laut.de-Kritik
Kein Track endet wie er begann, kein Song bleibt ungeschoren.
Review von Ulf KubankeAls selbst ernannte Jazz-Provokateure verschreiben sich Kaos Protokoll ganz dem Aufbrechen von Grenzen. Von groovy bis zum Free Jazz geben sich zahllose Stile die Klinke in die Hand. Mit ihrem zweiten Album "Questclamationmarks" knüpfen sie genau dort an, wo das Debüt aufhört und machen es dem Hörer wiederum nicht leicht.
Während der Erstling "Quick And Dirty" noch komplett in ungebundener Eigenregie entstand, nehmen die Schweizer hierfür erstmals die Dienste eines Produzenten (Django Bates) in Anspruch. Dessen ordnende Hand tut ihrem ohnehin komplexen Ansatz merklich gut. Dennoch setzen sie sich auch weiterhin bewusst zwischen alle Genre-Stühle. Kein Track endet wie er begann, kein Song bleibt ungeschoren. Der stetige Wandel bedeutet für den Hörer eine konstante Reise ins Ungewisse. Tempo, Struktur, Rhythmen und Melodien bleiben nicht, was sie zunächst scheinen.
Ein durchaus riskantes Unterfangen. Wer vom Publikum lückenlose Konzentration einfordert, gewinnt nur, sofern die gebotenen Ideen ebenso durchgehend attraktiv klingen. Wer dies versäumt, verliert die Magie und wird musikalisch schlichtweg anstrengend. Das Trio bewegt sich auf dieser Linie fast immer souverän. Viel Licht und etwas Schatten spiegeln das große Talent, ohne die Luft nach ganz oben zu verleugnen.
Schon der Einstieg funktioniert. Das Saxophon pendelt sich als Frontman zwischen Lounge Lizards-Groove, Delirium und epileptischem Anfall ein ("Levitate", "Wrong Band", "Good Morning, Krasnoyarsk"). Sobald sie den melodischen Teil ihrer Natur betonen, entwickelt die Musik ungeahnte Intensität und Sogwirkung. Gimmicks, wie die effektive Percussion in "Wrong Band" runden das positive Bild ab.
Als angedeuteter roter Faden des Albums fungiert die gelegentliche Lackierung mit einem Hauch Bebop. Das Sax flirrt umher, wie aufgeblendete Scheinwerfer von Autos, die sich längst im hektischen Großstadtdschungel verirrten und bereits Anzeichen von Tollwut aufweisen. Diese Facette ist ihre unschlagbare Geheimwaffe. Ähnlich gut gelingen total heruntergefahrene, sanfte Momente wie das romantische "Mr Kobayashi" oder das frankophone "Wiegelied".
Auch ihre Dekonstruktions-Cocktails funktionieren überwiegend. "In The Secret City" klingt, als stritten sich der frühe Jan Garbarek mit Ornette Coleman um dieselbe Schlangentröte. Harter, kauziger Stoff, der die Beschäftigung jedoch lohnt.
Zum absoluten Spektakel reicht es momentan dennoch nicht ganz. Nicht jeder Schuss ist ein Treffer. "Pathos Ratlos" oder "Ein Stück Zum Mitsingen" machen den Kohl nämlich so gar nicht fett.
Erst nehmen Kaos Protokoll den Hörer an die Hand, schreddern sämtliche Hörgewohnheiten und dann? Dann ist man endlich bereit für das totale Inferno Marke John Zorn und Konsorten. Aber vor diesem Gipfel bleibt man allein stehen. Stattdessen bietet das Trio hier furchtbaren Dabbadabba-Singsang und belanglos-akademisches Avantgarde-Gedengel für sich abgefahren gebende Oberstudienräte. Ein komplett überflüssiger Coitus Interruptus für Platte und Publikum. Falls sie solche Schwächen abstellen, kann aus Kaos Protokoll ein echter Überflieger werden.
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