laut.de-Kritik
Alle Kristallnonnen in die Kathedrale, bitte!
Review von Franz MauererDie beste sinnlose Arbeit des Planeten ist es, sich durch die Myriaden von Songs aus der Feder von Robert Pollard zu wühlen wie ein Ameisenbär auf der Suche nach den besonders knackigen, dicken Exemplaren. 2021 war ein mageres Jahr für Guided By Voices, bei nur 2 Releases, die allerdings überdurchschnittliches Niveau erreichten. 2022 soll alles besser werden und dementsprechend kommt "Crystal Nuns Cathedral", GBVs ca. 35stes Album und Pollards ca. 103tes, die Gelehrten streiten über die Zählweisen, früh im Jahr.
Die gesamte zweite Renaissance von GBV ist bewundernswert, auch weil sie es schafft, den Bandsound auf eine positive Art zu konservieren; dabei doch Brüche mit der Vergangenheit aktiv sucht und sich bereit zeigt, unterschiedliche Gewichtungen auf jedem Release einzugehen. Das ändert im Grundsatz nichts am Rammelkistenprinzip von Pollards Arbeit, zumindest als Fan lässt man sich vom Meister aber gerne einreden, dass ein roter Faden existiere. Seit "Space Gun" aus 2018 wartet man in der Post-Tobin Sprout-Ära von GBV auf Kaliber vom Ausmaß eines "Earthquake Glue" oder "Class Clown Spots A UFO", von den Nicht-GBV-Alben mal abgesehen.
Daran ändert "Crystal Nuns Cathedral" nichts. Vielmehr gruppiert es sich ein in eine lange Reihe guten, aber wenig bemerkenswerten Outputs mit dem Charakter von zufälligen Liedersammlungen. Dabei macht es nur wenig falsch wie das leicht nervige "Re-Develop" oder "Climbing A Ramp", das zwar gute Momente hat, zwischendurch jedoch unangenehm an Apocalyptica erinnert und sich in einem wenig eleganten Solo auflöst, das eher Erlösung ist. In diese Riege zäht ebenso die schwache Single "Excited Ones", Power-Pop-Rock ohne Langzeitwirkung und der gefällig vorbeiziehende Titeltrack.
Diese Schwächen in der B-Note rütteln kaum am Grundwert des Pollardschen Materials, das auch hier an allen Ecken und Enden durchscheint, aber ebenso typisch oft dann einen unnötigen Haken schlägt, wenn alle Versatzstücke eigentlich zueinander gefunden hätten. Die Verve an der eigenen Zerstörung ist es, die Songs wie den lässigen Garage-Alternative "Eye City", dem im Ergebnis nur soliden Indiestück "Never Mind The List", das laut Pressetext "das schlagende Herz des gesamten Albums" sein solle, und dem verschrobenen "Huddled" höhere Weihen versagen. In all diesen Songs sind wie üblich Ideen für mindestens 3 Lieder enthalten, die sich aber getrennt vermutlich besser anhörten. "Eyes Of Your Doctor" ist dafür ein besonders augenfälliges (get it?) Beispiel mit vielen guten Momenten und netter Grundhook, die trotzdem nie wirklich ins Schwingen kommt.
Neben den wie gewohnt spannend zu verfolgenden Lyrics aka der Pollardschen Aphorismensammlung, die im Vergleich zu einigen ihrer unmittelbaren Vorgänger aber wieder an Direktheit eingebüßt haben, ist auch auf "Crystal Nuns Cathedral" die Atmosphäre ein entscheidendes Argument für GBV. Der Garage-Rocker "Come North Together" und das langsame, sehnsüchtige Klagelied "Forced To Sea" schaffen es aus dem Hemdsärmel tiefste Schwermut herzustellen und nehmen Tempo raus, ohne lahm zu werden.
Und dann gibt es noch 2 Gründe, warum diese Scheibe eine eher gute in der Diskographie von GBV ist, auch wenn ihr der konzeptionelle Mut oder die Dynamik von "The Bears For Lunch" völlig fehlt: "Crystal Nuns Cathedral" trägt 2 Songs für die berüchtigten GBV-Best-Of-Playlists bei.
Das Albumhighlight "Mad River Man" zeigt, wie es richtig ginge: Mit der das Album insgesamt durchziehenden Stimmung, feinem Melodiegespür, dem Mut, Ideen weiterzuentwickeln und sie nicht immer im falschen Moment um 180 Grad zu brechen. Dem Song gelingt nicht nur ein befreites Aufspielen, sogar Pollards Qualitäten als Sänger kommen richtig durch, gerade beim den "Mad River Man" beschwörenden Refrain. Sogar textlich gelingt dem Song der Spagat zwischen Unverständlich- und Greifbarkeit, es könnte um einen Vater gehen, der seine Familie verlassen will, wirklich klar wird das nicht. Muss es aber auch nicht, auch so packt er es locker auf jede GBV-Best-Of.
Dazu gesellt sich der Grunger "Birds In The Pipe" mitsamt wirklich wundervollem, windschiefem Zweigesang und man ist wieder versöhnt mit dieser seltsamen, seltsamen Band. Man packt die beiden Songs auf seine Playlist, verteufelt die Idioten, die sich andere Tracks aus "Crystal Nuns Cathedral" pickten und freut sich auf das Schmelzen der Eisblumen am Fenster, wenn das nächste GBV-Album vermutlich schon wieder ansteht.
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