laut.de-Kritik

French House hat eine neue Kaiserin.

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Man kann über unsere westlichen Nachbarn sagen, was man will, aber wenn die Franzosen etwas können, dann ist es formidable Musik. Daft Punk, Justice, Air, Phoenix, Kavinsky, DJ Falcon, Cassius oder auch ein Etienne de Crécy stehen für künstlerisch hohe Qualität. In kürzerster Zeit mit unwiderstehlichem Disco-Pop spielt sich nun ein Sextett in die Herzen der Fans, avanciert zum Kritikerliebling und reiht sich in die Liste von Hochkarätern ein: L'Impératrice, zu deutsch "Die Kaiserin".

Auf dem zweiten Album "Tako Tsubo" exerzierte die Gruppe ihren retrofuturistischen Mix aus Nu-Disco, Funk-Pop und Neo-Soul zu einer flauschigen Wohlfühloase mit eingängingen Melodien. Trotz des resultierenden, großen Erfolgs ruhten sie nicht auf ihren Lorbeeren, sondern drängten nach Weiterentwicklung.

Das mit bezauberndem Coverartwork ausgestattete "Pulsar" gibt sich differenzierter im Sound, probiert neue Einflüsse und lässt zum ersten Mal in der Bandhistorie auch Gastmusiker:innen zu. Zum einen die italienische Sängerin Fabiana Martone im bilingualen Wechselspiel "Danza Marilù", was sich stark an Italo-Disco orientiert, dabei vergnügt mit Synthie-Streichern groovt. Gleichzeitig stellt es eine Hommage an Serge Gainsbourgs "L'Homme à tête de chou" dar. Textlich geht es um Lebensfreude im Alter, sprich gegen Ageism.

Zum anderen vergoldet die amerikanische Singer-Songwriterin Maggie Rogers den elektronisch angehauchten Lounge-Pop "Any Way", eines der großen Highlights des Albums. Ihr elegischer Vortrag passt hervorragend zum cineastischen Rahmen, da würde auch ein Warhaus Augen machen. Ein charmanter, unaufdringlicher Lovesong.

Zu guter Letzt injiziert der New Yorker Rapper Erick the Architect eine gewisse Portion Coolness mit seinem energischen, rasanten Vortrag in "Sweet & Sublime", während sich der Beat stellenweise an seine Parts anpasst. Dazu peitscht eine lebhafte Bassline wie zu besten Jamiroquai-Zeiten im Hintergrund und Flore Benguiguis Unbefangenheit ergänzt diesen Disco-Banger ganz wunderbar.

Trotz der vielen Veränderungen bleiben sich die Pariser treu und hauchen ihren Kompositionen den erhabenen French Touch ein, angefangen beim instrumentalen Opener "Cosmogonie", wenn weiche Synthies sowie ein treibender Beat spacigen French House entstehen lassen. Der darauffolgende Trademark-Song "Amour Ex Machina" demonstriert eine latente Schrulligkeit, wenn es textlich darum geht, dass ein Roboter mit Liebesgefühlen überfordert ist und sich an einer Romanze wagt.

Was bei all der auditiven Schwerelosigkeit und auch der teils vorhandenen Sprachbarriere unter den Tisch fällt, sind die durchaus sozialkritischen Texte, die Frontfrau Flore gekonnt in verschiedenen Ausprägungen in unsere Ohren säuselt. Im ohne Umschweife direkt loslegenden "Me Da Igual" zieht sie uns zwar auf die Tanzfläche über den Sommerdächern Frankreichs samt träumerischer Bridge, jedoch geht es darin um Body Positivity, Langeweile durch Perfektion und Selbstliebe. In "Girl!" wiederum spricht sie sich für Weiblichkeit aus und fordert Akzeptanz. Musikalisch slappt es ordentlich und erinnert durch den zackigen Funk an Chromeo.

Beim ätherischen Elektro-Pop "Déjà-vue" lauscht man einer fast schon einer philosophischen Auseinandersetzung. Was wäre, wenn wir uns anders entschieden hätten? Was passiert mit all den nicht-existierenden Möglichkeiten? Lyrisch pittoresk verpackt ein kleiner Auszug: "Unsere verlorenen Illusionen / Die Entscheidungen, die wir nicht behalten haben / Sammeln sie sich irgendwo? / Die Menschen, die wir nicht kennen / Die Tage, die wir nicht erlebt haben / Treffen sie sich in einer Bar? / Um auf die Erinnerung anzustoßen / der Leben, die wir hätten haben können?" Klassisch französisch dreht es sich am Ende um eine Begegnung mit einem Love Interest.

Bleiben noch zwei Tracks übrig, die erneut für Additionen im Soundkosmos sorgen. "Love From The Other Side" schielt kräftig gen Fleetwood Mac, mit Akustikgitarre entsteht ein melancholischer Indie-Electronica-Vibe. Der Titeltrack als Schlusstück performt soliden Disco-Funk, wenngleich nach der Hälfte DJ-Scratches, Cuts und Rewinds eine Art Remix des Songs evozieren. Sehr unerwartet.

"Pulsar" unterstreicht die Vielseitigkeit und die Progression von L'Impératrice, ergo festigt und verteidigt die Kaiserin des French Touch ihren Thron. Ein perfektes, luftig-leichtes Album für den Sommer, beim Cabrio fahren, in einer Strandbar chillen oder zum Afterwork in der Abendsonne. Tchin-tchin!

Trackliste

  1. 1. Cosmogonie
  2. 2. Amour Ex Machina
  3. 3. Me Da Igual
  4. 4. Love From The Other Side
  5. 5. Danza Marilù
  6. 6. Any Way
  7. 7. Déjà-vue
  8. 8. Girl!
  9. 9. Sweet & Sublime
  10. 10. Pulsar

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2 Kommentare mit 9 Antworten

  • Vor 6 Monaten

    Oh, L'Impératrice...
    Die hatte ich irgendwie erst durch "Tako Tsubo" entdeckt, als ich auch anfing, Air, Daft Punk und weitere zu hören.
    (Von Alters wegen ein bisschen spät, offensichtlich.)
    Ja, Frankreich hat wirklich viel großartige Musik zu bieten, sei es nun von den bereits genannten oder auch Paradis, BT93, Mandarina, BLOW, SebastiAn...
    L'Impératrice gehören da allerdings zu meinen Favoriten, und das neue Album hat mich auch nicht enttäuscht. Ein Träumchen!

  • Vor 6 Monaten

    Mhh, ich werde mit diesen gehypten Franzosen nicht warm, da macht L'Impératrice keine Ausnahme. Der Start mit Cosmogonie klingt wie eine Schülerband aus der 9. Klasse, die mit den fünf beliebsten Daft-Punk-Akkorden wie eine Schülerband aus der 9. Klasse Daft Punk nachspielt. Und danach kommt Haartönungsmusik (10 Minuten? 60 Minuten? Oh, ich weiß gar nicht, wie lange ich hier schon sitze ...). Eine verhuschte Stimme, bei der man nicht genau weiß, ob da jemand singt oder nur laut atmet. Belanglose Musik im Midtempo. Tut nicht weh, tut aber auch sonst nix. Die Musik will von mir als Hörer nichts, sie will mich einfach nur umhüllen, das ist echt wenig. Und das einzige, was bei mir zu zucken anfägnt, ist der Finger, der die Skip-Taste sucht.

    • Vor 6 Monaten

      Geht mir ähnlich, Ausnahmen wie M83 ausgenommen, da passiert meist dann doch etwas mehr.

    • Vor 6 Monaten

      "Eine verhuschte Stimme, bei der man nicht genau weiß, ob da jemand singt oder nur laut atmet."
      Nimm das zurück!

    • Vor 6 Monaten

      Sorry, war nicht persönlich gemeint, @verhuscht.

    • Vor 6 Monaten

      Kann man hinterher immer sagen!!

    • Vor 6 Monaten

      Und da ist sie, die nächste Unverschämtheit, weil: jetzt geht es also noch nicht einmal mehr persönlich um MICH! Dabei sollte es eigentlich immer um MICH gehen! ICHICHICH!
      Spaß beiseite, Danke für deinen Ursprungskommentar, an dem auch aus meiner Sicht absolut was dran ist. Ich mag diese Franzosen-Dinger grundsätzlich, mein Interesse erlischt dann aber idR recht schnell, war früher schon bei AIR so. Wahrscheinlich, weil dann doch irgendwie Richtung "belanglos", wie du schreibst. M83, die Sigue vorgeschlagen hat, kenne ich nicht, hole ich nach.

    • Vor 6 Monaten

      Weiß nicht, ob man M83 was abgewinnen kann, wenn man Air "belanglos" findet. Finde persönlich beide großartig, Air aber natürlich weitaus mehr...

    • Vor 6 Monaten

      AIR spielen demnächst "Moon Safari" live in der Zitadelle Spandau. 21. Juli oder was? Weiß nicht, ob sonst noch wo, hab nur die Werbung an der Warschauer Brücke gesehen. Frau Doktor leider nur milde interessiert, der geht es bzgl. gehypter französischer Elektromucke wie mir mit allem außer "Moon Safari".

    • Vor 6 Monaten

      Air haben bereits an drei Tagen im Theater des Westens gespielt, an einem davon war ich auch da und es war großartig. Waren auch Sachen von "The Virgin Suicides", "10 000 Hz Legend" und "Talkie Walkie" dabei. Das nächste Konzert werde ich leider nicht besuchen können, aber ich hoffe, da kommt noch was zu den späteren Alben. Als Live-Band sind Air teils fast schon besser als auf den Alben, finde ich.

    • Vor 6 Monaten

      Man kann M83 gut finden, wenn man Air nicht so feiert. Wobei M83 sehr unterschiedliche Alben haben. Mir persönlich is "Hurry up, we're dreaming" das Liebste, natürlich nicht nur wegen dem Überhit "Midnight City", der Nachfolger "Junk" fällt für mich tatsächlich in die Kategorie belanglos und zu cheesy. Und das aktuelle "Fantasy" finde ich wieder stark. Man sollte dafür auf jeden Fall ein Faible für 80ies Synthpop und Post Punk haben ;-)