laut.de-Kritik

Lyrisch erwachsenes Werk mit einigen Schönheitsfehlern.

Review von

Das Berliner Frauenensemble Laing um Sängerin, Songwriterin und Produzentin Nicola Rost erreichte vor knapp sechs Jahren mit "Morgens Immer Müde" beim Bundesvision Song Contest auf einem beachtlichen zweiten Platz. Mit ihren ersten beiden Alben "Paradies Naiv" (2013) und "Wechselt Die Beleuchtung" (2014) fand die Gruppe musikalisch zwischen Electro-Pop, Soul und Chanson eine eigene Nische. Für "Fotogena" ließ sie sich lange Zeit, was sich im Großen und Ganzen positiv auf das Album auswirkt.

So erwies sich das hohe Pensum an Liveshows, Interview-Terminen und Produktion für die einzelnen Mitglieder des Ensembles als große Belastung. Dementsprechend zogen sie sich 2015 aus der Musikbranche zurück. Josefine Werner stieg als Background-Sängerin bei den Berlinern ein. Larissa Pesch warf dagegen das Handtuch.

Außerdem fehlten Nicola Rost die notwendigen finanziellen Mittel, um Laing-Album Nummer drei aufzunehmen. Schließlich bekam sie im September 2017 ein Angebot, den Soundtrack zum Film "Safari- Match Me You Can" zu komponieren. Dadurch sammelte sie frische Ideen für die Scheibe, die zwei Songs des Scores ("Unberechenbar", "Puzzle") enthält. Darüber hinaus drängte die Plattenfirma darauf, sie parallel zum Film zu veröffentlichen. Laing besaßen also nur ein Jahr Zeit, sie fertigzustellen.

Aus diesem Grund haben es einige spontane Ideen auf das Werk geschafft, die höchstwahrscheinlich bei den Fans gespaltene Reaktionen hervor rufen. In der ersten Single "Nieselregen" singt Rost etwa mit hochgepitchter, vergrämter Männerstimme über das schlechte Wetter in Berlin. Letztlich hatte sie hörbar Spaß, mit den Erwartungshaltungen zu brechen, erklärte sie kürzlich in einem Interview für das Online-Magazin MusikBlog. Daher sollte man als Hörer den gewöhnungsbedürftigen Track, der überhaupt nicht ins Format-Radio passt, mit einem ironischen Augenzwinkern betrachten.

Trotzdem bleibt die Gruppe mit "Fotogena" nach wie vor ihrer bisherigen Linie treu. Mit "Du Bist Dir Nicht Mehr Sicher" verfügt die Scheibe über eine weitere Single-Auskopplung, die mit dynamischer Bass-Arbeit, strahlenden Synth-Akkorden und mehrstimmigen Soul-Gesängen nicht weniger eingängig klingt als "Morgens Immer Müde". Umso melancholischer fällt der Text aus. Er handelt davon, sich zu sehr für eine Beziehung aufzuopfern, für die es sich im Grunde genommen kaum noch zu kämpfen lohnt.

Zumindest aus lyrischer Sicht macht das Album, das zumeist verschiedene Gefühle von Euphorie ("Unberechenbar", "Hoch Ist Die Richtige Richtung") bis Selbstzweifel ("Meine Sprache", "Organspende") thematisiert, zwischen Leichtfüßigkeit und Nachdenklichkeit nicht alles, aber vieles richtig. Ebenso befasst sich Rost in ihren Texten auf der Platte mit der Generation Social Media, ohne mit erhobenem Zeigefinger zu agieren.

Deswegen bezeichnet sie im souligen Eröffnungsstück "Camera" Menschen, die sich eine eigene virtuelle Persönlichkeit errichten, als "Fotogeno" und "Fotogena". Somit betont sie die Bild-Dominanz im Netz. Instagram und Co. zeigen ein makelloses virtuelles Ich, lassen jedoch nur wenig hinter die menschliche Fassade blicken. In einer persönlichen Märchenwelt lebt es sich nicht prinzipiell schlecht. Andererseits führt diese zu einer zunehmenden Vereinsamung. Um diese zwiespältige Problematik kreist der Song.

Die Sängerin möchte demnach gar nicht ihren Hörern in sozialpädagogischer Hirnwäsche-Manier im Stile Julia Engelmanns bequeme Lösungsansätze anbieten. Vielmehr lassen sich viele Zeilen je nach individueller Betrachtungsweise unterschiedlich deuten.

Ohnehin geizt die Platte nicht mit gelungenen Wortspielen, die Laing seit jeher ausmachen. In "Uhr", das die naive Melodie von "Wer Hat An Der Uhr Gedreht?" in ein nebliges, verhangenes Sound-Kleid einhüllt, durchzogen von einer süßen Glockenmelodie, heißt es: "Das Leben lockt mit tausend neuen Wellen, doch tausend Jahre wird man leider selten." Dass einem zu wenig Zeit zur Verfügung steht, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die Freiheit und Unabhängigkeit mit sich bringen, fasst Rost in der Nummer auf poetisch-bildhafte Weise zusammen. Wie man mit dieser Situation schlussendlich umgeht, überlässt sie zum Glück ihren Hörern.

Bedauerlicherweise hält die Musik mit der inhaltlichen Ebene, die weit über simple Befindlichkeiten und Oberflächlichkeiten hinausgeht, häufig nicht mit. Das funkige "Hol Den Wagen" rauscht trotz harmonischer Backgroundgesänge geradeaus in die melodische Ödnis. Demgegenüber wirkt der jubilierende Refrain in "Unberechenbar" wie ein müder Christina-Stürmer-Abklatsch, nur ohne Gitarren. Genauso ärgerlich gestaltet sich das hymnenhafte, dafür inhaltlich wenig aussagekräftige Stück "Hoch Ist Die Richtige Richtung", das zu sehr im Menschen-Leben-Tanzen-Welt-Fahrwasser à la Matthias Schweighöfer und Tim Bendzko mitschwimmt Das hat die Truppe alles andere als nötig.

Insgesamt geht "Fotogena" als überzeugend durch, wenn man über einige Schönheitsfehler hinweg sieht. Gerade den Lyrics auf dem Album haftet zumeist etwas überaus Erwachsenes an. Demnach schielen Laing mit der Scheibe nicht vordergründig auf die Verkaufszahlen. Kreativität scheint den Berlinern mittlerweile wichtiger zu sein. Für die noch folgende Deutschlandtournee dürften sie sich ohnehin die ein oder andere Überraschung ausgedacht haben.

Trackliste

  1. 1. Camera
  2. 2. Du Bist Dir Nicht Mehr Sicher
  3. 3. Nein
  4. 4. Hol Den Wagen
  5. 5. Meine Sprache
  6. 6. Unberechenbar
  7. 7. Ich Auf Whatsapp
  8. 8. Nieselregen
  9. 9. Hoch Ist Die Richtige Richtung
  10. 10. Puzzle
  11. 11. Organspende
  12. 12. Uhr
  13. 13. Ende

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