laut.de-Kritik
Eine der besten Post-Oasis-Platten eines Gallagher-Bruders.
Review von Andreas BättigEin Liam Gallagher duldet keine Mittelmäßigkeit. Das machte der Ex-Oasis-Sänger vor wenigen Tagen in einem Interview klar. Sollte nämlich sein Album "As You Were" schlecht ankommen, werde er seine Solokarriere sofort beenden, hielt er fest. Wenn die Leute sein Zeug nicht mehr wollen, sehe er keinen Grund, ihnen noch mehr davon in den Rachen zu stopfen. Dass das nicht nur leere Worte sind, hat Liam bei seiner früheren Combo Beady Eye schon bewiesen. Als nach zwei Flop-Alben der große Erfolg ausblieb, löste der Gallagher die Band kurzerhand auf.
Ist also "As You Were" der Geburtshelfer oder der Totengräber von Liam Gallaghers Solokarriere? Hebammen aller Länder, vereinigt euch, hier wird ein großer Brocken geboren. Das Album ist eines der besten Post-Oasis-Alben eines Gallagher-Brudes. Doch wie zum Teufel hat Liam das hingekriegt?
Eine Antwort auf diese Frage gibt der Text "Champagne Supernova - 72 Stunden mit Liam Gallagher" von Jonathan Heaf, erschienen in der britischen und der deutschen Oktober-Ausgabe des Magazins GQ. Heaf begleitete Liam diesen Sommer auf seiner kleinen Solo-Tour durch England und Irland, folgte ihm in die Garderobe, führte lange Gespräche in Restaurants. In seiner Reportage blickte der Reporter so hinter die oft blasiert wirkende Fassade.
Heaf machte von Anfang an klar: Entweder erzählst du mir deine ganze Geschichte - auch die über den Streit mit deinem Bruder - oder ich bin nicht an der Story interessiert. "Ich will mit ihm über seine zwei Ex-Frauen und seine vier Kinder sprechen. Über Wiedergeburt. Über Erlösung. Über Gott, die Erschaffung des Universums, Engel und - wieso denn auch nicht - über seine wahnsinnigen Augenbrauen", schreibt der Autor nicht unbescheiden in seinem Artikel. Das kam offenbar an.
Jedenfalls redet Liam erstaunlich offen über sein Verhältnis oder eben Nicht-Verhältnis zu seinen vier Kindern. Oder er nimmt beim Thema Drogen kein Blatt vor den Mund ("Meine Drogenhölle erlebte ich so mit 15, da bin ich rumgerannt wie Pac-Man und hab Massen von Pilzen in mich reingestopft"). Und natürlich ist die Fehde mit Bruder Noel, mit all ihren Absurditäten, das große Thema. Ob er seinem Bruder wirklich eine Gitarre über den Schädel gezogen habe, will Heaf von Liam wissen. "Okay, es flog eine Gitarre, aber nur, weil er meine zuerst durch den Raum gekickt hat", gibt Liam zu. Er neige aber ansonsten nicht zu Gewalt und schon gar nicht gegenüber seinem Bruder. "Ich liebe ihn, Scheiße nochmal."
Warum ist dieser Text von Heaf in Bezug auf "As You Were" so wichtig? Weil wir auf diesem Album einem Liam zuhören, so wie ihn Heaf in den 72 Stunden erlebt hat: einem, der sich öffnet. Emotionen zeigt Liam beispielsweise beim Song "For What It's Worth", wenn er singt: "In my defence all my intentions were good / And heaven holds a place somewhere for the misunderstood / You know I'd give you blood if it'd be enough / Devil's on my doorstep since the day I was born / It's hard to find a sunset in the eye of a storm / But I'm a dreamer by design and I know in time we'll put this behind." Eine feinfühlig komponierte Ballade bei der Liam, begleitet von dezenten Gitarren, viel Gefühl in seine Stimme legt.
Auffallend ist, wie klar und frisch der Gesang auf der ganzen Platte klingt. Die Zeiten, in denen der Oasis-Sänger die Songzeilen aus sich herauspresste, scheinen vorbei zu sein. Kein Wunder, musste er in der Vergangenheit des öfteren Konzerte wegen angeblicher Stimmprobleme abbrechen. Dass der raue Liam-Gesang auf "As You Were" fehlt, macht jedoch nichts. Seine klare Stimme hat an Charakter nichts eingebüßt und passt noch immer auch zu den aufwändig produzierten Hits.
Dazu zählt zum Beispiel "You Better Run". Ein Fuß-Stampfer, der ordentlich nach vorne geht und den Vergleich mit großen Oasis-Hits nicht scheuen muss. Das ist nicht der einzige Song in der Oasis-Liga. Sei es das rock'n'roll-eske "Greedy Soul", bei dem der Bass dunkel brummt, das wunderschön schunkelnde "When I'm In Need", das verspielte "Chinatown", in dem Liam alles aus seiner Stimme herausholt oder der Opener "Wall Of Glass", bei dem die Gitarren so arschcool schrauben wie bei einem Gallagher schon lange nicht mehr.
Dass Liams neue Platte nicht zu einem Beady Eye-Rohrkrepierer wurde, sondern zu einem soliden Britpop-Werk, hat er wohl den Produzenten Dan Grech-Marguerat (Radiohead, Mumford and Sons) und Greg Kurstin (Adele, Foo Fighters) zu verdanken. Letzterer griff Liam als Co-Songschreiber kräftig unter die Arme. Liam selber beschreibt sein Songwriting nämlich so: "Es ist eher so der Frankenstein-Ansatz. Aber ich vermute mal, jeder hat so seinen Weg. Selbst Paul McCartney setzte sich nicht einfach hin und schrieb auf Anhieb 'Hey Jude'."
Natürlich konnte das Schlitzohr Gallagher es aber auch nicht lassen, sich schamlos bei alten Oasis-Hits zu bedienen. Oder wer fühlt sich beim sphärischen und psychedelischen "I've All I Need" in den ersten Sekunden nicht gleich an "Champagne Supernova" erinnert? Nach gut einer Minute nimmt das Stück jedoch eine andere Umlaufbahn und gleitet sanft in einen seichten, aber durchaus eingängigen Radio-Pop-Refrain. Auch die Beatles waren für Liam wieder einmal mehr als nur eine Inspirationsquelle. Oder, wie Liam selbst sagt, er habe einen "Lennon-kalter-Entzugs-Vibe" gespürt.
Man darf gespannt sein, wie es mit Liam Gallagher weitergeht. Eine Versöhnung mit Noel und damit eine Oasis-Reunion scheint in weiter Ferne zu liegen, auch das brachte der Text von Jonathan Heaf deutlich zum Vorschein. Als dieser übrigens mit seiner Reportage fertig war, erinnerte er sich, dass Liam ihm während der Recherche sein Notizbuch abnahm, um selbst etwas hineinzukritzeln. Als Heaf später zu Hause nachsah, stand da in Liams prächtiger Großspurigkeit: "Kannst du dir eine Welt ohne Liam Gallagher vorstellen?" Nach dem Verlassen von Oasis und vor der Veröffentlichung von "As You Were" hätte man auf diese Frage mit "Definitely Maybe" antworten können. Jetzt muss die Antwort jedoch lauten: "Don't Go Away!"
15 Kommentare mit 13 Antworten
Und was könnte erfolgsversprechender sein, als die Frisur seines talentierteren Bruders zu kopieren?
würde gern zu diesem albung die meinung des lautusers hören.
Und ich die vom Genrefremdi
Gute Rezis für Mosi und Gallaghi, und trotzdem keine Rückkehr...was sollen wir denn sonst noch tun?
als wenn der lautuser da etwas beitragen könnte. der kennt doch von oasis maximal wonderwall. weiss noch wie er sich einst im chat verhaspelt hat und sämtliche blur klassiker oasis zuschrieb
Zum Glück hast Dus voll drauf, du Horst!
@sodi
Manchester oder Madrid. Hauptsache England
eben.
auch einem firstmover, der so dermaßen breit aufgestellt ist wie der lautuser, kann bei solch nebensächlichkeiten ein lapsus unterlaufen.das macht ihn doch nur menschlich.
und soweit lag er ja nun auch nicht daneben, sind schließlich beides britische bands und machen gitarrenpop, der sich vornehmlich am weibsvolk orientiert.
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Liam ist authentisch, bleibt bei sich. Bei seinem Bruder weiß ich inzwischen nicht, ob da hinter der Superstar-Attidüde nicht doch die Gosse lauert. Ich vermute bei Noel immer eine gekünstelte Kultiviertheit. Da sind mir Menschen wie Liam sympathischer. Seine Platte hat einen großen Vorteil gegenüber denen von Noel: Bei Noel weiß ich von Anfang an, wie der Song sich entwickelt bzw. sich nicht entwickelt: immer das gleiche Midtempo, immer die balladeske Gesangsform mit einer viel zu hellen, schwachen Stimme. Als "Abwechslung gibt es mal einen itstampf-Song. Gäääähn.... Bei Liam sind die Songs abwechslungsreicher, mit Breaks, mit einer Stimmbreite, die Liam als einem der besten Rocksänger zeigt. Das Dilemma von Oasis wird offensichtlich: Noel hat seit 1998 keine großen Songs mehr geschrieben, die Liam als Sänger wirklich gefordert hätten. Liam kann keine großen Songsschreiben und sucht sich dafür Master-Partner. Der richtige Weg, wie diese Platte zeigt.
gähn
4/5 für mich. Habe Liam live gesehen,.das war wirklich ROCK!! Im Gegensatz zum Bruder, der mich nur noch langweilt.