laut.de-Kritik
Tanzbare Mischung aus R'n'B, Pop, Blue Eyed Soul und Garage House.
Review von Toni HennigMit der Single "Thinking About His Baby" wagte sich Lisa Stansfield als Mitglied von Blue Zone 1988 als erste weiße Sängerin an R'n'B. Der Band gehörten ihr späterer Ehemann Ian Devaney und Andy Morris an, die nach der Veröffentlichung des Albums "Big Thing" ihr Solodebüt "Affection" produzierten und mit einspielten, das 1989 erschien. Darauf hörte man ein tanzbares Konglomerat aus R'n'B, Pop, Blue Eyed Soul und Garage House, durchzogen von eleganten Streichern und smoothen Vocals. Insgesamt setzte die Platte über fünf Millionen Einheiten ab. Die poppige Single "All Around The World" machte die 1966 in Manchester geborene Sängerin weltweit bekannt.
Der im November 1991 veröffentlichte Nachfolger "Real Love" behält diese einzigartige Mischung bei, geht aber noch mehr in die Tiefe. "Real Love" schrieb die Britin erneut zusammen mit Devaney und Morris, die auch wieder hinter den Reglern saßen und sich als Mitmusiker beteiligten. "Change" wirkt zunächst mit Streichern, House-Piano und dem emotionalen Gesang wie eine Kopie von "All Around The World", legt aber klangtechnisch schon die Fährte für die im Vergleich zu "Affection" wärmere und souligere Ausrichtung. Mit dem Saxofon-Solo in der Mitte kommt eine recht schwüle Note hinzu. Es soll der einzige Track auf diesem Werk bleiben, der sich ganz dem Pop verpflichtet.
Ansonsten tritt Stansfield vermehrt als Interpretin in Erscheinung, was die gefühlvollen Arrangements nur weiter verstärken. Auf einprägsame Momente muss man dennoch nicht verzichten. So wartet "Set Your Loving Free" mit einem eingängigen Refrain auf, der mit schmissigen Bläsern, Barry White-ähnlichen Streichern und kraftvollen Vocals für gute Laune sorgt. Zudem bringt die Gitarre noch ein wenig Funk ins Spiel. Die vernimmt man auch in "Soul Deep", das vom Sound etwas großräumiger angelegt ist, aber nicht minder zwingend ausfällt. "It's Got To Be Real" prägen vordergründig housige Töne. Soulige Power vermisst man dennoch nicht.
Textlich erfindet Lisa Stansfield das Soul und R'n'B-Rad sicherlich nicht neu, geht es doch um die ewige Liebe ("Real Love"), um Gefühlstiefe ("Soul Deep") oder um alte Jugenderinnerungen ("First Joy"), aber auch um Herzschmerz ("Symptoms Of Loneliness & Heartache"). Trotzdem geraten die Inhalte niemals zu oberflächlich. Vor allem "All Woman" besitzt eine Menge Empathie, wenn sich die Britin zu balladigen Klängen in Anlehnung an Gladys Knight in eine leidende Ehefrau hineinversetzt, die sich tagtäglich abmüht, aber auf ein kleines bisschen Liebe vergeblich wartet. Dank ihres flehenden und bittenden Gesangs der emotionalste und beste Track des Albums.
Größtenteils gibt sich Lisa Stansfield jedoch als hoffnungslose Romantikerin, aber aufgrund ihrer überaus souveränen Gesangsleistung, die jegliche Art von Kitsch leichtfüßig umschifft, taucht man immer wieder gerne in die Tiefen der Liebe ein.
In "I Will Be Waiting" schwebt etwa das Organ der Manchesterin so elegant über 90er-Jahre-R'n'B-Sounds und cineastischen Streichern, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres auf dieser Welt. In "Time To Make You Mine" steckt geradezu eine knisternde Erotik, wenn sie das Stück lasziv vor sich hinhaucht. Ihre emotionale Bandbreite als Sängerin stellt Lisa also eindrucksvoll unter Beweis, ohne die Lockerheit, die sie auf "Affection" versprühte, zu verlieren.
Auch die instrumentalen Details heben sich wohltuend vom Vorgänger ab. So begegnet man in "Symptoms Of Loneliness & Heartache" neben lässigen Dance-Tunes und Bläsern psychedelischen Flöten-Klängen im Stile Gil Scott-Herons. Mehr Innigkeit strahlen demgegenüber die kuscheligen Saiten-Sounds im Titelstück aus. Wenn man dazu noch eine überschwänglich gesungene Zeile wie "it's you and me, for eternity" vernimmt, gefolgt von märchenhaften Streichern, dann hat man den Glauben an die wahre Liebe noch nicht verloren. In "A Little More Love" brilliert gegen Ende wieder das Saxofon, während die Nummer mit gefühlsbetonter Leichtigkeit vor sich hingleitet. Der Kreis schließt sich.
Es bleibt eine Platte, die sich vor allem durch Authentizität und Eigencharakter von der souligen Konkurrenz in den 90ern absetzt. Trotzdem drohte danach, trotz der sehr guten Verkaufszahlen, der musikalische Stern von Lisa Stansfield zu sinken, auch weil nur wenige Monate später Annie Lennox mit "Diva" die Scheibe in klanglicher, gesanglicher und melodischer Hinsicht noch überragte. Andy Morris beteiligte sich nicht mehr an den wieder poppigeren Folgealben. Mit Ian Devaney arbeitet die Britin aber heute noch zusammen, weswegen sich ihre Musik als Familienunternehmen betrachten lässt. An der Erfolgsformel aus Soul und Pop halten die beiden nach wie vor fest, leider nicht immer zu Gunsten der Qualität, wie das letzte Studiowerk "Deeper" verdeutlicht.
Dabei hatte Lisa Stansfield auf dem Vorgänger "Seven" gezeigt, dass sie auch Jazz, Blues und klassischen 60s-Soul mühelos meistert und als Interpretin des James Bond-Titelsongs eine hervorragende Wahl wäre. Man hofft, dass sie ihre treue Fanbase, die sie sich über die Jahrzehnte in ihrer Heimat und auch hierzulande aufgebaut hat, noch einmal mit einer so vielseitigen Platte überrascht. Ein Album wie "Real Love", das auf die jüngere britische Soul- und R'n'B-Generation immer noch einen spürbaren Einfluss ausübt, wie man vor allem bei Jessie Ware hört, nimmt sie aber höchstwahrscheinlich nicht mehr auf.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
2 Kommentare
Tolle Musik von einer Sängerin mit einer sehr wundervollen Stimme. Völlig verdienter Meilenstein.
Das Debüt find ich aber noch einen Tacken besser.