laut.de-Kritik
Die legendären "Marathon Sessions" - wie sie damals wirklich waren.
Review von Giuliano BenassiAls 2015 "If I Can Dream" auf den Markt kam, die posthume Verwurstung von Elvis Presleys Stimme mit dem Royal Philharmonic Orchestra, schien jede Hoffnung verloren. Wenn sich schon Priscilla Presley, Ex-Frau und Nachlassverwalterin, um das Marketing kümmert, mussten die Archive mit brauchbarem Material tatsächlich leergefegt sein.
Fünf Jahre später erscheint nun doch noch ein Werk, dass die Herzen der Elvis-Fans höher schlagen lässt. Die Stücke an sich sind altbekannt und stammen aus den "Marathon Sessions", die vom 5. bis 9. Juni 1970 über fünf Nächte in Nashville stattfanden, mit einem Nachschlag am 22. September. Nichts verkommen lassen war schon immer das Motto von Elvis' Management, und so gelang es ihm, daraus gleich drei Alben zusammenzustellen, die neben einer Reihe weiterer Werke in den folgenden 18 Monaten erschienen: "That's the Way It Is," (1970), "Elvis Country (I'm 10,000 Years Old)" und "Love Letters from Elvis" (beide 1971). Mit Overdubs versehen und glattpoliert, wie es sich damals gehörte.
Die brillante Idee für die vorliegende Veröffentlichung war, Matt Ross-Spang die Master-Tapes anzuvertrauen und neu abmischen zu lassen. Der 33-jährige Produzent und Toningenieur aus Memphis hat für John Prine oder Jason Isbell gearbeitet und ging die Sache mit einem frischen Ohr an. Was machte diese Sessions so besonders? Die Zusammenkunft großartiger Studiomusiker mit dem größten Superstar seiner Zeit, die sich untereinander und auch mit dem damaligen Produzenten Felton Jarvis außerordentlich gut verstanden. Dazu kam, dass Tontechniker Al Pachucki das Geschehen hochwertig auf Band festhielt. Alle waren Profis und konnten auf Knopfdruck in wenigen Takes einen Hit aufnehmen, doch hatten sie dabei auch ihren Spaß, witzelten und frotzelten, was Ross-Spang schön herausgearbeitet hat.
Immer wieder baut Elvis Flüche ein, in einer Schnulze ändert er den Text in "a hundred years from now ... you can kiss my ass", was natürlich zu Gelächter führt. Und doch ist es beeindruckend, wie schnell die Musiker die definitive Version finden. In Take 1 wird meistens noch improvisiert, in den folgenden sitzen Gesang und Begleitung in der Regel wie ein Maßanzug. Das war damals nicht ungewöhnlich, denn viel nachbearbeitet wurde selten. Welche Stücke aufgenommen werden sollten, stand vor der Session fest, der Produzent suchte aus einer Schar an professionellen Sessionmusiker jene aus, die aus seiner Sicht am besten passten, und los gings. Streng nach Stechuhr, mit Frühstücks- und Mittagspause. Fast wie ein Job in der Stadtverwaltung.
Für Elvis wurde eine Ausnahme gemacht. Da er eher nachts aktiv war, begannen die Sessions erst am Abend und zogen sich bis in die Morgenstunden. Der Multiinstrumentalist Charles McCoy, der hier Harmonika und Orgel spielt, erinnert sich, nach einer der Nächte gerade noch Zeit für sein Frühstück gehabt zu haben, um dann gleich zur nächsten regulären Aufnahme zu eilen. Ein gefragter Mann, der in jener Zeit an bis zu 400 Sessions im Jahr teilnahm. Wenige Jahre zuvor hatte er Gitarre auf Bob Dylans Alben "Highway 61 Revisited" und "Blonde und Blonde" gespielt, später Bass auf "John Wesley Harding".
Prägnanter sind jedoch die Beiträge von Pianist David Briggs, der immer wieder den Little Richard oder Jerry Lee Lewis in sich herausholt, sowie Gitarrist James Burton, der Teil von Elvis' Liveband war, und den Elvis zu den Juni-Sessions mitgebracht hatte (im September spielte an seiner Stelle Eddie Hinton). Chip Young spielte ebenfalls Gitarre, selbst der King griff im Juni in die Saiten. Beeindruckend war die Rhythmussektion, bestehend aus Bassist Jeff Putnam und Schlagzeuger Jerry Carrigan, die weniger Country als Rock'n'Roll und Rhythm And Blues spielte und so eine ganz eigene Energie erzeugte. Als Hintergrundsänger ist Charlie Hodge zu hören.
Die Auswahl der meisten Stücke traf Elvis selbst. Er entschied sich im Wesentlichen für Balladen, doch flocht er auch die eine oder andere schnelle Nummer ein, etwa "Patch It Up", "Got My Mojo Working / Keep Your Hands Off Of It", "Whole Lotta Shakin' Goin' On" oder "I Washed My Hands In Muddy Water". Mit Simon & Garfunkels "Bridge Over Troubled Water" war auch ein erst wenige Monate alter Hit dabei. Hinzu kommen viele klassische Country-Nummern.
Eine Zusammenstellung, die Spaß macht und einiges zu entdecken bereit hält, deren Gestaltung aber zu wünschen übrig lässt: Schade, dass offenbar kein Profi-Fotograf zugegen war, denn auf dem einzig verfügbaren, auf der Frontseite abgedruckten Bild schauen alle ziemlich schief in die Kamera. Neben der umfangreichen 4 CD-Ausgabe mit knapp viereinhalb Stunden Musik ist auch die Vinyl-Version empfehlenswert, die auf zwei Scheiben in etwa 90 Minuten eine gute Auswahl bietet.
In beiden Fällen haben Ross-Spang und Produzent Ernst Jorgensen hervorragende Arbeit geleistet. "Wir versuchen nicht, den Lauf der Geschichte zu ändern", so Ross-Spang. "Aber es ist toll, dass wir heutzutage die Möglichkeit haben, dorthin zurückzukehren und zeigen zu können, wie viel Mühe sich Elvis mit diesen Stücken und dieser Musik gegeben hat".
Auf jeden Fall ein sinnvolleres Unterfangen, als die heutigen technischen Möglichkeiten einzusetzen, um Gesangsspuren zu isolieren und sie mit einem Orchester zu unterlegen.
2 Kommentare
Elvis ohne Zuckerguss. Macht Spass und die Songs tönen sehr lebendig, auch nach 50 Jahren. Der King war da noch voll im Saft, der Absturz kam wenig später.
Ok Laut, meine Absolution habt ihr. Ich vergebe euch den ganzen Dreck, den ihr promotet und den ihr hier halblustig aus den Zehen lutscht, denn diesmal habt ihr ein echtes Juwel poliert anstelle von ein paar Redaktionspimmeln.