laut.de-Kritik
Der House-Kurator in spe erteilt eine Lehrstunde.
Review von Daniel StraubBisher fristet die Popkultur im Reigen der Künste eher ein Schattendasein. Zu wenig Substanz sehen die bürgerlichen Museums- und Medienmacher. Man kann die Tage zählen, bis derlei Einschätzungen von selbst obsolet werden. Spätestens dann werden die populären Künste, allen voran die Musik, ihren Einzug in die Ausstellungshallen der großen Museen halten. Klar, dass eine große Abteilung zu moderner Tanzmusik da nicht fehlen darf.
Einer der sich längst für den Posten eines Kurators für Disco, Funk, Soul und House vorgeschlagen hat, ist der Brite Dave Lee, vielen besser bekannt unter seinem berühmtesten Pseudonym Joey Negro. Seit nunmehr 20 Jahren fröhnt Negro ausgiebig seiner Passion: Er kauft bergeweise Schallplatten und dürfte so über die Jahre das vielleicht weltweit umfassendste Archiv zur Geschichte der House-Musik zusammengetragen haben.
Nun gibt es rund um den Globus genügend Verrückte, denen beim Gedanken an rares Vinyl die Kinnlade nach unten fällt. Die wenigsten aber lassen sich so gerne in ihre Sammlung blicken wie Negro. Ob als Discjockey, der seine Sets gerne mit funkelnden Perlen vergangener Jahrzehnte dekoriert, oder in der Rolle des Compilators - für Negro ist eine umfangreiche Plattensammlung weit mehr als ein bloßes Statussymbol.
Er lässt gerne interessierte Musikliebhaber in sein Archiv blicken. Sei es an der Seite seines Kumpels Dimitri From Paris auf der Compilation "The Kings Of Disco" oder auf Solopfaden wie bei dem drei CDs umfassenden Werk "Joey Negro In The House", das den selbstbewussten Untertitel "The definitive guide to upfront and classic house" zu Markte trägt und im Mix den Bogen mühelos von den späten 70ern bis in die Gegenwart spannt.
Die erste CD widmet sich überwiegend den klassischen House-Tunes, die damals, als sie aktuell waren, freilich noch unter den verschiedensten Genrebezeichnungen zu finden waren. House-Musik war in den 70ern noch längst nicht erfunden. Disco war die Musik, zu der man tanzte. Platten von The Salsoul Orchestra, Erotic Drum oder Roxy Music gehören allesamt zu Negros Favoriten für die Tanzfläche. Kein Wunder haben sich Tracks wie "Salsoul Rainbow" oder "Angel Eyes" ihre Frische über die Jahre konservieren können.
Zwischendurch streut Joey Negro immer wieder brandaktuelle Tracks ein, wie beispielsweise Sydenham & Ferrers Hitsingle "Sandcastles". Selbiges Produzentenduo schaffte kürzlich mit dem Track "Timbuktu" gar den Sprung in die Heavy-Rotation von DJs wie Sven Väth oder Carl Cox, die sich normalerweise einer härteren Gangart widmen. Ganz am Ende der ersten CD tritt Joey Negro unter seinem Alias Sunburst Band nochmals in Aktion und lässt den Mix mit dem dezent ätherischen Track "Everyday" sanft ausklingen.
Laid Back ist die Stimmung während der ersten 70 Minuten. Die zweite CD greift mit "You Can't Have Your Cake And Eat It Too" von Brenda Taylor den leichten Flow auf, führt den zurückgenommenen Drive fort, macht mit Imaginations "Burning Up" einen kurzen Ausflug in die Klassiker-Abteilung und geht im Anschluss mit Tamia und Jon Cutler einen Tick bestimmter nach vorne. Upfront lautet das Motto für die restliche Spielzeit.
Die ausgefeilten Mixkünste des Königs unter der Discokugel halten die drei CDs, deren letzter Silberling mit reichlich Bonusmaterial (u.a. einem Interview mit Lee) aufwartet, in Form. Die sorgfältige Auswahl des House-Kurators in spe macht "Joey Negro In The House" für Neulinge wie geschulte Ohren gleichermaßen interessant.
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