laut.de-Kritik
Wer hier nicht tanzt, ist indiscotabel.
Review von Jakob HertlIn den letzten Jahren habe ich von einigen Freund*innen gehört, sie hätten das Gefühl, im falschen Jahrzehnt geboren zu sein. Dass die Musik früher viel besser gewesen sei. Manchmal dachte ich mir: ja, ist schon was dran. Im Endeffekt bin ich aber immer wieder froh, genau zur aktuellen Zeit und der aktuellen Musik zu leben. Wegen Künstler*innen wie Kungs.
Der französische DJ und Produzent zeigt mit seinem neuen Album, dass man älteren Stilrichtungen keineswegs hinterhertrauern muss, sondern sie durch Neuinterpretationen wieder glanzvoll aufleben lassen kann. "Club Azur" setzt die Disco-Musik der 70er- und 80er-Jahre im modernen House-Gewand einzigartig in Szene.
Was Purple Disco Machine letztes Jahr mit "Exotica" bereits meisterhaft gelungen ist, führt Kungs in Songs wie "Lipstick" oder "People" nun fort. Und bekommt die verdiente Anerkennung: die erfolgreichste Single "Never Going Home" hat in Deutschland nach Release 2021 einige Zeit lang obere Plätze der Single-Charts belegt. Auch "Clap Your Hands" wurde den Radiohörer*innen des Landes zuletzt fleißig auf's Auge (oder eher auf's Ohr) gedrückt.
Selbst wer von Kungs noch nie gehört hat, kennt sicher mindestens einen Song des heute 25-Jährigen: "This Girl" brach 2016 sämtliche Rekorde, lief im Radio rauf und runter und heimste weltweit Platin- und Diamant-Auszeichnungen am Fließband ein.
Das Erfolgsrezept der Tracks der neuen Platte ist recht simpel – voller Fokus auf's Instrumental: groovige Bassline, 4/4-Housebeat, fröhliche Synthies, simple Ohrwurm-Vocals und Melodien, die man am Anfang feiert, aber nach zwei Wochen verflucht, weil man sie einfach ums Verrecken nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Wer sich fragt, was die letzten drei Tage in meinem Kopf so abging: "And we are never going home, uhoho uhoho / Let's go dancing till the morning, uhohu uhoho." In Dauerschleife.
Klar ist das meist weder krass anspruchsvoll noch besonders abwechslungsreich. Aber darum geht es nicht, darum ging es im Disco noch nie. Es geht ums Tanzen. Und dazu regt "Club Azur" an wie kaum ein zweites Album. Wenn die Musik läuft, sind selbst Leute wie ich nicht mehr zu halten, die beim Tanzen eher wie C-3PO auf Crack aussehen.
Alleine beim Schreiben dieser Rezension musste ich mehrmals pausieren, weil ich einfach nicht mehr ruhig sitzen konnte. Aber wie sagt man so schön: "Tanzen ist träumen mit den Füßen." Genau dieses Gefühl vermittelt Kungs. Wenn mein Lieblingssong "Regarde-moi" läuft, sehe ich vor meinem geistigen Auge immer wieder John Travolta in Schlaghose den Dancefloor auseinandernehmen, wie in "Saturday Night Fever" von 1977. Nur dass im Hintergrund eben Kungs an einem hochmodernen DJ-Pult steht.
"Club Azur" lebt aber auch von der Variation, die er hineinbringt. Einflüsse aus Eurodance, Pop, Funk, Tech- und Deep House runden das Hörerlebnis ab. Beispielsweise in "Lullaby", der mit seinem atmosphärischen Ambient-Vibe auch zum Abschalten super funktioniert. Oder in den eher experimentellen Tracks wie "Paris" oder "Without You". Letzterer ist der einzige, der aus dem positiven Gesamtbild etwas herausfällt.
Je länger man die Platte hört, desto bessere Laune bekommt man und desto mehr kann man allen Stress vergessen, der einem gerade das Leben schwer macht. Genau das zeichnet wahrlich großartige Musik aus – so subjektiv diese Einschätzung auch sein mag.
Schon "Layers" 2016 hat begeistert, "Club Azur" beweist das musikalische Talent von Kungs einmal mehr. Den Stil legendärer Hits von damals wertschätzend, aber gleichzeitig modern und trendy, raffiniert, detailverliebt – das hat richtig Klasse. Eines der besten Alben des bisherigen Jahres. Chapeau, Monsieur Kungs!
1 Kommentar
Mir gefällt das Album klar ist die Musik ???? nicht besonders innovativ aber das muss sie nicht sie macht einfach nur Spaß und das ist das wichtigste bei Musik ????.