laut.de-Kritik
Eine einzigartige Ehe aus Pop und Jazz.
Review von Artur SchulzJahrhundert-Crooner Frank Sinatra besaß nicht immer den Status als Ausnahmekünstler, den er heute verdientermaßen längst innehat. In den Anfangsjahren belächelte man ihn als Schnulzensänger, dessen Musik außer Heerscharen von jungen Mädchen kaum jemanden berührt. Dies änderte sich mit zunehmender Karrieredauer dank bahnbrechender Songs und Alben. Zu Ihnen zählt das 1955 entstandene "In The Wee Small Hours".
Womöglich gäbe es den Begriff 'Konzeptalbum' ohne Ol' Blue Eyes gar nicht, denn "In The Wee Small Hours" zählt zu den frühesten Veröffentlichungen des Genres. Die Zusammenstellung von Songs aus dem American Songbook geschieht handverlesen und der künstlerischen Grundintention präzise folgend. Anstelle bunter Swing-Arrangements früherer Jahre setzt Meisterproduzent Nelson Riddle auf punktgenau ausgeleuchtete, melancholisch-sentimentale Nachtstimmung.
Dem entspricht das eindringliche Cover-Artwork exzellent: Ein mitgenommener Sinatra steht sichtlich ermüdet in einer leeren Straße, die qualmende Zigarette in der Rechten. Nebelig umdunstete Straßenlaternen verbreiten ein fahles Licht. Der Morgen kündigt sich an, doch noch regiert die Nacht diese frühen Stunden - und die Seele von Frankie-Boy.
Der Opener "In The Wee Small Hours Of The Morning" stellt eine weitere klare Standortbestimmung dar. Nicht gut geht es unserem Helden: "When your lonely heart has learned its lesson / You'd be hers if only she would call / In the wee small hours of the morning /That's the time you miss her most of all". Die vordergründig zur Schau gestellte Stärke eines Mannes bricht in sich zusammen. Entzieht die Liebste ihr Lächeln, trifft es oft stärker als manch anderer Schicksalsschlag.
Eine besondere Variante des berühmten und in die Pop-Kultur eingegangenen Begriffs 'Blue Mood', einer traurigen Stimmung, gelingt Sinatra eindrucksvoll und nachhaltig in "Mood Indigo", eine intelligente Nuancierung jenes Dämmerlicht-Zustands. Unvermutet tauchen jazzige Uptempo-Passagen auf, die aber rasch wieder entschwinden und der vorherrschenden Melancholie den Platz überlassen.
Jeder Song dient als Baustein, als Fragment der Stationen einer einsamen Nacht; randvoll mit Gedanken, Fragen und Zustandsbeschreibungen. Das reicht von "Glad To Be Unhappy" über "What Is This Thing Called Love?" bis hin zur Erkenntnis "I Get Along Without You Very Well". Der Nachsatz "except sometimes" wischt womöglich wiedergewonnen Halt allerdings erneut erbarmungslos beiseite - es gibt kein Entkommen aus dem Abgrund des Herzens.
Vielleicht ist dieses Werk auch deshalb Sinatras persönlichstes Album, weil die Scheidung von Schauspielerin Ava Gardner nur noch Formsache war. Sie gilt als die Frau, die Sinatras Innerstes von allen Beziehungen am meisten berührte. Für sie verließ er zuvor Frau und Kinder, damals nichts weniger als ein Skandal. Somit ist "In The Wee Small Hours" auch ein bisschen Schmerzbewältigung.
Zudem ist in der Stimme erstmals ein Aufbruch ins Dunkle, Brüchige zu erkennen. Gleichzeitig zählen die eingebrachten Phrasierungen zu den stärksten seiner gesamten Karriere - einfach nur faszinierend, wie viele Nuancen Sinatra seinem Vortrag immer wieder abringt.
Zu einem später oft gecoverten Klassiker entwickelt sich das berührende "Last Night When We Were Young" aus dem Jahr 1935. Dank poetischer Lyrics beschreibt Sinatra eindringlich die völlige Veränderung der Welt innerhalb von nur einer Nacht. "Last night when we were young / Love was a star, a song unsung / Life was so new, so real so right / Ages ago last night (...) Today the world is old / You flew away and time grew cold". Nur eine Nacht kann dein Leben verändern und den lebenslustigen Jungen zum gereiften Mann verwandeln.
Ein Album in Moll, ohne Uptempo-Nummer und dennoch völlig frei von kitschiger Gefühlsduselei. Der Spannungsbogen beim Zuhören bleibt gleichbleibend hoch. Trotz des in dieser Nacht geflossenen Alkohols regiert in Frank ein wacher Geist, der bemüht ist, Emotionen und Erlebnisse zu hinterfragen und einzuordnen. Ein Happy-End findet nicht statt, nur die Hoffnung auf ein besseres Morgen schimmert immer wieder durch.
Häufig klingen die Instrumental-Passagen wie der Soundtrack zu einem Film Noir der vierziger und fünfziger Jahre. Das trägt ungemein zur Atmosphäre des jeweiligen Tracks dar. Ob trunkenes Saloon-Song-Piano, verhaltene Streicher, ein kaum spürbarer Rhythmus, dezente Percussion - jedes Thema verfügt über eine passgenau zugeschnittene Arrangement-Dramaturgie. Pop und Jazz gehen hier 16 Tracks lang eine einzigartige Ehe ein.
Interpreten des American Songbook wie Cole Porter, Duke Ellington, Richard Rodgers/Lorenz Hart oder Jimmy Van Heusen helfen Frankie hinein in kompositorische Maßanzüge. Auch sein langjähriger Pianospieler Bill Miller ist mit dabei.
Die musikalische Bedeutung des Albums drückt sich in einer Vielzahl späterer Ehrungen aus, etwa die Aufnahme in die Grammy Hall Of Fame 1984 oder der Eintrag in die Jazz Hall Of Fame 2001. Die Redaktion des Rolling Stone listet das Werk in seinen "500 Greatest Albums Of All Time" auf Platz 100.
Bewegende Songs über enttäuschte Lieben haben eben immer Konjunktur. Nicht nur das macht "In The Wee Small Hours" zu einem zeitlosen Album der Musikgeschichte. Sondern vor allem ein Frank Sinatra, der hier auf dem Zenit seiner Kunst agiert. Nie war das Leiden um eine verlorene Liebe tröstlicher.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
8 Kommentare mit 7 Antworten
Ein wahrlich grosser Künstler!
Was hatn der so gemalt?
Der hat über Rock&Roll gelästert, dieser ewig Gestrige! Und mit der Mafia gechillt auch noch!
Kenne das Album nicht, aber naja...Sinatra halt, wird schon irgendnen Meilenstein verdient haben.
alles längst verjährt...
Aber der Sound bleibt!
seine filme schau ich mir gern an, insbesondere wenn auch noch der rest vom rat pack, also samy davis jr. und dean martin, mit dabei sind. dieser drinking makes me smart and sophisticated style, der seinerzeit zelebriert wurde, der hatte einfach was.da wurde man noch nicht nen alkoholiker geschimpft, nur weil man den ganzen tag mitm glas in der hand rumlief.
finde ich auch....in der disziplin hatte dino ja auch noch die nase klar vor frankie....
Kommt mit nem Glas in der Hand und ner Fluppe im Mund auf die Bühne und die Weiber kreischen, wie es heutzutage höchstens bei Bieber und One Direction.
der Fall ist.
dino war gross, hat das ganze aber auch bis zum ende kompromisslos durchgezogen.erinnere mich da noch an ein bild von ihm in irgend ner illustrierten, als er scho kurz vor knapp war ....junge junge
Feierst du Mad MEn auch so wie ich?
na klar, grossartige serie
Ich liebe Sinatra und seine Musik zwar, aber dieses Album konnte mich nie wirklich fesseln. Meiner Meinung nach sind die Songs von Sinatra, die in erster Linie eben nicht melancholisch klingen sollten am melancholischten, wie "What now my love" oder "Summer Wind".
Eigentlich mag ich sinatra nicht, vorallem my way, new york new york usw. gefallen mir überhaupt nicht, aber dieses album ist genial, hübsch Melancholisch. Einfach wunderschöne Musik.