laut.de-Kritik

Als habe man Arcade Fire nach Jamaika geschickt!

Review von

Erlend Oye gehört zu diesen Menschen, die ihre Freiheit konsequent leben. Nachdem der Norweger bereits im Jahr 2012 ein Haus im sizilianischen Syrakus erstand und mit seiner Mutter dort einzog, scheint er endgültig genug von nordeuropäischer Nüchternheit zu haben. Warme Klänge für den Weltenbummler, bitte!

Folgerichtig entdeckt Oye auf "Legao" auch musikalisch neue Freiheiten. Dreh- und Angelpunkt bilden Reggae-Rhythmen, zwischen denen sich ab und an eher klassische Oye-Songs und sogar Italo-Pop verstecken.

Die nicht eben gewöhnliche Geschichte der erst zweiten Solo-Platte in Oyes Vita beginnt wohl damit, dass er auf einem holländischen Festival die isländische Reggae-Band Hjálmar trifft. Von Oye angesprochen, ergibt sich schon bald eine Kollaboration der Künstler: Die Band arrangiert Oyes Gitarren-Songs neu.

Schon mit der Single "Garota" wusste man genau, was das heißt. Der Song baut auf Roots-Sounds auf, birgt für einen Oye-Track enorm viel Groove und Congas – und klingt zugleich so dancy, als habe man Arcade Fire samt James Murphy vier Jahre nach Jamaika geschickt. Ja, Klischee bleibt Klischee, und genau deshalb wird mancher, der Oye bisher wegen seines Hangs zum Purismus schätzte, diese Musik nicht auf Anhieb begreifen.

Von Oyes Stimme geht diese bestimmte ergreifende Abwesenheit aus. Der Mann weiß, wie völlige Hingabe klingt. Doch in Sachen Texten orientiert er sich auf "Legao" am britischen Lovers Rock der Siebziger: dem Minnesang des Reggae. Ein, zwei Tracks lang mögen dann Experimente wie "Peng Pong" gut anzuhören sein, auf Albumlänge macht sich Oye damit aber zum kiffenden Indie-Carpendale.

Dies verleitet gezwungenermaßen zu grotesken Gedanken: Der Whitest Boy Alive, mittlerweile fast vierzig Jahre alt und dennoch umgarnt von diesem Mittzwanziger-Flair (schaut euch doch bitte dieses Cover an!), sitzt auf der Terrasse seines spätrömischen Palazzos. Lediglich sein zutiefst weißer Teint unter dem aufgeknöpften Hemd und die mitunter nicht existente Körperbehaarung machen klar, dass er kein Klischee-Heißblut ist. Sondern dass dort ein sensibler Genius seine Gedanken in Liebeslyrik und diese in seichte Songs, einer Mittelmeerbrise gleich, packt, während seine Mutter ihm geduldig ihr stolzes Ohr leiht.

Mit fortschreitender Dauer pflastert Oye sein neuestes Werk zusehends mit musikalischen Wiederholungen zu: Leaned-back-Herzschmerz, wohin man hört! Da bieten Songs, die das vermeintliche Muster des Albums brechen, eine wohlklingende Abwechslung. In "Rainman" würfeln Oye und seine Begleitband die schon bisher auf dem Album verwendeten Instrumente einfach neu zusammen und schaffen so einen Folk-Track mit subtiler Italo-Gitarre, in dem Oye endlich sein feinstes Händchen zeigt.

"Legao" verhält sich zum bisherigen Schaffen des Norwegers größtenteils so, als coverten italienische Nu-Metal-Bands der Nullerjahre Al Bano. Aber, ja: Erlend Oye meint das ernst. In Zeiten des weltweiten Hasses tut so viel Liebe stellenweise doch sogar gut. Wer "Legao" ein paar Mal durchgehört hat, der wird sich mit dem Werk deshalb anfreunden können. Auf mehr vom eitlen Sundown-Reggae darf man ja sowieso nicht hoffen. Denn wer weiß schon, aus welcher Episode seines Lebens dieser Rastlose uns das nächste Mal berichtet.

Trackliste

  1. 1. Fence Me In
  2. 2. Garota
  3. 3. Say Goodbye
  4. 4. Peng Pong
  5. 5. Bad Guy Now
  6. 6. Who Do You Report To
  7. 7. Whistler
  8. 8. Save Some Loving
  9. 9. Rainman
  10. 10. Lies Become Part Of Who You Are

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