laut.de-Kritik
Der Brite bringt Grönemeyer, Bono und Ina Müller zusammen.
Review von Ulf KubankeJools Holland ist der vielseitigste Feingeist unter den mittlerweile wieder recht zahlreichen Big Band-Leadern. Ob als New Wave-Urgestein mit Squeeze, als virtuoser Pianist oder als Moderator der großartigen Musiktalk-Reihe "Later with Jools Holland": Was der smarte Gentleman anfasst, wird zu reinem Gold.
Vor allem in künstlerischer Hinsicht geht er keinerlei anbiedernde Kompromisse ein. Nun läuft seine tolle BBC-Show auch hierzulande. Was läge also näher, als den Krauts mal ne satte Zusammenstellung neuer und nicht ganz so neuer Jams zu kredenzen? Nichts.
Und genau deshalb trifft die herausragende Compilation so ins Schwarze. Der Londoner versteht es wie kein anderer, seine Gaststars von den ausgelatschten Trampelfaden auf neue Highways zu locken. Anscheinend vollkommen mühelos ermutigt er mit seiner Leidenschaft ausnahmslos alle zu einem musikalischen Schäferstündchen jenseits ihres gewohnten Terrains. Magisch.
Die Tracks selbst bewegen sich leichtfüßig in diversen Genres. Mal Swing, sehr viel Blues, Pianosongs oder Rock. Für Abwechslung ist gesorgt. Bereit für den Namedropping-Wahnsinn? Los gehts.
Der Opener gerät unspektakulär aber intensiv. Der selige George Harrison absolvierte mit "Horse To The Water" einen seiner letzten öffentlichen Auftritte. Erfrischend viel George und keine Beatles prägen das Klangbild. Hier zeigt sich auch Hollands Klasse als Arrangeur. Der künstlerisch schon seit längerem eher auf Sparflamme rangierende Sting erreicht mit "Seventh Son" endlich mal wieder das Niveau verloren geglaubter Tage der "Blue Turtles".
Queen Mary Faithfull muss sich vom eigens üblichen Niveau gar nicht groß umgewöhnen. Sogar die tausendfach gecoverte Voodoo-Knochensäge "I Put A Spell On You" des großen Screamin' Jay erblüht in den Händen von Mica Paris und David Gilmour unerwartet frisch. Man höre nur, wie sich Jools' Piano mal mit der Floyd-Gitarre, dann wieder mit den Vocals verbündet und den Track heftig nach vorn peitscht. Mit solch einer eleganten Vorlage ist es nicht schwer, inspiriert zu werden.
Gänzlich uneitel gelingt es dem Mann aus Blackheath, das Zepter songdienlich an sich zu reißen und den Rahmen vorzugeben, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Eine sympathische Tugend, die viele Kollegen nicht im Ansatz beherrschen, schon gar nicht hierzulande.
Der Clou: Erstmalig hat Holland auch deutsche Künstler im Gepäck. So können sich wohl nur die Wenigsten einen Grönemeyer als hochspannend phrasierenden Interpreten von Randy Newman vorstellen. Dessen "Marie" legt der Bochumer zwischen schroffem Pianokunstlied und zärtlich smoothem Blues an. Allein gegen dieses Lied könnte man getrost Herberts letzte paar Scheiben eintauschen.
Ina Müller leistet einen großen Beitrag zur deutsch-britischen Völkerverständigung, indem sie Holland mit der Tiefe Rio Reisers bekannt macht. Ebenso traurig wie schön: Das Arrangement von "Übers Meer" klingt samt seekranken Ruderschlägen wundervoll klabauterig. Keine Spur mehr von den furchtbaren 80er Produktionen, die ihren Teil dazu beitrugen, dass noch immer mancher glaubt, Reiser wäre zum Ende nur noch belanglos gewesen. Man kann der sonst so quirligen Ina gar nicht genug dafür danken, dass sie dem schönen Lied mit ihrem chansonesken Sandpapiertimbre vollkommen neues Leben einhaucht. Hut ab.
Auch Roger Cicero erhält endlich Einblicke in die Kunst, eine Big Band zu führen, ohne auf handwerklich perfekte wie gleichartige Backförmchen-Arrangements zurückzugreifen, deren Bart länger ist als ZZ Top. Cicero wirkt dabei ähnlich befreit wie bei seiner superben Filmsynchronisation für den Disneystreifen "Küss Den Frosch". Ein echtes Gefühl analog zu Ina Müller vermag er seiner immer etwas distanzierten Stimme gleichwohl nicht zu entlocken. Zu den hochinteressanten Darbietungen gesellen sich auch Paul Weller, Nick Cave und Reverend Solomon Burke hinzu.
Doch ein Mann gibt die Nachtigall, um den Vogel hernach komplett abzuschießen: Paul Hewson, besser bekannt als Bono Vox in "If You Wear That Velvet Dress". Man kann nur hoffen, dass sämtliche Kritiker ihre langweiligen Vorurteile stecken lassen. In so vielen Momenten der Musikkritik wird der Begriff "Zenit" inflationär gebraucht. Hier passt er wirklich mal.
Die in der Tat etwas blutarme Originalversion vom kompositorisch bis heute sträflich unterschätzten 97er Album "Pop" braucht man nun nicht mehr. Stimmlich und gesanglich zeigt der Dubliner hier genau jene künstlerisch berstende Leidenschaft und Reife, die dem vokalen Weltklassetalent endlich absolut gerecht wird. Den zwischen fieser Manie, hartem Sex und echter Romantik angelegten Schmachtfetzen führen sie gemeinsam ganz lässig in den "Tower Of Song".
Mr. Holland lässt sein Piano zunächst herrlich triebgestaut perlen. Bonos brünftige Laszivität lässt dem Tier im Manne genug Raum für eine mephisto-phallische Verführung samt Schluchzen, Geifern, Hauchen und finalem Abspritzen. Dabei wandelt er stets auf der roten Linie und läuft nicht eine Sekunde Gefahr, etwa in Overacting oder ordinäres Machotum zu verfallen. Blue Eyed Blues at its very best.
Am Ende der Platte kann nur ein Fazit stehen: Möge Jools noch viele Freunde einladen und diese TV-Show bis in alle Ewigkeit laufen. Kollabos, wie die Welt sie braucht.
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