laut.de-Kritik
Eindrucksvolle Werkschau des Wizards.
Review von Maximilian Fritz27 Tracks im Digitalformat, 42 im CD-Boxset - Jeff Mills' Compilation "Sight Sound And Space" bildet das Œuvre des Detroiter Techno-Urgesteins auf raumgreifende Weise ab. Und der Wizard wäre nicht er selbst, hätte er den Titel nicht nach konzeptionellen Vorgaben gewählt. Die drei enthaltenen Tonträger widmen sich mit "SIGHT" zuerst Kompositionen mit filmischem Hintergrund. "SOUND" enthält Stücke, die dem Maestro zufolge einen "einzigartigen und spezifischen Typ Sound" haben, "SPACE" thematisiert abschließend die Inspirationsquelle, die Mills konsequent futuristisches Schaffen seit jeher bestimmt: den Weltraum. Kleiner, großer Zusatz: Mit "AND" bekommt der Käufer noch ein ausführliches Booklet serviert, in dem der Techno-Pate auf über 50 Seiten seine ausgewählten Tracks kommentiert und erklärt.
Wie man dieser schieren Fülle an Material am besten zu Leibe rückt, sollte man sich am besten vor dem Kauf überlegen. Besonders das Booklet weckt den Eindruck eines Sammlerstücks, mit dem vor allem eingefleischte Anhänger ihre Freude haben dürften. Von Abzocke, wie man sie bei Stichworten CD-Box und Compilation schlagartig wittert, kann aber keine Rede sein: Die drei Alben sind konsistent und nachvollziehbar zusammengestellt und es befindet sich unveröffentlichtes bzw. neu produziertes Material auf den Tonträgern.
"SIGHT" steigt mit dem grandiosen "Perfecture" ein, das Mills' Vertonung des Fritz Lang-Klassikers "Metropolis" entnommen ist. Bleepig, atmosphärisch dicht und dennoch dezent genug gehalten, um die visuelle Ebene nicht zu übertünchen, setzt es den Ton für CD 1. "Homing Device" befasst sich im Anschluss mit dem Ungewissen und erweckt bereits erste Assoziationen mit der Raumfahrt, ehe "The Drive Home" diese mit Streicher, Glocken und einer dumpfen Kick verstärkt - Marschmusik für die unendlichen Weiten. Ein weiterer Anspieltipp: "Sleepy Time" vom Soundtrack "A Trip To The Moon", der Georges Méliès gleichnamigen, visionären Film von 1902 untermalt. Ein Stück zeitgenössischen Ambients, das Mills' neueren Sound charakterisiert. Weg vom Club-Sound, hin zum Louvre.
Anders verhält es sich da natürlich mit dem Überhit "The Bells" auf CD 2, dessen Omnipräsenz bis heute Fluch und Segen für den hageren Detroiter darstellt. Eher widerwillig baut er die ikonischen Synths nach wie vor in seine DJ-Sets ein, um sein Publikum nicht zu enttäuschen, wohl wissend, dass die Meute danach geifert. Doch was soll man sagen: Der Track klingt auch 2019 extrem gut und hat das immerwährende Potenzial, jeden Rave zu retten. Und abseits des inzwischen eher verschmähten Technos im hohen BPM-Bereich nimmt man Mills trotzdem als ernst zu nehmenden Künstler wahr - alles gut also.
Weitaus verkopfter aber nicht weniger intensiv: "Growth", das unvermittelt losprescht, sich in einem ekstatischen Strudel aus Synth-Lines verliert und nach einem minimalen Break noch stärker zurückkommt. Mills erreicht in diesem Stück von 1994 gleich mehrere Niveaus der Eskalation, das Spiel mit der Intensität zeichnet ihn seit jeher aus. "SOUND" richtet sich als Album etwas mehr an der Tanzfläche aus als der Rest der Compilation. Dafür zeichnet auch "The Resolution" maßgeblich verantwortlich, das mit seiner kühlen Soundästhetik maximal unverwechselbar nach dem technoiden Mills Anfang der Zweitausender klingt.
Insgesamt wirkt "SPACE" als Album aber am ausgereiftesten. Der Weltraum, der sich hier schon anhand der Tracknamen als kreative Triebfeder wie erzählerische Klammer entpuppt, zeigt hier seine bedrohlichsten wie schönsten Facetten. Nach zwei beatlosen Einführungen zirpt das Acid-getränkte "The Believers" unbestimmt vor sich hin. "Stabilizing The Spin" aus dem Sommer dieses Jahres arbeitet mit unsteten Kicks und einer Klangkulisse, die Mills' Fetisch-Objekt Nummer eins, den Mond, einmal mehr ins Zentrum stellt. Das bislang unveröffentlichte "Outer Space" liefert nicht viel mehr als eine leicht irritierende Skizze, die dem Wohlfühlcharakter von Ambient Anspannung und manische Keys entgegensetzt.
"Medians" von 2016, das arg nach Kunstinstallation klingt, beendet dann diesen Abriss des Mills'schen Schaffens im Zeitraum von 1990 bis 2019. "SIGHT SOUND AND SPACE" vermittelt als Compilation durchaus eindrucksvoll, wieso Jeff Mills einer der wichtigsten elektronischen Musiker der Vergangenheit und Gegenwart ist. Jede musikalische Seite des Künstlers, der seine Kreativität so feinfühlig kanalisiert und ausdefiniert wie kaum ein anderer, wird zur Genüge beleuchtet. Auch für Einsteiger eine lohnende Investition, rekontextualisiert die Compilation doch auch viele ältere Stücke und erleichtert den Zugang.
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