laut.de-Kritik

Krieg, Kids, Klimawandel, Betroffenheit und Hunde.

Review von

"Einen Kloß im Hals und ein Lächeln im Gesicht", dieser Metaphernbruch stammt aus dem PR-Text von Enno Bungers Label Ennorm und kündigt ein humorloses Album an, das viele Nachrichten-Schlagwörter wiederkäut. Wo einen dieser Pudel auf dem Artwork so bedröppelt anstarrt, fühlt man: Der Köter weiß es schon, das Material ist mager. Musikalisch enthält "Der Beste Verlierer" statt des Pathos von 2019 nun auf der B-Seite leise Balladen und auf der A-Seite der Platte viel reduziertes Synth-Geeiere, verlegen angefettet mit Eighties-Stadion-Gitarren und stupidem Bass-Dröhnen.

Die fahle Nachahmung von Simple Minds und U2, mit einem Schuss A-ha (in "Nie Zu Spät") und Ultravox, gelingt den Killers irgendwie besser. Das mag an der Stimme liegen, denn Enno singt so brav und hell wie ein Thomanerchor-Prinz. Seine Phrasierung wirkt oft sperrig. Eher trägt er Gedichte vor, als mit der von ihm selbst komponierten Rhythmik der Musik zu gehen. Bestimmt ist das Absicht, sowas hat Peter Licht mit seinem "Sonnendeck" durchaus schon in Hit-tauglicher Form bewerkstelligt, trotzdem klingt es ungelenk.

An manchen Stellen zielt Ennos Gitarrenästhetik auf New Wave ab, dann entstehen Brüche. Zum Beispiel in den frei stehenden Instrumental-Passagen von "Einfache Leute ft. Sebastian Madsen". Sie muten wie verzweifeltes Bemühen um Hipness, entsprechend aufgesetzt und fad an.

Die fast durchweg uninteressante Retro-Musik umhüllt immerhin den respektablen Ansatz eines Konzeptalbums rund um öffentliche und persönliche Krisen, tiefe Krisen. Bunger meldet sich schon aus dem "Bunker", um die Drastik des Klimawandels und des Kriegs vor Europas Haustür zu untermalen. Während anfangs eher die Ökologie das Thema ist, schwenkt das Album in der Mitte mehr auf Krieg, Vertreibung, Flucht, Migration, und dann sortiert es Depression ("Ich Sehe Was, Was Du Nicht Siehst"), Suizidalität ("Heute Nicht") und die Trostlosigkeit unserer Zivilisation ("Häuserzeilen Pt. 1" bis "Häuserzeilen Pt. 3").

"Ihr wollt die Wirtschaft entfesseln und legt Menschen in Ketten", hallt als marxistisch geschulter Schlüsselsatz aus dem Album nach. Die Metaphorik passt im Grunde sehr gut. Amüsant beim Zuhören ist die Vorstellung, was Ricarda Lang dazu sagen würde. Es ist durchsichtig, dass ihre Generation und Gesinnungs-Kohorte Zielpublikum dieser Platte sind. Schon weil man Fleisch essenden Wacken-Pilgerern und allen Älteren, die ein Musikgedächtnis bis ungefähr vors Jahr 2007 haben, diese pappledernen Lieder-Arrangements samt auf der Stelle tretendem Gejammer kaum gegen Geld verkaufen kann.

Von Enno Bungers Warte aus sieht hier wohl vieles so aus, als müsse es dringend mal gesagt werden. Beim Hören wirkt es leider wie aus dem Elfenbeinturm herab gepredigt. Der Barde aus dem Friesland quasselt seine eigene Bubble voll und hat dafür wirklich viele Stichpunkte für eine oberflächliche Liste von Missständen gesammelt. Er zählt Bienensterben und andere menschliche Gräueltaten auf, die aber wohl nach diesem Album auch weiterhin von einem Großteil der wahlberechtigten Bevölkerung geleugnet werden.

Umweltschutz lässt sich auf jeden Fall pfiffiger vertonen und nicht so spaßbefreit und eindimensional wie hier. Jeder, der privat einen Menschen kennt, der durch Schließung eines Kohlebergwerks seine Existenz verloren hat, wird reflexhaft den Kopf schütteln. Ignorante Wortwahl wie die von Bunger vertieft gesellschaftliche Lager-Spaltung nur weiter.

Solche unreflektierten Schwachstellen machen das Album trotz guten Anliegens irrelevant. Das blecherne Mastering und die fragwürdigen Melodieverläufe werfen sowieso schon Fragezeichen auf. "Ich schreib Lieder voller Zynismus", räumt Enno im Song "Grasgelb" ein. Hm. Das scheint nun nicht gerade sein Hauptproblem zu sein. Sondern ein blinder Nachplapper-Idealismus, der sich woke zu sein wähnt, aber Gedanken nicht zu Ende denkt. Mit ideenarmer Musik, die das eigentlich Zynische ist, weil sie so zweckmäßig wie Library-Sounds mäandert (lizenzfrei verwendbare Instrumentals für TV-/Videoproduktionen).

"Kritik am Kapitalismus verkauft sich sehr schlecht", weiß Bunger in "Grasgelb". Ach, echt?! Als wenn Bestsellerin Namika mit Zeilen wie "ich werd misanthrop, wenn ihr mir meinen mickrigen Mindestlohn minimiert", nicht kapitalismuskritisch wäre. Als wenn Number-One-Hero Bruce Springsteen kein Symbol der Arbeiterklasse wäre. Als wenn Klima-Alarmrufe wie "How can we sleep, while the beds are burning?!" des Parlamentariers Peter Garrett und seiner Midnight Oil nicht rund um den Globus auf offene Ohren stießen. Hat sich Chumbawamba, die Antikapitalismus-Combo par excellence, schlecht verkauft? Die Band, die auf Nikes Anfrage, ein Lied für einen Werbespot zu benutzen, antwortete, mit Verbrechern schlössen sie keine Geschäfte ab ...

Bunger darf sich aus der aktuellen deutschen Musik gerne Kritisches, Bissiges wie Wolf Maahns "Break Out Of Babylon", Stoppoks "Jubel" und Nina Hagens "Unity" reinziehen - alles keine Ladenhüter, lauter Attacken auf hirnlosen Thatcherismus - und danach sein Selbstmitleid stecken lassen. Ricarda Lang würde jedenfalls, sofern sie aufmerksam zuhört, bei Bunger über eine Zeile zum 'Leopard 2'-Panzer stolpern. Vielleicht verspürt die dann sogar den angekündigten Kloß im Hals. Enno erklärt vorsichtshalber Christian Lindner zum Feind und nennt seinen Namen explizit. Fürs Lächeln in Ricardas Gesicht? Für ein bisschen Populismus von links?

Auf der B-Seite kriegt der Gesellschaftskritiker die Kurve. Die sensible Pianoballade "Kein Mensch Startet Einen Krieg" beweist, dass Bunger Grundregeln der Harmonielehre doch beherrscht. Seine Vision vom Weltfrieden wirkt zwar märchenhaft getextet und steht etwas verloren auf der ansonsten düsteren Platte, arbeitet aber zumindest mit guten und starken Bildern. Das gelungene Duett "Kinder ft. Lina Maly" über den Stellenwert des Kinderwunsches in einem dystopischen Umfeld überrascht mit sanftem Trip Hop, der ein bisschen geschmackvoll klingt und nicht ganz so zufällig herumprobiert und geraten klingt, wie der Rest des Albums.

Trackliste

  1. 1. Weltuntergang (Alles Hört Auf)
  2. 2. Bunker
  3. 3. Einfache Leute ft. Sebastian Madsen
  4. 4. Grasgelb
  5. 5. Ich Sehe Was, Was Du Nicht Siehst
  6. 6. Heute Nicht
  7. 7. Nie Zu Spät
  8. 8. Kein Mensch Startet Einen Krieg
  9. 9. Kinder ft. Lina Maly
  10. 10. Häuserzeilen Pt. 1
  11. 11. Häuserzeilen Pt. 2
  12. 12. Häuserzeilen Pt. 3

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