laut.de-Kritik
20 Jahre Pathos, Provokation und Allgemeinplätze.
Review von Toni Hennig2003 verließen Sänger Alexander 'Alexx' Wesselsky und Gitarrist und Keyboarder Noel Pix Megaherz, um mit Eisbrecher etwas Neues aus dem Boden zu stampfen. Einen Hang zum Pathetischen konnte man Wesselsky schon bei Megaherz bescheinigen, aber zumindest bildeten die groovigen Momente ein ideales Gegengewicht dazu.
Mit Eisbrecher lebt er diesen Hang nun ungebremst aus. Vom Groove seiner Vorgängerband blieb nicht mehr viel. Vom rammsteinschen Getöse dafür um so mehr. Mittlerweile blicken die Bayern, die im Laufe der Karriere zu einer fünfköpfigen Band angewachsen sind, auf acht Studioalben, eine Coverscheibe, mehrere Live-Platten und mehrere Best-Of-Compilations zurück. Nun gesellt sich mit "Es Bleibt Kalt°! (2003-2023)" eine weitere Best-Of dazu. Die bietet 40 Tracks auf 2 CDs.
Die erste CD umfasst die ersten zehn Jahre der Band, während die zweite CD Stücke aus den letzten zehn Jahren versammelt. Das war es aber schon mit dem chronologischen Anspruch. Auf einen Track von 2003 folgt ein Song von 2010, der von einer 2018er-Version eines 2004er-Stückes abgelöst wird, nur damit man danach eine Nummer von 2008 präsentiert bekommt.
Leider gibt es gerade auf der ersten CD nur zwei Arten von Songs: Den brachialen, der von einer Menge Riffs und oftmals noch mehr Elektronik sowie tiefen Vocals lebt, und den hymnischen, wahlweise mit viel Pianogeklimper oder Streichern aus der Konserve. Die Musik beschreibt 'Alexx' als "eisbrecherische Blutgrätsche zwischen Rock/Metal und Elektro-Industrial-Pop". Dabei sollte man die Betonung ganz klar auf Pop legen, wenn es um die elektronischen Elemente geht. Mit den komplexen und atmosphärischen Strukturen von Genrepionieren wie Front Line Assembly oder Skinny Puppy hat die Musik nur wenig zu tun.
Textlich bekommt man neben viel Provokation und Gesellschaftskritik größtenteils Grufti-Allgemeinplätze geboten, und das so ernsthaft und ironiefrei intoniert, dass es unfreiwillig komisch anmutet. Die beiden Tracks "Anfang" und "Wir Sind Gold", die digital das Licht der Welt noch nicht erblicken durften, fügen sich da nahtlos ins Oeuvre ein.
Zumindest haben die anfänglichen Songs auf der zweiten CD ordentlich Dampf unterm Kessel und bieten etwas kraftvollere und optimistischere Töne. So erweisen sich "Sturmfahrt" und "Volle Kraft Voraus" als ziemlich unterhaltsam. Dafür reißen die Verunstaltungen bekannter Tracks den guten Eindruck wieder ein. Immerhin hält sich die Neueinspielung von Grauzones "Eisbär" nah am Original und bleibt somit erträglich, aber was die Band in "In Einem Boot" aus Klaus Doldingers "Das Boot" macht, verleitet nur noch zum Fremdschämen, ebenso wie die rockigen Coverversionen von Trios "Anna Lassmichrein Lassmichraus" und Falcos "Out Of The Dark".
Zudem fällt von den Eigenkompositionen am Ende der CD eine egaler als die andere aus. Wo es früher wenigstens noch die ein oder andere einprägsame Hook gab wie etwa in "Vergissmeinnicht", herrscht mittlerweile nur noch songwriterische Belanglosigkeit und Ideenlosigkeit. "Liebe Macht Monster" aus dem Jahr 2021 klingt beispielsweise wie ein billiger Verschnitt älterer Oomph!-Tracks nach der Jahrtausendwende.
Fans können die Wartezeit bis zum nächsten Studioalbum mit dieser Compilation überbrücken. Der Rest macht um dieses schaurige Gesamtpaket einen ganz großen Bogen und greift lieber auf ältere Megaherz-Alben, allen voran "Herzwerk II" zurück. Da gab es wenigstens noch einen gesunden Schuss Humor.
10 Kommentare mit 2 Antworten
Bleiben Kopien, egal wie kalt es wird.
Das Megaherz-Album wurde doch neulich erst hier besprochen, warum jetzt gleich noch ein Best-Of? Oh, Moment...
"Es bleibt kalt" klingt halt in 2023 schnell mal wie irgendwo zwischen fahrlässig und mutwillig Klimawandel geleugnet. Aber auch nicht unbedingt in jedem Schädel. Gelungene Verbeugung also vor gängigen Marketingschemen, die aufgrund der nicht zu leugnenden Nähe zu einem äußerst eng abgesteckten Genre mit einschlägig bekanntem Fan-Phänotyp und selbiges Genre eindeutig kommerziell dominierenden Vorbildern so gar nicht mehr nötig gewesen wäre...
...weshalb mir Edith aus der Marketingabteilung wohl auch gerade erst zwei Daumen hoch, dann Fingerpistolen gezeigt hat und dabei himmelhoch jauchzend im Dreieck auf ihrem Schreibtisch sprang.
"20 Jahre Pathos, Provokation und Allgemeinplätze."
Ich habe mich gefragt : Welche Provokation ?
Pathos = Ja = und das viel zu viel.
Allgemeinplätze = das gleiche wie bei Pathos = zu viel .
Und im Rückblick : auf Dauer langweilig.
Das Trio Cover feier ich
Also diiese Best-Of ist einfach schlecht zusammengestellt. Warum die so viele ihrer Rohrkrepierer da drauf gemacht haben, das wundert mich schon. Dennoch, mir fehlen die positiven Punkte. Ja, die gibt es: "Verrückt" ist der Übersong und hat nach über zehn Jahren nichts verloren. "Zwischen Uns" und "Was ist hier los" sind auch gute Songs. "Augen Unter Null" und "Automat" ebenso. Doch dann fällt diese Auswahl im Freiflug nach unten. Besonders der erste Teil... Eisbrecher haben ein gutes Album: "die Hölle muss warten" (was auch Schwächen hat) und ansonsten vor allem viele Alben, die von ein oder zwei Songs leben. Bei der Auswahl hätte hier eigentlich der Pokerap draufgehört, denn der war besser.