laut.de-Kritik
"I will never retire!"
Review von Philipp KauseWas gibt es Neues in der Welt von Joan Armatrading? Eine jüngere Joanne, die Blueserin Shaw Taylor, hat dieses Jahr Armatradings altes "All The Way From America" gecovert, dabei einen guten Job verrichtet. Armatrading weicht ihre Abkehr vom Touren nicht auf und bereitet neuen Songs keine Live-Bühne, nicht mal in ihrem Heimatbezirk Surrey südlich von London. Ins Studio geht sie noch gerne, sie hat sich ein eigenes eingerichtet und verspricht "I will never retire!", "ich werde nie in Rente gehen.".
"How Did This Happen And What Does It Now Mean" ist Joan Armatradings insgesamt sechstes Album dort und ihr drittes für die Firma BMG. Sie muss sich und uns beim 21. Album nicht mehr beweisen, wie viele Genres eine Komponistin in 40 Minuten miteinander verquirlen kann. Beispiele für die Spannbreite sind Disco in "25 Kisses", Alt-Pop in "Irresistible" und das elegische Heavy- und Blues Rock-Instrumental "Back And Forth".
Was sich sogleich erübrigt, ist ein Aufdröseln beteiligter Produzent:innen und Ko-Autor:innen. Joan, die bald ihren 74. Geburtstag feiert, kann überall ihren Namen dahinter schreiben. Wie schon bei "Consequences" spielt sie alle Instrumente selbst und ist ihre eigene Toningenieurin. Nur das Cover-Foto ist kein Selfie, das hat sie nicht gemacht.
Es gibt wieder reichlich vom Trademark-Sound pumpender und konturierender Keyboard-Töne, sie flankieren hart gespielte Drums. Eighties-Poprock vergleichbar dem von Alison Moyet und Edie Brickell crasht mit Soul und Rhythm'n'Blues. Heraus kommt in unnachahmlicher Rhythmik manch frischer Klassiker fürs große Joan-Repertoire, beispielsweise das souverän durch gezogene "Here's What I Know", in dem sie singt, wie andere einen inneren Monolog auf einer Musical-Bühne halten. Armatrading erobert die Gehörgänge, wenn man sie mag. Wer es gern lieblich bevorzugt, geht auf diesem Album leer aus: Die Geschichtenerzählerin bevorzugt ihre ernste Seite.
Auch wenn Armatrading womöglich an Modernität gewonnen hätte, wenn sie eine fremde Person an die Regler gelassen und von allzu viel Achtziger-Synths Abstand genommen hätte, klingt das Album okay, teils brauchbar, zieht aber nicht so sehr in Bann wie viele Vorgänger. "Redemption Love" perlt ausgesprochen einprägsam aus den Boxen. Dass sich manches, zum Beispiel das pfiffige "I Gave You My Keys", wie Eurythmics mit Joans Vocals anhört, ist dann eben charmanter Retro-Sound im Lautsprecher. Auch "Say It Tomorrow" ist so eine Nummer, die mitunter an Dave Stewart und Annie Lennox denken lässt; die Machart hat man noch im Ohr.
"How Did This Happen And What Does It Now Mean" grübelt über die Balance zwischen Schuldzuweisung, Ursachenforschung, konstruktiver Kritik und guten Ratschlägen. Strophen und Refrain bezirzen mit Synkopen am E-Piano im Stile Bruce Hornsbys. Wie ein Wackelpudding, den man schüttelt, wirkt der Rhythmus in der Bridge des Songs ziemlich interessant.
Thematisch streift die Platte das Auf und Ab der Liebe, "love will lift you up, love won't bring you down" in "Come Back To Me (If Only In Dreams)", aber auch denkwürdige gesellschaftliche Begebenheiten. Joan erzählt "I'm Not Moving" aus der Sicht eines gewalttätigen jungen Mannes in einer öffentlichen Situation. Sie hat die Szene erlebt. Er schrie "'Ich werde alle umbringen! Ihr bekommt mich nicht ausm Weg! Ihr könnt die Polizei holen, ich bewege mich nicht". Um die Begebenheit zu vertonen, probierte die Songwriterin zunächst eine sanftere Version aus. Diese entsprach aber nicht dem angsterfüllten Vorfall, und so wurde zwar nichts wirklich Bretthartes, aber eine Art Robert Palmer-Song daraus.
Echte Highlights sammelt die Platte nur wenige. Schlimm ist das jetzt nicht, Nachschub tut gut. Schön, dass diese Ausnahme-Künstlerin noch was zu erzählen hat, doch ich greife dann lieber zu etwas Emotionalerem, mancher älteren Platte aus ihrem reichhaltigen Katalog.
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