laut.de-Kritik
Durch Dantes Inferno und zurück.
Review von Josephine Maria Bayer"Would That I" zieht auf TikTok derzeit weite Kreise. Als Hintergrundmusik ziert der Track unzählige Videos, die ein idyllisches Leben oder ästhetische Orte zeigen. Doch Hozier wehrt sich offenbar gegen das Image des elfenhaften Minnesängers und legt auf seiner EP "Eat Your Young" die Gitarre demonstrativ beiseite. Stattdessen springt der Folkmusiker vollends in die Fluten des Rhythm'n'Blues. Morbide Poesie und Hoziers soulige Baritonstimme mischen sich mit dem kritischen Blick auf die Eliten der Gesellschaft.
Hoziers EP erschien am St. Patrick's Day, der gleichzeitig auch sein Geburtstag ist. Die drei Songs geben einen Vorgeschmack auf sein drittes Studioalbums "Unreal Unearth", das für diesen Sommer ankündigt ist. Einer Pressemitteilung zufolge soll er bei der Entstehung der Platte viel Inspiration aus den Beschreibungen des Infernos in Dantes "Göttlicher Komödie" bezogen haben. Die Songs befassen sich vorwiegend mit den darin vorkommenden "neun Kreisen der Hölle". Dies ist auch der Fall bei zwei Liedern der EP: "Eat Your Young", eine Anspielung auf den dritten Kreis der Hölle (Völlerei), und "All Things End", das sich auf den sechsten Höllenkreis (Häresie) bezieht.
Mit Kopfstimme scattet Hozier das Intro, Drums und Bass steigen ein und treiben "Eat Your Young" nach vorne: "I'm starving, darling. Let me put my lips to something." Was zunächst nach einem sinnlichen Liebeslied klingt, entpuppt sich bei näherem Hinhören als bissige Kapitalismuskritik. Der Titeltrack der EP kreidet die Missstände der Gesellschaft an. Die englische Redewendung 'to eat your young' beschreibt, dass die schwächeren Glieder der Gesellschaft den Interessen der wohlhabenden Oberschicht geopfert werden.
Ein aktuelles Beispiel hierfür wären große Konzerne, wie Tesla und Facebook, die ihre Angestellten inmitten einer Rezession in Scharen entlassen. Schon seit längerem befasst sich der Sänger mit dem Thema Arbeitsrechte. So merkt Hozier im bislang unveröffentlichten Song "But The Wages" an, dass sich derzeit alle möglichen Dinge im Wachstum befinden, zum Beispiel der Meeresspiegel und die Polarisierung der Gesellschaft. Die Arbeitslöhne seien das Einzige, was nicht anstiege. "Eat Your Young" knüpft an diese bittere Beobachtung an. Er singt von Brotkrumen, die die Reichen übrig lassen und davon, dass mit Kriegstreiberei Profit gemacht wird: "Come and get some, skinnin' the children for a war drum. Puttin' food on the table sellin' bombs and guns."
Ein Markenzeichen des tiefsinnigen Pop-Jesus sind die zahlreichen religiösen Motive in den Songtexten, die mit einem kraftvollen Gospel-Chor im zweiten Track "All Things End" auch einen Ausdruck im Arrangement finden. Der Song beginnt mit einem schlichten und ruhigen R'n'B-Intro, nimmt zwischendurch an Fahrt auf und endet mit einem inbrünstigen A capella-Chor.
Hozier machte seine ersten musikalischen Höhenflüge als Sänger des irischen Erfolgschors Anúna, aus dem auch diverse Celtic Woman-Solistinnen hervorgegangen sind. Die Begeisterung am gemeinsamen Singen ist geblieben. Einen Vorgeschmack dieses Sounds gab es bereits im ermutigenden "To Noise Making (Sing)" des Vorgänger-Albums "Wasteland, Baby!" (2019). Bei so viel Liebe zum Genre kommt die Frage auf, wann wohl das erste Spiritual-Album im Stil von Johnny Cash oder Elvis kommen wird.
Doch vielleicht wäre das etwas zu viel verlangt für den Agnostiker. Hozier wurde zwar in eine Quäker-Familie hineingeboren, bekennt sich jedoch zu keinem bestimmten Glauben und steht der Kirche als Institution ausdrücklich kritisch gegenüber. Dennoch scheint der Titel seines Nummer eins-Hits "Take Me To Church" immer wieder Programm zu sein. Entgegen der amerikanischen Spirituals ist der Text von "All Things End" eher nihilistischer Natur. Hier gibt es keine Vertröstung auf das Jenseits, kein Hoffen auf ein göttliches Eingreifen. Alles muss enden. Genau darin liegt auch die Häresie, die Epikur in den neunten Kreis von Dantes Hölle verbannte. Immerhin spendet Hozier dennoch etwas Trost. Denn die unweigerliche Endlichkeit solle nicht vom Träumen abhalten: "Just knowing that everything will end, should not change our plans when we begin again."
Auch im dritten Track "Through Me (The Flood)" lassen ein Background-Chor, Tamburin und Hammond-Orgel sanfte Gospel-Stimmung aufkommen. Der Song ist ein Loblied auf die Resilienz der Menschheit und das Überstehen der Pandemie, die wie eine Flutwelle über die Welt hereingebrochen ist. Der in vieler Hinsicht kryptische Text lässt eine konkrete Bedeutung nur erahnen. In der ersten Strophe ist von einem erfahrenen Schwimmer die Rede, den die Strömung überrascht. In der zweiten sollen wir uns ein frisch geschaufeltes Grab vorstellen: "Picture a grave, picture six feet freshly dug." Die Bridge erläutert die Metapher: "With each grave I think of loss and I can only think of you. And I couldn't measure it." Es geht also um Verlust.
Ob damit die Todesopfer der Pandemie gemeint sind oder eine verflossene Liebe, bleibt unklar. Der Text bietet viel Interpretationsspielraum. Im Refrain wird der sich abmühende Protagonist zur flammenden Einheit mit dem Universum: "Anytime I'd struggled on against the course out on my own, every time I'd burn through the world, I'd see that the world, it burns through me." Spätestens an dieser Stelle transzendiert Hozier die Dimensionen des Weltlichen. Fast schon sieht man ihn in die Wolken emporsteigen. Seine Höllenfahrt war scheinbar doch nur ein Exkurs auf dem Weg zum Soul-Himmel.
1 Kommentar mit 3 Antworten
11 Minuten Musik finde ich selbst für eine EP zu wenig.
Früher hieß das Maxi Single.
Vielleicht ne MiniDisc? ????
Nein. Die hatte im Standardmodus 60, 74 oder 80 Minuten nutzbare Spielzeit. Passten also im Schnitt ein ganzes Prog-Album oder 2-3 Punk/Hardcore-Alben, 3-5 EPs oder 9-12 Maxi Singles inklusive jeweiliger B-Seite/Extended Version drauf.
Punkt geht an Chris, Hozier sollte "Eat Your Young" ab jetzt lieber schleunigst als üppige Maxi statt als dürre EP vermarkten!