laut.de-Kritik
Eine kalte Pizzahälfte, mehr nicht.
Review von Sven KabelitzReload. Noch mal "The 20/20 Experience". Der Schausteller Timberlake ruft zur Zusatzrunde am Breakdancer auf. "Habt ihr noch Spaß? Dann geht es Lo-Lo-Loooos!" Dabei handelt es doch nur um eine einfache Resteverwertung der gleichen alten Aufnahmesessions.
Als hätte der freundliche Herr vom Lieferservice vor einem halben Jahr nur eine halbe Pizza gebracht und die zweite Hälfte der selben Mafiatorte liefert er heute. Wer will das jetzt bitte noch essen?
Mit den bekannten Zutaten legt "2 of 2" dann auch erst einmal gewaltig los. Die auf "1 of 2" allgegenwärtige Eleganz weicht einer brutalen Hartharzigkeit. In den ersten Tracks poltern die Beats gewaltig. Doch schnell setzen erste Ermüdungserscheinungen ein.
"The 20/20 Experience" schafft es nicht, seine anfängliche Spannung aufrecht zu erhalten. Wie "Der Pate – Teil II" hat das vierte Timberlake-Album gewaltig Überlänge. Leider ersetzt nach der Hälfte des Weges Adam Sandler den glanzvoll aufspielenden Robert De Niro und wir landen in einer niemals enden wollenden Liebeskomödie.
Noch einmal zelebriert Timberlake Gigantismus und Größenwahn. Wo er auf dem Vorgänger lange Tracks mit unerwarteten Wendungen und interessanten Einfällen auffrischte, verläuft er sich nun irgendwo im Nirgendwo. Es zählen nur noch Länge und Sound. Nicht selten gehen dabei die eigentlichen Songs verloren.
Nach kurzer Zeit hat das fast zehnminütige "True Blood" bereits alles erzählt, dudelt aber erbarmungslos bis zum "Thriller"-Outro weiter. Die römischen Ausschweifungen verkommen zum beliebigen Stilmittel und hemmen "2 of 2" letztlich.
Experimente wie das brillante "Blue Ocean Floor" gehören der Vergangenheit an. Dafür gibts exzellent produzierte Tracks und Beats von der Stange. So bleibt "TKO" nichts weiter, als der zigste "Cry Me A River"-Klon.
"You Got It On" hätte das Zeug zu einer formvollendeten Ballade im Smokey Robinson-Stil. "You don't gotta worry what you wear tonight / Baby you got it on." Doch wie so oft auf "The 20/20 Experience – 2 of 2" rauscht die Melodie wie ein Nachtzug vorbei, ohne Eindruck zu hinterlassen.
In "Take Back The Night" streunt der Kater Timberlake geschmeidig um die Mauern des Studio 54. Aus dem Inneren dröhnen die Akkorde aus Michael Jacksons "Off The Wall"-Album. Das verschachtelte "Cabaret", in dem Drake den Jack-In-The-Box mimt, kann sich hören lassen, bleibt aber unter seinen Möglichkeiten. Die Beats aus dem mit Jay-Z garnierten "Murder" hat man zwar schon tausend Mal gehört, selten wurden sie aber so betäubend und effektiv umgesetzt. "Yoko Ono / she got that Yoko Ono / You know that shit that made John Lennon go solo / Know that shit gotta be lethal / If that pussy broke up The Beatles."
Wenn der dreckige Blues-Ansatz im leidenschaftlichen "Only When I Walk Away" innerhalb von sieben Minuten in Dub-Spielereien übergeht, blitzt noch einmal der gewitzte Geist der ersten "The 20/20 Experience" auf. Dem entgegen steht "Drink You Away".
Mit synthetischer E-Gitarre und Kuhglocken versucht Timberlake harten Country-Rock mit R'n'B zu verbinden. Das Ergebnis klingt wie ein Kid Rock vs. N Sync-Mashup. Da hilft auch kein Alkohol mehr. So schnell kann man die scheußliche Nummer gar nicht wegsaufen. "I can't drink you away / I've tried Jack / I've tried Jim / I've tried all of them things."
Mehr als ein Mal stellte ich in diesem Jahr Timberlake als Pop-Genius hin, an dem sich die Konkurrenz von Robin Thicke und Mayer Hawthorne mehrere Scheiben abschneiden könnte. Nach wie vor überstrahlt er diese selbst mit seinem schwächsten Song.
Doch mit entschieden mehr Fokus hätten wir anstelle von zwei befriedigenden bis enttäuschenden Alben einen einzigen exquisiten R'n'B-Longplayer vor uns liegen. So aber beginnt schnell das Rosinenpicken und der Weg "from so hot to so cold" ("Only When I Walk Away"). Für diese Reise brauchte Timberlake gerade mal ein halbes Jahr.
14 Kommentare mit 6 Antworten
Befürchtungen scheinen sich zu bestätigen.
Ich hab's Album (noch?) nicht ganz gehört, aber selbst den hier ja als relativ stark beurteilten Albumanfang finde ich nicht gerade umwerfend. Eigentlich ist es keine große Überraschung, dass dieses Reste-Album kein Geniestreich geworden ist. Schade ist es trotzdem.
"Wie "Der Pate – Teil II" hat das vierte Timberlake-Album gewaltig Überlänge. Leider ersetzt nach der Hälfte des Weges Adam Sandler den glanzvoll aufspielenden Robert De Niro und wir landen in einer niemals enden wollenden Liebeskomödie."
Der Absatz allein erteilt dir Absolution für alle vergangenenen Gräueltaten, Herr "selbsternannter Kritiker".
Das aktuelle Album von Saga heißt auch 20/20.
Das ist ja auch gewollt so. Guck' allein mal auf das jeweilige Cover.
Ich bin enttäuscht. Part01 war neu - ander, typisch für Herrn Timberlake. Ohne gehämmerte Hits. Der Part 2 ist wie eine gefühlslose Fortsetzung. Ich hatte mir mehr Individualität erhofft/ erwartet.
Habe mich leider selten so gelangweilt mit einem Sound. In der Deluxe-Fassung gab es noch 3 Liedchen von dem eins bei mir funktionierte.
Eine Fusionierung aus beiden Alben (und seinen besten Tracks) wäre zwar besser gewesen, doch so richtig verzichten will man im gesamten auf die Tracks dennoch nicht. Keine Ausfälle dabei, aber einige wenige Tracks, nicht schnell in Vergessenheit geraten. Am Ende aber sehr gut produziert, gut gesungen und inklusive des ersten Teils ein tolles "Doppelalbum" 4/5 Sterne. Beste Tracks auf Teil 2: "Gimme What I Don′t Know (I Want)", "True Blood" & "Only When I Walk Away"