das Label noch, den Opener "Pull Me Under" auszukoppeln und spendiert dem Song auch ein Video. Überraschend kommt der Track bei Rock-Radios in den Staaten gut an und auch MTV nimmt die Nummer in die Rotation auf. In der Folge klettert der Song bis auf Platz zehn der Billboard-Mainstream-Rock-Charts. Zwar dampft man den Achtminüter auf knapp fünf Minuten herunter, aber das tut der Anziehungskraft des Songs keinen Abbruch. Ein perfekter Opener für ein fast perfektes Album.
Fast? Zum einen ist da der Drum-Sound von Mike Portnoy. Dieser klingt teilweise so derbe steril, dass man sich schon fragen muss, was da im Studio los war. Aufklärung kommt von John Petrucci, der anlässlich der 2017er "Images, Words & Beyond"-Tour konstatiert, dass das Label in die Aufnahmen hinein gepfuscht habe. So wurden Portnoys Drums getriggert und aus Ghost Notes wurden ganze. "Als ob man das Drumming genommen und alle Dynamik daraus entfernt hätte. Sie hätten beim Mix etwas behutsamer sein können", drückt es der Klampfer salomonisch aus. Ach ja. Auf der anderen Seite steht James LaBrie. An ihm werden sich auch in Zukunft die Geister scheiden. Sein gepresster Gesangsstil ist nicht jedermanns Sache.
Aber die Einmischung von Seiten Warners ist nicht nur negativ. So verhindert der Branchenriese, dass "A Change Of Season" auf dem Album landet. Das hätte aus dem einstündigen, in sich geschlossenen Werk ein etwas ausgefransteres Etwas gemacht. So steht ein Monument auf der Habenseite, das Dream Theater qualitativ in der Folge nie wieder erreichen sollten.
Das erwähnte "Pull Me Under" leitet gekonnt den kommenden Reigen ein. Gitarren-Picking unterstützt Portnoy mit einem hübschen Tanz auf den Drums, begleitet von Kevin Moores Keyboard-Klängen, ehe Petrucci dann aufs Pedal latscht. Ein famoser Rocker vor dem Herrn, dem auch der Zahn der Zeit wenig anhaben kann. Zurecht einer, wenn nicht der populärste DT-Song überhaupt, inklusive Mitgröl-Refrain.
Das nachfolgende "Another Day" nimmt den Fuß vom Gaspedal. Hier spielt LaBrie seine Stärken voll aus. Wenn es mal nicht darum geht, die hodengekniffene Frontsau zu mimen, klingt er wirklich erstaunlich gut. Dem balladesken Stück tut auch das Kenny G.-Gedächtnis-Saxofon keinen Abbruch, als Kontrapunkt setzt Petrucci ein gnadenlos gutes Solo dagegen. Manch abgebrühter Hartwurstfanatiker zückt hierzu ohne Aufforderung das Feuerzeug.
Mit "Take The Time" gönnt sich der Fünfer zum ersten Mal eine etwas kräftigere Prog-Dosis. Zu Beginn hören wir nach einem Doublebass- und Riff-Gewitter Sprachsamples von Kurtis Blow, Frank Zappa und Public Enemy, ehe ein funkiger Rhythmus den Faden fortführt. Speziell im Mittelteil ab 3:45 lassen Dream Theater instrumentell schön die Luzie fliegen. Kevin Moore und John Petrucci liefern sich ein hübsches Duell, fast schon jazzige Einlagen runden das perfekte Gesamtbild ab. Hier gelingt den Amerikanern exemplarisch der perfekte Spagat zwischen technischem Muckertum und songdienlicher Arbeit. Damals waren sie noch weit davon entfernt, stets noch einen drauf setzen zu wollen. Diese Songdienlichkeit hievt gerade "Take The Time" in den Rang eines Live-Favoriten unter DT-Fans.
Mit "Surrounded" bringt die Band ein gerade noch so erträgliches Maß an Pathos an den Start, dass es nicht links und rechts aus den Ohren tropft. Spieltechnisch natürlich wieder oberste Kajüte. Das düster dräuende Intro von "Metropolis—Part I: The Miracle And The Sleeper" kündet dann wieder von der härteren Gangart. Auch hier steht der instrumentale Mittelteil ab Minute fünf quasi für sich. Ein wunderbares Zusammenspiel, bei dem man sich speziell John Myungs Tieftöner anhören sollte, und das nicht nur wegen seiner kurzen Flitzefinger-Einlage. Was der Typ auf seinem Instrument aus dem Ärmel schüttelt ... fantastisch. Eine Prog-Fingerübung der Extraklasse, bei dem es auch nach dem hundertsten Umlauf noch Neues zu entdecken gibt. Nach acht Minuten darf LaBrie noch einmal trällern und schickt den Hörer glückselig von dannen.
Nach dem ähnlich gelagerten "Under A Glass Moon" folgt mit "Wait For Sleep" eine wunderschöne Piano-Ballade. Zwar lediglich zweieinhalb Minuten lang, zieht einem die Moore-Komposition emotional dennoch die Schuhe aus. Das melodische Thema des kurzen Liedchens greift das abschließende "Learning To Live" wieder auf, in dem Dream Theater noch einmal richtig die Muskeln spielen lassen. Die komplette Dynamik-Palette reiten sie auf einer famosen Achterbahnfahrt. Spanische Gitarre? Warum nicht! Wenn ab Minute 8:10 die "Wait For Sleep"-Melodie noch einmal erklingt, mutet dies wie eine verlängerte Reprise des kompletten Albums an.
Am Ende stehen 57 Minuten, die sich gewaschen haben. Wenn die Band im Fade Out verschwindet, fragt man sich unwillkürlich, was das denn jetzt nun für ein Trip war. Das Kreuz, das alle progressiven Bands mit sich herum schleppen, eine Balance zwischen Komposition (It's the song, stoopid!) und dicker Musiker-Hose zu finden, bewältigen Dream Theater auf "Images And Words" fast spielerisch.
Dream Theater waren, sind und werden nie die großen Erneuerer des Prog sein wie Fates Warning, Queensryche oder WatchTower. Dennoch gebührt ihnen das Verdienst, als erste härtere Band mit komplizierteren Songstrukturen und ausufernden Instrumental-Epen Mainstream-Erfolg gelandet zu haben. Zwar konnten sie auch in dieser Hinsicht nie wieder an "Images And Words" anknüpfen, aber an ihren eigenen Über-Alben scheiterten schon ganz andere Bands.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
6 Kommentare mit 9 Antworten
Gut geschriebene Review, kann dem nur zustimmen. Wieder eine Band die ich von meiner Meilenstein-Wunschliste streichen kann. Eine Anmerkung habe ich aber doch dass Take the Time nach dem Opener und angeblich vor Another Day kommt passiert halt wenn man die Songs auf dem Windows Media Player in falscher Reihenfolge hat Für mich das In the Court of the Crimson King der 90er Jahre.
Danke, Luchsauge. Da ist was beim hin und herschieben von Absätzen durcheinandergeraten. Müsste jetzt stimmen.
Also dieses dünne Stimmchen mit Greg Lake oder John Wetton, die ich beide auf Augenhöhe sehe, zu vergleichen..... ohne Worte. Es ist in irgendeiner Form Pop-Prog-Metal, aber da eine Verbindung zu King Crimson oder anderen Prog Vertretern wie Van der Graaf, Yes,... aus den 70ern zu sehen. Da fehlt mir ähnlich Brian Wilson einfach die songwriterische Substanz. 28 Teile, gut gespielt in einen Song von 8 Minuten untergebracht machen keine Prog Musik. Schon gar nicht dieses Gedudel. nichtmal 3/5.
Als ob du festlegen könntest, was Prog ist und was nicht. Guter Witz! In Metropolis Pt. 1 gibts 41 Taktwechsel. In Learning to Live Polyrhythmik. Sind das Merkmale von Prog?
Klassischer elitärer und prätentiöser Progliebhaber der "ersten Stunde" - so Leute haben das alleinige Bestimmungsrecht, wo Prog anfängt und wo er aufhört. Sind meistens zwischen 60er - 80er Jahren hängen geblieben und erlauben danach nur Mukke, die sich musikalisch sehr nah daran orientiert (PT und Wilson Richtung).
Prog hat sicher weiter entwickelt, Herr DocGutmann (oh Wunder, steckt doch schon im Namen "Progressiv") - mittlerweile gehören da sogar Sachen aus dem Elektronik Bereich oder Bands wie Meshuggah in das Genre.
Dream Theater das Genre-Tag "Progressive" absprechen zu wollen, ist Unsinn. Klar ist das geschmacklich nicht jedermanns Sache, aber der Kommentar oben ist unqualifiziert. Gruß.
Die vergleiche mit KC,... habe ich nicht gezogen. Ich habe nur dargestellt, dass mir das widerstrebt.
Es ist gut gespielte Musik, keine Frage. Die Herren wissen was sie tun; aber die oft gemutmaßte Weiterentwicklung kann ich darin nicht erkennen.
Sehr schön, ein weiterer Stein den ich von meiner Liste streichen kann. Das zweitbeste DT Album nach „Awake“, kam aber früher und ist daher klar der Meilenstein der Band. Das mich an dem Album immer noch fasziniert ist die Dynamik, der fließende Übergang zwischen den rhythmischen und härten Passagen. Was DT allein in „Pull me Under“ packen ist Wahnsinn. Die Lieder entwickeln einen ganz eigenen Fluss dadurch, das wirkt alles aus einem Guss. Ich muss sogar sagen, selbst LaBries Stimme gefällt mir inzwischen, ich verbinde sie schon so mit DT das ich mir niemand anderen vorstellen könnte. Zudem bringt er genau den Pathos mit, die die Lieder einfach brauchen. Großartige Rezension für ein großartiges Album.
Sehr geil, laut.de! Ich war selbst (vor allem in der Jugend) großer DT-Fan, hab da alle Platten, DVDs (inklusive die Drum-DVDs von Portnoy), Side-Projekte usw. von gesammelt und geliebt - bisschen Fanboy-mäßig leider . Hat sich dann nach und nach gelegt und es kam Änderung im Geschmack und mehr kritische Distanz dazu... So ca. bis Black Clouds kann ich mir ab und an nochmal was geben, aber die angesprochenen Kritikpunkte (vor allem LaBries Gesang) sind einfach zu groß - abgesehen davon, dass die letzten Platten belanglos und kitschig waren.
Nichtsdestotrotz hat Images and Words den Meilenstein mehr als verdient, das Album ist einfach rund und war in gewisser Hinsicht Blaupause für zahlreiche Kopieversuche (bis heute). Die Review ist toll geschrieben und das Album immer noch einer meiner Favoriten von DT - die Scheibe leg ich mir jetzt nochmal auf.
Seelenloses Genudel. Die Band geriet über die Jahre zurecht zur aufgeblasenen Lachnummer.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Gerade hier schaffen sie aber die perfekte Kombination aus Virtuosität und Songwriting, ohne in endloses Gegniedel zu verfallen. Zur Lachnummer gerieten sie aber nie. Vielleicht bei Leuten, die mit der Musik eh schon nichts anfangen konnten.
c452h, du hast vergessen, zu erwähnen, dass du neben Helene Fischer ja auch Animals As Leaders hörst und krass progressiv unterwegs bist. Arbeite bitte an deiner Ausrichtung.
"Zur Lachnummer gerieten sie aber nie."
Das sehe ich anders. Ich denke da an lieblos runtergerotzte Live-Konzerte mit Portnoy im Einteiler, LaBrie der nie einen Ton trifft unnd amateurhaft gedrehte Filmchen auf der Leinwand dahinter. Oder an diesen unfreiwillig beschissenen The Astonishing Trailer. (vom Konzept dahinter ganz zu schweigen). Oder daran, dass diese Band "progressiv" anhand der Songlänge und Anzahl von Gitarren und Keyboardsolos definiert. Und ein Riesentrara um Drum-Castings macht, während wesentlich talentiertere Bands derlei auch würdevoll und abseits der Medien erledigen können. Lachnummer.
Astonishing war Müll, da stimme ich zu. Alles nach 2007 auch nur größtenteils lahme Selbstkopien, aber die Platten bis Metropolis Pt. 2?
"Oder daran, dass diese Band "progressiv" anhand der Songlänge und Anzahl von Gitarren und Keyboardsolos definiert."
Wie kommst du denn darauf? Womit wir wieder bei der Definition von "progressiv" wären. Bei Metropolis pt. 2 hast du dann übrigens etliche Merkmale, die viele Leute für ein Zeichen von Prog halten: Lange Songs, Konzeptalbum, instrumentale Virtuosität, Polymetrik, usw.
muss ich mal reinhören