laut.de-Kritik

Deep-souliger Soundtrack einer Flucht.

Review von

Dumpfes Kontrabass-Brummen, dezente Saxophon-Akzente, elektronisches funky Fiepen – so eröffnet Leslie Odom junior mit Jazz-Feeling und modernem Sound sein Album. "Mr." heißt es ganz kurz. Im ersten Song "Stronger Magic" hört sich der Text nach "Sugar Magic" an, und musikalisch fühlt man sich an den "Sugar Man" Sixto Rodriguez erinnert. Womöglich weil auch hier eine historische Film-Story hinter dem Album lauert; es ist ein Soundtrack. Anders als bei Rodriguez stecken keine Folkanteile in dieser Art Soul drin, aber auch hier hören wir etwas Vermischtes, Fusioniertes. Und noch ein Unterschied: Der Musiker stellt vor der Kamera nicht sich selbst dar; seine Rolle ist die des Anti-Sklaverei-Aktivisten und Geschäftsmannes William Still.

Leslies Musik zeigt sich etwa in den Songs "Standards" und "Hummingbird" klassisch am Bebop geschult, und andererseits spielt viel heutiger R'n'B, wie man ihn seit den 90ern macht, hinein. Das Überkandidelte und Bläserbetonte der klassischen Blaxploitation-Soundtracks fehlt hier, und doch könnte man sagen: Dies ist eine moderne Blaxploitation-Produktion. Der Film zum Album spielt im Milieu der sozial Benachteiligten und er baut massiv auf Musik auf.

Im Januar 2020 fiel der Spielfilm "Queen & Slim", eine Geschichte aus der Jetztzeit, mit einem neuen Song von Lauryn Hill auf. Im April kommt nun die Flucht-Story "Harriet" in die Kinos und richtet sich wohl an ein ähnliches Publikum. Eine Flüchtlingshelfer-Story ist der Aufhänger, was ja auch wieder aktuellen Bezug hat.

Der Film und sein Soundtrack spielen in den USA zu Zeiten des Bürgerkriegs, 1861 bis '65. Harriet, die Hauptfigur, hilft Sklavinnen und Sklaven bei ihrer Flucht aus den Haushalten, in denen sie 'gehalten' wurden. Aus denen sie manchmal weiterverkauft wurden, "in America where we think, everything is for sale", wie der Sänger hier in "Remember Black" vorträgt.

"Sklavenfänger" (Slavecatchers) waren eine Gefahr für die Flüchtenden, denn diese waren gegen Honorar darauf aus, sie wieder einzufangen, und die Sklav*innen hatten keine Rechte, sich dagegen zu wehren. Dass Musik den Entrechteten Kraft gab, betont Leslie auch in einem der Songtexte: "Ich brauche Musik, um dich zu hören / erinnere mich mit Musik daran, wie viel wir empfinden können."

Einige Vocals und Background-Vocals und deren Wechselspiel deuten an, dass sich Film-Dialoge in der Musik spiegeln. Den Film braucht man nun nicht, um die kurzen, pointierten Songs zu schätzen zu wissen. Die Qualität des Ganzen darf sich "anmutig" und "erhaben" nennen. Fettester Raumklang, präzise Bläser und eine sichere Charakter-Stimme sorgen für perfekte Unterhaltung.

Tatsächlich hat sich ein Major-Label sogar an diesen angejazzten Sound herangetraut. Hit-Potential und eine lebhafte Stimmung kann man dieser karibisch-amerikanischen Mixtur schon attestieren - Bruno Mars hatte ja auch in den Charts gezündet.

Wer Aloe Blacc und auch seine gelegentlichen Ausflüge in den Latin-Sektor mag, kann bei "Go Crazy" mitgehen. Eine Prise Salsa trifft hier auf die Soul-Vocals des sehr starken, präsenten Sängers Leslie Odom junior.

Stimmlich hat er diverse Höhen und Tiefen drauf. Sein helles, schmirgelndes, bettelndes Raunen in "Under Pressure" kontrastiert die Band mit hektischen Streichern, einem engelsgleichen Background-Chor und donnernden Piano-Beats. Eine Stufe tiefer in der Vokal-Skala gibt es Falsett-Lage in "U R My Everything", einem modernen R'n'B-Titel. Viele Songs zeigen aber auch einen tiefer tönenden Leslie. Modulieren kann er seine Stimme wie ein Schauspieler, was er ja auch ist. Das macht es spannend, ihm zuzuhören.

So sehr manche Tracks in der Mitte des Soundtracks in seichte Gefilde abtauchen - glaubhaft wird da schon, dass Leslie Odom Jr. eben seinen eigenen eklektischen Geschmack hier abbildet: "Ich dachte an all die Alben zurück, die mich in meinem Leben geprägt hatten und überlegte, was sie zu etwas Besonderem machte. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass alle sowohl etwas Altes als auch etwas Neues enthalten." Die Verbindung klassischen Souls der Black Power-Bewegung mit zeitgemäßen Klangfarben, mit altem Jazz und mit Rhythmen des heutigen, von Migration geprägten, Amerikas, erhebt "Mr." zu einem total spannenden Album.

Trackliste

  1. 1. Stronger Magic
  2. 2. Standards
  3. 3. Go Crazy
  4. 4. U R My Everything
  5. 5. Under Pressure
  6. 6. Cold
  7. 7. Lose It
  8. 8. Eva's Song (A Psalm Of Life)
  9. 9. Foggy
  10. 10. Entr'acte (The Joyful Messenger)
  11. 11. Hummingbird
  12. 12. Remember Black
  13. 13. Freedom

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