laut.de-Kritik
Das Genre stinkt bereits zum Himmel.
Review von Dani FrommNoch nicht einmal aufgesetzte Gangster-Attitüden rappender Vorstadt-Kids treiben mich in ähnlicher Weise zur Verzweiflung wie die im zeitgenössischen R'n'B regierende Ideenlosigkeit. Keyshia Coles "Just Like You" liefert ein in übelster Form vor Augen führendes Beispiel ab, wie sich die zweifellos vorhandenen Talente einer Sängerin zwischen ödesten Standards zu Grunde richten lassen.
Von dem ebenso überflüssigen wie quälenden Herumgejodle auf in die Länge gezogenen Vokalen, das in "Love" meilenweit über die Grenze der Lächerlichkeit hinaus schießt, einmal abgesehen, zeigt Miss Cole eine respektable Leistung.
Klar und sicher singt sie sich durch ihr Repertoire und findet sich in der klassischen Ballade ebenso gut zurecht wie zwischen ihren sprechsingenden Kolleginnen Lil' Kim und Missy Elliott. An der Seite Sean Pauls bildet sie nicht etwa lediglich dekorativen Zierrat, sondern steuert der dunklen, druckvollen Ragga-Nummer aus dem Fundus Don Corleons temporeiches Toasting bei.
In Keyshia Coles Gesang spiegeln sich je nach Thematik Zweifel oder Entschlossenheit. In der Regel zuckersüß, bedient sie sich ab und an doch eines herberen Tonfalls. Gesprochene Einlagen wie im abschließenden "Love, I Thought You Had My Back" vermitteln eine Ahnung davon, wozu diese Dame möglicherweise in der Lage wäre.
Statt das Besondere ihrer Vocals zu unterstreichen und ihre Wandlungsfähigkeit zu nutzen, zwängen immer gleich instrumentierte, immer gleich gestrickte Kompositionen zu immer den gleichen Themen - die Liebe in all ihren Aggregatzuständen nämlich - Keyshia Cole in ein Korsett, das sie letztlich auf exakt das gleiche Format zusammenschnürt, wie hunderte R'n'B-Mädchen vor und, wie ich fürchte, auch nach ihr. Wie sterbenslangweilig.
Nach einer Weile komme ich mir vor, als höre ich seit Stunden ein und denselben Beat. Was in "Fallin' Out" mit dem verheißungsvollem Knistern alten Vinyls anhebt, entpuppt sich als austauschbares Liedchen mit Pianogeklimper und Plastikstreichern. Akustikgitarre, Fingerschnippen, Klavier, Chimes: Fertig ist die Schlafzimmerballade "I Remember". Halt, noch nicht ganz fertig: Der Streichermumpf muss auch noch obenauf.
"Heaven Sent" illustriert die Crux vortrefflich: Anfangs täuscht der Song einen Ausbruch aus dem Schema F an. Akustikgitarre und eine marschtaugliche Rührtrommel hätten vollkommen genügt, um Keyshias voller Wärme vorgetragene Schwärmerei zu untermalen. Was schüttet man dazu? Ganz genau: Piano und Streicher.
Einen Hauch von Abwechslung bietet einzig das von Scott Storch produzierte "Give Me More", da er den Streichern den Disco-Glitzer lässt und das Resultat so ein wenig seelenvoller tönt. Auch für den Auftritt von Flipsydes Piper im Remix von "Let It Go" bin ich nahezu auf Knien dankbar: Dicke Bässe und ein unaufgeregter Rappart - ausnahmsweise ohne Streichergarnitur.
Ansonsten unterscheiden sich die Tracks im Wesentlichen darin, ob Keyshia Cole (wie in "Last Night" oder "Was It Worth It?") gegen eine Soundwand ansingen muss oder ob ihr, wie von Kanye West in "I Changed My Mind" demonstriert, kampflos das Rampenlicht zugestanden wird.
Bei der Fülle verschiedener Produzenten, die für "Just Like You" an den Start gehen, erschüttert die Einfallslosigkeit ganz besonders. Es muss im Jahr 2008 doch möglich sein, eine Nummer ohne die 08/15-Kombination Claps, Piano, Synthiestreicher, Uuuuuuh-Gesänge im Hintergrund und das ewige Chimes-Geklingel zu fabrizieren. Nicht? Dann tragt dieses Genre bitte endlich zu Grabe. Es ist nicht nur tot, es stinkt bereits zum Himmel.
14 Kommentare
Schön gesagt ...
Wobei ich mich wundere, wo der zweite Balken herkommt
Ich war gelinde gesagt entsetzt, als ich nach dem Hören gelesen habe, daß dieses Album bereits fünf (!) Hitsingles ausgeschissen haben soll. Ich hab' keinen einzigen Titel darauf gehört, der für mich auch nur ansatzweise nach einem originellen Hit klang - eher nach Dutzendware gar billigster Machart *schulterzuck*
Gruß
Skywise,
nicht hitkompatibel
Lieber Estelle hören.
hab' mir zuletzt die single-auskopplung mit lil' kim und missy elliott angetan. war jetzt nicht so der brüller.
steuert timbo denn keine beats bei?
achja, freddy:
gewöhn' es dir doch mal an, bei der tracklist die features aufzuführen. das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt.
der engelen hat das in seiner review zu 9th wonder übrigens auch ganz brav gemacht.:saint:
übrigens:
ich weiß nicht, ob freddy das vergessen hat(p. diddy-review war aber auch von ihr), aber mindestens zwei tracks waren bereits auf anderen alben erschienen.
dazu zählen das durchaus ambitionierte "last night", das auf diddy's "press play" schon zu hören war und "give it up to me", das wir von sean pauls "the trinity" kennen.
einfach nur wiederverwertet und mit aufs album gepackt. eine absolute frechheit.
mal abgesehen davon gibt es ein album von ihr mit dem titel "the way it is" aus dem jahre 2005 auf dem auch mehrere songs schon erschienen sind, z.b. love oder i should have cheated...