laut.de-Kritik
Ein Seelen-Striptease mit gnadenlos guter Stimme.
Review von Philipp KauseMit ihrer prägnanten Stimme erweckt H.E.R. wohlige Vertrautheit. Und auch mit ihrem Stil. Nichts auf "Back Of My Mind" ist neu. Brandy oder Blaque Ivory haben relativ ähnliche Musik schon vor 20 Jahren gemacht - nur nie so intim und clean. Trotzdem ist H.E.R. weder Klon noch Retro-Queen. Auf Altbewährtes setzen, das glückt bei der Newcomerin mit den drei Punkten im Namen in super zeitgemäßem Gewand.
Die Musik der Album-Debütantin gerät über weite Strecken perfekt. Bei der üppigen Zahl von 21 Stücken trübt der ein oder andere wässrige Ausrutscher den Gesamteindruck kaum, etwa das einfallslose Titelstück, in dem DJ Camper den guten Ty Dolla $ign verschwimmen lässt. Wendet man sich der ekstatisch zuckenden E-Gitarre rund um den fiependen "Tu-mir-bitte-nicht-weh"-Gesang in "Don't" zu, bezirzt die sympathische Kalifornierin richtiggehend.
Was sich bei ihr im verborgenen abspielt, vollführt Gabriella Wilson aka H.E.R. wie einen erotischen Seelen-Striptease: Konsequent in den Arrangements, die auf einen Trip ins Geheimnisvolle hineinziehen, und dank ihrer expressiven Stimme. Die Grammy-prämierte R'n'B-Chanteuse singt gnadenlos gut. In "Process" intoniert sie binnen weniger Sekunden von ganz tief bis hoch. In der charismatischen Komposition "For Anyone" glänzt die Kalifornierin mit intensiven Bögen. "My Own" nimmt einen wie ein Sog mit. Auch die Rhythmik und Schubkraft von Rap-Lines benutzt sie gelegentlich.
Den hüllenhaften, klapprigen Synth-Collagen setzt sie ihre Finesse, Entschlossenheit und Zartheit entgegen. Die Westcoast-Sängerin stimmt die Lieder zwar mit Nachdruck an, aber verzichtet auf Pathos und Tanzbarkeit genauso wie auf allzu extreme Schlafzimmer-Mucke, Stimmung und Tempo halten die Balance.
Die Tracklist folgt einer gewissen Logik: Der Opener "We Made It" pflegt minimalistisches Urban-Music-Understatement, dann schichten die nachfolgenden Songs quirliges Detail-Geschehen im Beatmaking hinzu und halten mit einer Vielzahl gesampelter, geloopter, effektverspielter, organischer und ausschmückender Zutaten bei der Stange. Elektronifiziertes ("Find A Way (feat. Lil Baby)", "Process", "We Made It"), angedeutete Hip Hop-Momente (in "Mean It"), bisweilen Spoken Word ("Exhausted"): Das alles sind wichtige Koordinaten, wobei weder Hip Hop noch Soul im engeren Sinne stattfinden.
Die von H.E.R. selbst gespielte Akustikgitarre veredelt "Hard To Love". Sinnlich schleppt sich die Drum-Machine in "Hold On" übers Tanzparkett. Der auffallendste Moment des Longplayers: Die prägnante E-Gitarre lässt uns bei Kravitzs "Fly Away" oder bei Janet Jacksons "Trust A Try" auf "All For You" nachschlagen.
Manche Arrangements sind zwar ausgefeilte Kombinationen aus Programming und organischem Spiel der Multiinstrumentalistin, aber im Ergebnis doch ein gewöhnungsbedürftiger Versuch, Folktronic-Klangfarben oder Deep House-Wackelpudding einzubinden. Dennoch, ein schicker Ansatz, um mal über die zeittypischen Clap-Trap-Beats, wie sie in "Slide (feat. YG)" durchaus einmal vorkommen, hinauszugehen. Die Produktion vermittelt: 'Hey, lasst uns chillen, Peace für alle, schaltet den Kopf aus, lasst euch treiben, das hier ist Yoga-R'n'B'. H.E.R. vermeidet jegliche Anstrengung und führt doch mit Kraft durch das, was sie zu sagen hat.
Wenn dann noch gute Rap-Passagen aufblitzen, wie Cordaes Auftritt in "Trauma", passt alles. Insgesamt eine pfiffige Mischung, die nicht jedermanns Sache sein dürfte. Dafür hält das Songmaterial aber viele Ohrwurm-Momente und unnachahmliche Rhythmus-Flows parat.
Das ambivalent traurige, doch recht treibende "Bloody Waters" fasziniert, neben Thundercat hat Kaytranada seine Hand an den Sound gelegt und ein schickes Teil konstruiert. Auch die quirlige Geschichte vom Fremdgehen, "Cheat Code", mit dezentem Saxophon-Sample, hat Biss, Tempo und intensive Vocals trotz des 80ies-Cocktail-Jazz-Ambientes.
"Damage" bounct erste Klasse und integriert schon so viel Saxophon und Achtziger-Gran Cassa, dass man behaupten kann: Die Mitt-Zwanzigerin kennt die Funk-Ursprünge des Electrosoul und die Wurzeln ihrer Musik genauestens, oder: ihre Kollaborateure tun es. "Cheat Code" hat sie zum Beispiel mit dem Sänger von Electric Guest koproduziert, mit Julia Michaels getextet und mit DJ Camper komponiert. Vernetzt in den Hip Hop von heute präsentiert sich als Über-Hit "I Can Have It All", das bereits auf dem jüngsten Khaled-Mixtape "Khaled Khaled" einen Höhepunkt darstellt.
Was beim ersten Hören einen scheinbar konventionellen Eindruck erweckt, ein bisschen kalkuliert wirkt, klingt beim aufmerksameren Hinhören viel besser. Authentizität, Aufrichtigkeit und Gefühl sorgen dafür, dass der Eindruck einer spannenden Pop-Platte bleibt. Textlich ein Konzeptalbum zum Thema Trennung und Vertrauensbruch meistert der Longplayer ein scheinbares Oxymoron. H.E.R. nimmt quasi die Challenge, knapp am Kitsch vorbei Teenie-Themen originell zu verpacken. Wer R'n'B mit Electrosoul- und Funk-Zitaten mag, kommt erstklassig unterhalten auf seine Kosten.
2 Kommentare mit 3 Antworten
Höre da weder ein Goldkehlchen noch geile Untermalung. Das übliche R'n'B Geknödel, im Studio optimiert. Aber toller Werbetext, auf den Verweis des Schönhörens und der nur oberflächlichen Konventionialität fall ich nicht rein. Wahrscheinlich adaptiert man eher das Niveau und feiert dann schon okaye Lines. Nice try.
Boah, ist mir Anfang dieser Woche nach anfänglichem Wohlwollen aufgrund begleitender laut-Rezi nochmal so ein bissl mit der Greentea Peng aufgefallen, wie sehr Rezessionist*innen ihre Worte da echt mit bedacht wählen sollten... Die stilistischen Limitationen auf der GP lassen mich gerade zweifeln, ob überhaupt schon die deepness des Massive-Attack-Yuppie-Zweitlings erreicht wird und wir alle wissen, dass mind. 95% der Leser*innen bei dieser "klassischster TripHop seit MA!"-Referenz NATÜRLICH die Geburtsstunde des TripHop mit "Mezzanine" assoziieren statt der ersten Gehversuche in Platten-Form mit jeweils einzelnen Ausreißern nach oben von einer kinderbeschuhten Tempi-Counterculture im Electro zur damals vorherrschenden 160bpm+ - HappyRave-Kultur.
Hätte die Platte wohl besser und länger genießen können, wären meine Erwartungen nach der Rezi nicht so unterlaufen worden. Das ist auf keiner Ebene so trippy, psychedelic, stilistisch eklektisch, wegweisend und überhaupt erst stilbildend für nachfolgende musikkulturelle Entwicklungen wie das Überwerk der Briten... Es ist durchaus, wie das Django und andere beschrieben, loungig, organisch, angejazzt, leicht verträglich aber nicht auf diese Fahrstuhl-Berieselungs-weise, im Gegenteil: Ein wohltemperierter Kontrast zu deutschem Formatradio-Baukastenpop... Aber wenn Du eine "gelungene Mezzanine-Hommage" erwartest und dann das Greentea Peng-Debut hörst... Schwer, diese Enttäuschung nochmal abzustreifen, auch wenn es hier und generell im R'n'B wohl "erwartbarer" für viele ist, dass etwas als "außerhalb der üblichen Genre-Limitierungen stattfindend" unnötig hochgejazzt wird von der Rezi, wo es für einen selbst (für mich im R'n'B ebenfalls auffallend oft) doch vollends innerhalb der bereits bekannten abgesteckten Genre-Gimmicks stattzufinden und zu funktionieren scheint...
Zustimmung, auch zu Greentea Peng. War relativ enttäuscht beim Hören nach den Referenzen und der Eloge hier. Klang dann fazitär nach okayer Beschallung für den provinziellen Coffeeshop hier in Grenznähe, lädt dort auch zum Verweilen ein, handwerklich gut gemacht. Muss ich aber nicht im Regal haben.
Das ist doch kein Soul. Glattgebügelt , Autoune, völlig künstlich aufbereitet.
Die STimme ist gut.
"Die STimme ist gut."
...wegen Autotune, oder? Ist ja gerade in diesem Genre auffällig häufig so.