laut.de-Kritik
2012 wird Papst Benedikt Formel-1-Weltmeister!
Review von Sven KabelitzZiemlich genau vor elf Jahren, am 5. Februar 2001, kam das erste Goldfrapp-Album "Felt Mountain" auf den Markt, überzeugte Kritiker und wuchs Musikfreunden ans Herz. Damals wurden Platten noch montags veröffentlicht und man zahlte in DM. laut.de war gerade mal drei Jahre alt, George W. Bush wurde Präsident der Vereinigte Staaten von Amerika und jeder weiß noch heute, was er am 11. September machte. Blume des Jahres ist der Blutrote Storchschnabel.
Zwei Jahre später folgte das zweite Release "Black Cherry" und Goldfrapp wurden -zur Verwunderung aller - tanzbar. Jürgen Möllemann nimmt sich bei einem Fallschirmsprung das Leben, Haiti erkennt Voodoo als Religion an und Saddam Hussein wird in Tikrit festgenommen. Blume des Jahres ist die Kornrade.
Vorerst geht es im Zweijahresrhythmus weiter. "Supernature" folgt 2005 und geht einen weiteren Schritt Richtung Elektronik. Angela Merkel wird Bundeskanzlerin, Joseph Ratzinger wird Papst Benedikt XVI. und die Band Jonas Brothers gründet sich. Blume des Jahres ist der Große Klappertopf.
Mit ihrem Album "Seventh Tree" finden Goldfrapp 2008 zur Ruhe ihres Debüts zurück. Andrea Ypsilanti vergeigt die Wahl in Hessen grandios und der Schlumpf mit dem Herpes bleibt weiter im Amt. Mit Barack Obama wird zum ersten Mal ein Afroamerikaner Präsident der U.S.A., Isaac Hayes stirbt und der 1. FC Nürnberg steigt als amtierender Pokalsieger aus der ersten Fußball-Bundesliga ab [*heul*, d. Red.]. Blume des Jahres ist die Nickende Distel.
2010 vergibt Alexander Cordas erstmals nur vier Punkte an Goldfrapp. Auf "Head First" spielen die beiden Musiker mit 80er Synthiepop, Schlager und Hi-NRG-Elementen. Die Aschewolke des Vulkans Eyjafjallajökull setzt den Luftverkehr in Europa lahm, Sebastian Vettel wird erstmals Formel-1-Weltmeister und Oberstaufen ist der erste deutsche Ort, den man sich straßenweise bei Google Street View anschauen kann. Blume des Jahres ist die Sibirische Schwertlilie.
Warum ich das alles erzähle? Jedes dieser Goldfrapp-Alben, sowie der einzelnen Jahre, bildet ein geschlossenes Universum für sich. Ein Best Of-Album wie "The Singles" reißt die Daten und Songs aus ihrem gewohnten Umfeld und setzt sie wahllos wieder zusammen. Folgt man dieser Logik, wird 2012 Benedikt XVI. Formel-1-Weltmeister, der 1. FC Nürnberg Religion in Haiti [Warum nicht? d. Red.] und die Blume des Jahres heißt Jürgen Möllemann. Merken Sie was? Das ergibt doch gar keinen Sinn! Blume des Jahres ist natürlich die Heide-Nelke.
Doch wozu ist so ein Best-Of eigentlich gut? Meist erscheinen sie zu einschneidenden Zeitpunkten einer Bandkarriere, wie zum Beispiel einer Trennung, einem Comeback oder dem Wunsch eines neuen Pools vor der gerade erworbenen englischen Villa. Im Falle Goldfrapp ist es der Abschied von Mute. Das angekündigte sechste Werk der beiden Engländer wird auf einem anderem Platten-Label erscheinen.
Für die Fans, die bereits jede Veröffentlichung der Band ihr Eigen nennen, gibt es auf solchen Alben immer noch ein Schmankerl, damit sie auch ja zuschlagen. Hier sind es die beiden Songs "Melancholy Sky" und "Yellow Halo", die nicht weiter stören. Zu "Yellow Halo" drehte man ein Video mit einem iPhone.
Viele Musiker habe ich über den Umweg einer Compilation kennen gelernt. Als Schüler, dem das Geld fehlte, boten diese mal liebevoll gestalteten, mal lieblos hingerotzten Dinger einen Zugang zum Gesamtwerk der Künstler. Nachdem ich die vermeintlich besten Tracks kannte, habe ich mich dann langsam durch den Rest gehört. "The Singles" kann also auch nur als Appetitanreger gesehen werden. Die wahren Stärken von Goldfrapp bleiben ihre Alben.
4 Kommentare
Ich könnte mich jetzt darüber äußern der letzte Absatz der Rezension eigentlich gereicht hätte... aber der Rest is dann doch sehr nett geschrieben.
Der letzte Absatz würde für so ziemlich jedes Best Of Album reichen.
'sk', mal wieder origineller als das zu besprechende produkt.
aber extrem wichtig und vor allem wahr ist dieser Absatz