laut.de-Kritik
Erdkunde zum Hören.
Review von Philipp KauseDie Meister der Melancholie aus dem französischen Saint-Étienne verhandeln wieder zwischen den Genres. Dabei machen Dub Inc, kurz für Dub Incorporation, ihrem Namen eigentlich kaum Ehre. Der Dub spielt eine untergeordnete Rolle, während sich Akkordeon und maghrebinische Wurzeln mit Electropop abwechseln oder Urban-Groove mit jäh aufjaulender E-Gitarre vermählt.
"Atlas" lässt den Hip Hop-Anteil, wie er Dub Inc vor zehn Jahren auszeichnete, genauso schmelzen, wie sich Akustik-Balladen vom Schlage des Tracks "Ines" auf "Millions" rar machen. Im Unterschied zum Vorgänger "Futur" (2022) zeigen sich die Sounds luftiger, um Echos entschlackt und ein bisschen weniger auf die Mehrsprachigkeit ausgelegt, seit jeher eines der Markenzeichen von Dub Inc. Nur sehr punktuell mischen sich halbe Zeilen in Englisch oder Kabyl-Berbersprache in die Frankophonie, siehe "Don't Let Me Down". Dabei hört sich die einzige kabylische Strophe, in "Étoile Filante" am Ende der LP, vorgetragen von Bouchkour, anrührend und reizvoll an.
Anders als die meisten LPs der originellen, einzigartigen Gruppe entstanden die Stücke kaum aus Tournee-Erfahrungen heraus, sondern vor dem Hintergrund, aus gesundheitlichen Gründen nicht live performen zu können. Weitgehend bettet die Band mit der doppelten Keys-Besetzung ihre Wehmut in bounzenden Luftkissen-Sound, Electro auf One Drop-Beat, aber im Unterschied zu Dellé sehr soften, warmen Electropop, wie bereits zu Anfang in den Tunes "Drapeaux" und "Atlas" oder im weiteren Verlauf im schwungvollen "Motivé Comme Personne", einer 'skankenden' Hymne für Optimismus und 'upliftende' Positivität.
An Dellé und Seeed darf man schnell denken, hat doch deren Kumpel Guido Craveiro zehn der zwölf Tracks abgemischt. In den wenigen Dub-Momenten der Single "Décibels" zeigt sich seine Handschrift überdeutlich. Für die Zusammenarbeit mit ihm hat sich das Ensemble jedoch nicht nach Deutschland begeben, wo Bassist Moritz von Korff seine Finger beim Münchner Label Oneness im Spiel hat, sondern ins portugiesische Leiria. Die Kleinstadt erhielt die Auszeichnung 'City Of Music' der UNESCO, aufgrund ihrer zahlreichen Orchester, Ausdifferenzierung an Genres in verschiedensten Festivals und kulturpolitisch geförderten Auftrittsorten. Leiria liegt zehn Kilometer von der Atlantikküste zwischen Coimbra und Lissabon, Dub Inc musizieren sonst im Landesinneren ohne die Inspiration des Meeres, das sich auf dem Cover abbildet.
Für 2026 hat die energetische Combo mit der Doppel-Front das wieder vor, und live dürften insbesondere das bassig zitternde "Décibels", das pumpende Highlight "Il Le Faut" und das revolutionshungrige "Break The Silence ft. Kabaka Pyramid" punkten. Das Schifferklavier zeichnet die Songs "Ma Bataille" und "Comment Faire" aus und verleiht dem Ganzen einen Ethnopop-Chanson-Touch jenseits üblicher Reggae-Standards.
In einer Ära der Spaltung, in der Frankreich nur knapp um eine Präsidentin Le Pen herum kam, das Nachbarland sich im Brexit abschottete, Trolle als 'soziale' User durchgehen und auch der europäisierende ESC zum Prisma konträrer politischer Ansichten gerät, lassen Dub Inc mit ihrer Botschaft, zu einen, nicht locker. "Mémoires ft. Marcus Gad" kündet auf den weichen Wogen eines E-Pianos davon, dass es Mut gegen Hass brauche und die Kolonialgeschichte weder vergessen werden dürfe noch verzeihlich sei. Das klingt interessant in Zeiten, in denen Donald sich Grönland einverleiben will, Gaza, Donbass und die sudanesische Darfur-Region zur Disposition stehen. Hand in Hand sollten sich die Menschen zusammen schließen, empfiehlt Komlan, der Typ mit der heiseren Röchelstimme beim französischen Septett.
"Atlas" durchmisst die Weltkarte, ihre Grenzen und die darauf befindlichen Spannungen - eine Gute Laune-Party-Platte ist das neue Werk noch weniger als die vorigen Scheiben des Polit-Ensembles. Ihre stärkste Abhandlung ist diese CD nicht geworden, da haben "Futur", das hochkarätige "Paradise" oder die Live-Alben sicher eine oder mehrere Nasen vorn, andererseits gab es schon Schwächeres, und so sortiert sich die Scheibe im Mittelfeld der Diskographie ein - und im oberen Mittelfeld der Reggae-Alben 2025.


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