laut.de-Kritik
Mit nerdigem Rage-Sound bei Carti gesignt.
Review von Yannik GölzPlayboi Carti ist der zweite Atlanta-Rapper nach Young Thug, der in den letzten Jahren so einflussreich geworden ist, dass man die Heerscharen seiner Klone inzwischen gut und gerne als eigenes Subgenre bezeichnen kann. Thugger hat die Gunnas, Keeds, SahBabiis und Luckiis, dafür hat Carti Cochise, SoFaygo, Coi Leray und viele andere. Den Rage-Sound nennt man das inzwischen. Und vielleicht hat den keiner seiner Klone so sehr in einem Guss in ein Tape umgewandelt wie Ken Car$on.
Dieser Fashion-Nerd aus Atlanta signte nach zwei EPs auf Cartis Label Opium und zeigt nun mit "Project X", warum diese ganze Sparte so ergiebig sein kann. Selbst als Produzent an "Whole Lotta Red" beteiligt, versteht er die musikalischen Ideen, an denen man anbauen kann. In diesem Falle bedeutet es vor allem die plucky Gameboy-Ästhetik, die auf "Die Lit" in Songs wie "Flatbed Freestyle" und "R.I.P." angedeutet wurde. Ken macht sie hier aber bisweilen noch ein ganzes Stück radikaler: Songs wie "Change" enthalten so reichhaltige und aufwallende Synth-Arps, dass die entstehenden Harmonien zwischen den Layers auch ohne jedes Echo in ihren Bann ziehen. Sie transportieren in einem akustischen Bullet Hell-Shooter, durchschwirrt von so vielen Elementen, so vielen Blips und Blups, dass man der Bewegung der Sounds nur desorientiert und oberflächlich folgen kann.
In der Konsequenz ist "Project X" ein recht monochromatisches Album, gewissermaßen ein One-Trick-Pony. Aber warum den Sound auch aufbrechen, wenn man ihm so viel abgewinnen kann? "Rock N Roll" oder "Till I Die" machen sofort einprägsame Grooves auf, auf denen drei Schichten perkussive Synthesizer ihre ganz eigene Marke der Psychedelik entfalten. Ersterer trägt eine gewisse Apathie und fühlt sich reizüberflutet und taub an, zweiterer spielt das selbe musikalische Rezept für ein triumphales High aus.
Ken als Rapper ist dabei unspektakulär, aber kennt seine Rolle. Vielleicht sieht es einfach aus, wie er repetitive Flows mit simplen melodischen Einschlägen performt, aber er lässt es eben auch einfach aussehen. Um ein Pattern durch einen ganzen Song zu tragen, dann muss das Pattern fehlerfrei ausgewählt und abgeliefert werden. Und das tut er, seine Switch-Ups auf Songs wie "Run + Run" oder "Who Next" sind makellos. Im Laufe der Platte nutzt er eine zunehmend raue Stimme; das Resultat sind auf Songs wie "Hella" oder "Burning Up" großartige Refrains.
Vielleicht fehlt ihm der herausragende Charakter eines Cartis, aber trotzdem hat er als Persona einen gewissen Spaßfaktor zu bieten. So viel er sich auch als herzlosen Player aufspielt, der von Party zu Party zieht und dem reinen Hedonismus frönt, hat man doch das Gefühl, dass er im Grunde seines Herzens ein kleiner Nerd ist, der wahrscheinlich noch vor einem Jahr selbst auf dem Playboi Carti-Discord über Travis Scott-Merch philosophiert hat. "I wanna rock and roll, you can tell by my clothes" rappt er dann zum Beispiel, und die gewisse Unbeholfenheit ist, was ihn in den recht generischen Texten nahbar und sympathisch macht. Heißt es dann auf dem Closer "So What" "yeah, she says I'm cool", dann merkt man, dass er sich über so einen Zwischenfall wohl ein bisschen mehr freut, als ein echter herzloser Player es tun würde.
Aber dieser Kontrast ist, was "Project X" am Ende cool macht: Es ist der nerdige Highlife-Wunschtraum eines Jungen, der in seinem Leben viel zu viel Zeit mit Mode-Magazinen und Pi'erre Bourne-Beats verbracht hat. Das Resultat ist ein einwandfreies Gespür für Sound und Kuration, für Hooks und Pacing, für Ästhetik und Geschmack, aber kein unnötiger Größenwahn und kein Album, das sich selbst überschätzt. Für eine halbe Stunde liefert Ken auf seinem Debüt Rage-Sound ab, der so ziemlich perfekt auf den Punkt gestutzt wurde und keine Sekunde vergisst, wo seine Stärken liegen.
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