laut.de-Kritik
Kompositorisch hochklassig, Gesang und Sprache in der Kreisliga.
Review von Ulf KubankeDas zehnte Opus in knapp 20 Jahren! Die polarisierende und kommerzielle Relevanz der gruftigen Chartstürmer kann weder Freund noch Feind verleugnen. Und jetzt noch die vorläufige Krönung des Outputs mit dem neuen Werk "Sehnsucht". Mastermind Tilo Wolff möchte den Titel als Klammer verstanden wissen. Die Tracks sollen dem Hörer die verschiedenen Formen des Verlangens präsentieren.
Rein musikalisch zeigt Wollf sich hier von seiner starken Seite. Man mag von Lacrimosa halten, was man will. Als Arrangeur in der atmosphärischen Verbindung von Klassik und Hardrock bzw. Metal gehört er eindeutig zur Weltspitze. Songs wie "Die Sehnsucht In Mir" oder "Die Taube" bilden in sich geschlossene kleine Mikrosymphonien mit gelungenem Aufbau und eigenwilliger aber strukturierter Melodieführung.
Im Gegensatz zu vielen Genrekollegen verludert sich Wolff auch nicht im Niemandsland der Halbgebildeten, die nur Wagnergetöse oder klebrige Streicher im Programm haben. Gerade der letztgenannte Track offenbart songdienlich einen ansprechenden Spannungsbogen von besinnlich nocturnalen Pianogetupfe à la Chopin hin zu dröhnendem Crescendo Brucknerschen Ausmaßes.
Die Uptempo-Nummern überzeugen auf eine ungewohnt hemdsärmelige, maskuline Weise. "Mandira Nabula" rockt fernwehselig die Hütte und integriert untypischerweise sogar ein folkig fröhliches Akkordeon. "Feuer" lockt als frühlingshafte Mozart-Kugel samt Bratzgitarre und Kinderchor mit ungewohntem aber sympathischen Augenzwinkern und selbstironischer Brechung.
So richtig breitbeinig stadionrockend treibt der gute Tilo aber erst "I Lost My Star In Krasnodar" voran. Das ist schon eher ein enger Verwandter zu Doros Warlock-Hymne "All We Are" als zu gängigem Gothic Rock. Den Refrain wurde ich Tage lang nicht los.
Den Höhepunkt des Albums stellt aus meiner Sicht dennoch das zurückhaltende "Call Me With The Voice Of Love" dar. Mit ästhetischem Gespür breiten Lacrimosa hier einen betörenden Klangteppich aus Akustikgitarren im zarten Dialog mit einem sanft angeschlagenen Piano vor dem Hörer aus. Die liebreizende kleine, aber feine Melodie gehört zu den reifsten und besten Liedern, die uns der Schweizer je offenbart hat.
Schade nur, dass die altbekannten Schwächen bei Lyrics und Gesang das Vergnügen letztlich doch wieder weitgehend ruinieren. Sicherlich darf man hier keinen lyrischen oder gesanglichen Weltmeister erwarten. Die erkennbaren Parallelen zu dem legendär schief schmetternden poetischen Untalent eines Kaiser Nero von Rom geraten am Ende aber doch allzu abschreckend.
Die Vocals von Herrn Wolff verzeichnen so gar keine erkennbare Weiterentwicklung - und das in einem Zeitraum von zwei Dekaden! Beim lauten Höhepunkt von "Die Sehnsucht In Mir" erinnert das gewollt leidenschaftliche Lamentieren des Eidgenossen eher beunruhigend unfreiwillig an das Röcheln eines verendenden Waldtieres. Die gesamte stimmliche Leistung in "Der Tote Winkel" ist in Phrasierung und Intonation derart indiskutabel, dass man seinen Ohren kaum traut.
Dabei hat Tilo Wolff in seiner musikalischen Partnerin Anne Nurmi doch seit langem das perfekte Vorbild für handwerkliche Perfektion mit emotionaler Ausdruckskraft. Scheinbar mühelos zelebriert die Dame auf ihrem Song "A Prayer For Your Heart" mal wieder souverän die gesamte Bandbreite von der schwarzledernen Gothdomina bis hin zur züchtigen Klosterschülerin.
Die Texte sind überwiegend ebenso schwer erträglich. "Aus dem Koma meiner Seele gibt es keine Türe ins Licht; keine frische Luft, die meinen Geist umspielt. (...) Ich steige auf zum Himmel und verliere mich im Himmel". Wolff betont ja gern und oft, dass ihm das Gefühl bei den Lyrics wichtiger ist als die Regeln der Poesie.
Das nützt nur leider nichts, wenn das Ergebnis nicht mehr als Stilmittel durchgeht, sondern eher nach dichterischem Unvermögen aussieht. Vergewaltigende Germanismen wie "I was blind for what I saw. I was deaf for what I heard" setzen der textlichen Hausmannskost die ungenießbare Krone auf.
Insgesamt ist das Album kompositorisch absolut hochklassig, klebt aber gleichzeitig mit Gesang und Sprache in der Kreisliga. Treffend verkündet Wolff in "Alles Unter Schmerzen": "Chance vertan; Bemerkung verschenkt." Wer darüber hinwegsehen kann, darf sich dennoch trefflich unterhalten fühlen.
19 Kommentare
Kompositorisch hochklassig, Gesang und Sprache in der Kreisliga.
Besser könnte man es wirklich nicht zusammenfassen
Zitat (« Die erkennbaren Parallelen zu dem legendär schief schmetternden poetischen Untalent eines Kaiser Nero von Rom geraten am Ende aber doch allzu abschreckend. »):
Ja, der Tilo. Klingt aber nach einem durchaus interessanten Album.
das ist es in tat.
bei mehrfachem hören kommen die songs musikalisch gut an.
...am liebsten würde ich diesen mann "komm mal klar"-artig rütteln und schütteln, bis ihm ein licht aufgehrt, dass die eigene mit kopf und herz aufgebaute kunst nicht stets mit dem hinterteil wieder zum einsturz gebracht wird.
genau; hier ist es leider umgekehrt
@mosconi (« lou reed behauptet auch nicht er könnte singen aber er machts verdammt gut »):
überhaupt Lou Reed in nem Lacrimosa fred nennen
-Banause
nun frag ich mich aber auch, was ich hier eigentlich mache..... und wech
lacrimosa.....ein wort aus (für mich) längst vergangener zeit. hab ich früher gerne gehört, kann ich mir heute absolut gar nicht mehr geben.