laut.de-Kritik
Reggae-Tracks für die Ewigkeit.
Review von Philipp KauseEine Zeitlang war es so, dass kein Jahr ohne neue Platte von Freddie McGregor verging. Und machte er dann doch mal keine, folgten im nächsten Jahr drei Alben. Dass seit sieben Jahren keines mehr erschien, ist so gesehen eine wirklich lange Pause. Doch dafür ist "A Breath Of Fresh Air" wieder ein besonders schönes inmitten all seiner vielen besonders schönen geworden. Freddie fing im Grundschulalter im Studio One von Coxsone Dodd an, als der zehn Jahre ältere Bob Marley dort ausgebeutet wurde.
Später als Erwachsener machte Freddie sämtlichen infrage kommenden jamaikanischen Kollegen, wie John Holt und Ken Boothe, den Ruf als Lovers Rocker und bestem soulvollen Balladensänger streitig. Er legte dabei mehr Schliff und Drive, dynamischere und quirligere Arrangements an den Tag als sein Altersgenosse Beres Hammond. Im Unterschied zu Uncle Beres, der nach ein paar Jahren in der Musikindustrie sesshaft wurde und mit VP Records arbeitete, war deren sparsamer, gedrosselter Release-Rhythmus nicht sein Ding.
Freddie releaste lieber viel bei viele Labels, blieb sich dabei aber immer treu. Mehr Quantität bedeutete für ihn mehr Übung und somit mehr Qualität. Komplementär zu Barrington Levy, der als Dancehaller selten im Lovers-Feld fremd ging, war es ihm umgekehrt. Er klang meistens wie ein Sänger aus Chicago, der Soul-Pop auf Reggae-Beats made in Jamaica machte, aber auch ihn kitzelte es in den Fingern, Dancehall aufzunehmen. Mit Steely & Clevie gelang ihm das 1989/90 mit sehr guten Resultaten, wie "Fever" oder "Prophecy" zeigen.
Besonders für drei Nummern liebte ihn derweil das Publikum, das charismatische "Push Comes To Shove", das eingängige "Big Ship Sailing On The Ocean" und seine beschwingte Fassung des wunderschönen Rocksteady-Klassikers "I Was Born A Winner". Im November 2022 erlitt der 66-Jährige einen Schlaganfall und musste seine Tour mit UB 40 abbrechen. Das bereits fertige Album "A Breath Of Fresh Air" sollte erst im Laufe von 2022, dann im Februar 2023 erscheinen, wurde in letzter Minute gestoppt und kommt nun digital.
Darauf regieren Keyboards in diversen Klang-Schattierungen, mit wabernden, klimpernden, hallenden, spiralartigen und jazz-fusion-artigen Tönen oder wie in "Change My Mind", in dem Glissando und Glitsch-Effekte zum Einsatz kommen, die sich anhören, als streiche man mit Wasser über einen aufgeblasenen Luftballon.
McGregor bleibt sich abermals treu, denn Keyboard-Musik durchzieht schon fast sein gesamtes Lebenswerk, mal mit mehr Saxophon, das hier in "Let There Be Light" zum Vorschein kommt, mal mit einer koketten E-Gitarre im Intro, wie beim Cover des Easy Listening-Classics "Perhaps, Perhaps, Perhaps (Quizas, Quizas, Quizas)" (Doris Day) als Reggae-Schnulze "Perhaps". Das meiste hier ist zugleich erlesenster Caribbean Soul und greift auf Motown- und Curtis-Kunstgriffe zurück (siehe "Change My Mind", "Let There Be Light", "What Them Thinking", "I'm Going Home"). Der Senior singt praktischer Weise die Leads und teilweise auch seine eigenen Choräle: Mister Big Ship ist enorm gut bei Stimme.
Ob er unablässig "for you, little girl" wartet ("I'll Be Waiting"), ob er nach dem richtigen Weg beim Jonglieren im täglichen Struggle sucht ("Peace And Love") oder schlitzohrig in "Hold Me Tight" empfiehlt: "I know what your trouble is, baby: You need Freddie by your side (...) You need someone by your side." Etliche Tracks werden ausgehungerten Lovers Rock-, Soulreggae- und Rocksteady-Fans zu neuen Hymnen werden, weil sie so viel Wärme ausstrahlen und die Seele dieses Künstlers spüren lassen: "Let There Be Light" zählt zu den ganz großen Tunes, in seinem dauertreibenden Groove, mit schmachtenden Background-Vocals und dezenten, wohligen, nostalgischen Bläsersätzen und nicht zuletzt dem perfekt tickenden Reggae Rockers-Schlagzeug.
Das vorsichtig Gummiband-dubbige "Peace And Love" zwingt in die Knie, wenn man nur ein bisschen Sinn für Seventies-Soul oder Roots Reggae hat. Unglaubliches Gesangs-Arrangement! "I'm Going Home" klingt so, dass man den Freddie am liebsten auch gleich nach Hause begleiten würde. Bei "Change My Mind" könnte alleine das Instrumental, das unter Freddies Stimme liegt, vielen Artists als inspirierender Riddim dienen.
Die schwungvollen Keyboard-Kurven in "Hold Me Tight" liefern noch mal eine aussterbende Kunst, im Raumklang so gute Patterns zu fabrizieren, dass das Lied möglichst nie enden möge, selbst,wenn der Songtext schon auserzählt ist. Und "That's The Way It Suppose To Be" als optimistischer Aufruf, die eigenen Träume im Kopf zu verwirklichen, entfaltet ebenfalls einen tollen Sog. Dann kommt noch die Bassline in "Work" dazu. Alles riesig!
Zugegeben, das hier ist wahrscheinlich nicht der ideale Sound für puristische Gangsta-Rap-Heads, und auch nicht für Techno-Süchtige, aber das zeigt ja schon die dilettantisch aufgelöste Cover-Grafik: Hier geht es um einen Mann und das, was er erzählt. Und dieser Mann verschwendet die Zeit seines Publikums nicht, sondern begegnet ihm mit Respekt. Konzerte Freddies waren eine stringente Sache, mit guten Ansagen, schnellen Steigerungen. Und sie feierten die Liebe zur Musik, griffen tief in die Kiste statt stumpf die neueste CD zu promoten.
Auch die Studioplatten selbst ließen nichts anbrennen und machten es meist wie diese hier: Sie folgten keinen Moden, aber sie hatten Substanz, musikalisch, textlich, vibestechnisch. Hier kommt wieder so eine Ladung mit Tracks für die Ewigkeit - unter den besten eine seiner allerbesten und überhaupt eines der konsistenten Reggae-Alben des 21. Jahrhunderts so far! Viel Spaß!
1 Kommentar
Offbeat: existiert
Laut.de: 5/5