laut.de-Kritik
Herzlich willkommen zur Geburt des Philosophic Metal.
Review von Ulf KubankeDer Herbst 2014 bringt für den Metal einen unerwarteten Schub kreativer Stilmixturen. Kurz nachdem Witch Mountain auf dem hervorragenden "Mobile Of Angels" Doom und Blues miteinander mischen, tauchen mit Lotus Thief gleich die nächsten Innovatoren auf. Gekonnt lässt das Duo aus San Francisco Doom und Black Metal mit Ambient und Pink Floyd-Psychedelic ineinander fließen. Ihr Debütalbum "Rervm" bietet sechs lange Tracks zwischen Lavalampe und Kreissäge.
Nun sind die Lotusdiebe nicht die allerersten, denen solche Ideen kommen. Bereits vor 20 Jahren haben die großartigen In The Woods einen ähnlichen Ansatz gefunden. Doch die sind längst Geschichte. Seitdem hat sich kaum jemand ernsthaft bemüht, die so unterschiedlichen Genres auf einen musikalischen Nenner zu bringen. Dem Paar aus Frisco gebührt somit der ehrenvolle Titel echten Pioniergeistes. Wer hat Lust auf wildes Gebolze und bleierne Walze im elegischen Soundmantel? Kein Problem! "Rervm" bietet beides, sowohl simultan als auch chronologisch aneinander gereiht.
Nebenbei möchten Lotus Thief auch dem Klischee dümmlicher Texte und satanischen Getues entkommen. Ihr erklärtes Ziel ist es, mit "Rervm" den Black Metal aus der festen Umklammerung des Okkultismus zu lösen. Götter, Teufel, Todesfurcht? Alles Quatsch für Otrebor und seine Gattin Bezaelith. Stattdessen hauen sie den Hörer in den anspruchsvollen Lyrics eine geballte Ladung Lucrez um die Ohren.
Fundament jeder einzelnen Zeile ist dessen Hauptwerk "De Rerum Natura" ("Von Der Natur Der Dinge"), in dem die Menschen durch eine Existenz treiben, die von den Göttern nur beobachtet und nicht beeinflusst werden kann. Entsprechend der sechs Unterteilungen von Lukrez handeln auch die sechs Songs von seinen epikureischen Kernthemen wie der Vergänglichkeit der Seele, der kosmischen Ordnung oder der Absage an die Todesfurcht. "Nothing from nothing ever yet was born!" Herzlich willkommen zur Geburt des Philosophic Metal.
Wem das alles zu akademisch ist, der kann sich auch getrost vom emotionalen Rausch dieser wahrlich fremdartigen Musik hinweg tragen lassen. Denn her regieren Gefühl und Leidenschaft. Otrebor hämmert auf die Trommeln ein, als ob es kein morgen gäbe. Derweil macht Bezaelith den ganzen Rest und kümmert sich um Gesang, Gitarren, Bass und Synthies. Dunkel und anmutig erhebt sich ihre Stimme und schichtet effektiv gerne auch mal mehrere Gesangsspuren übereinander.
"Discere Credas" etwa, glänzt mit herrlichem Kontrast zwischen ihrem schleppenden, sehr beladen wirkenden Gesang und einer fetten Ladung Space-Rock. Das wuchtige "Lvx" bietet demnach kosmisch strahlende Magma-Gitarren, die sich endlos ineinander schrauben. Zwischendurch schlägt eine vereinzelte Piano-Taste wie ein Anker ein, um gleich wieder im Treibsand of Sound zu versinken.
Mit dem treibenden Schluss-Track "Mortalis" liefern sich seine und ihre Vocals die finale Schlacht zwischen Gut und Böse. Mit UFO-Synthie und schick riffigen Sechssaitern, die im Verlauf des Liedes breitwändig ausfächern, klingt die gelungene Platte dann aus. Abstriche in der B-Note gibt es lediglich für die noch nicht ganz ausgereifte Produktion. Hier hört man, dass sie deutlich mehr Ideen zur Verfügung haben als Dollars für die Aufnahme. Aber das ist ja allemal besser als umgekehrt.
3 Kommentare mit 13 Antworten
Und es geht doch wieder um Naturrecht, Götterfurcht (Okkultismus und Satanismus sind auch nur Spielarten davon) und Todesangst - das Töpfchen, aus dem sich der Black Metal seit langem ausgiebig bedient.
Das Album hört sich musikalisch interessant an, aber dass mir dieses "wir haben eine intellektuelle Grundlage" so vehement ins Gesicht gedrückt wird, finde ich schon wieder abstoßend. Mal sehen, ob es als Post-BM-Album überzeugen kann.
PS: Saor - Aura anhören. So würde Summoning gerne klingen.
Und dieser Burzum erst. Ein bisschen abwegig ist dein Vergleich nun schon. Ich möchte ja nicht unken, aber es könnte an Genrefremdheit liegen. Nichts für ungut.
Was willst du mir jetzt genau sagen? Dass ein Vergleich zwischen Epikur und neoromantischem BM-Gedankengut aus der Luft gegriffen ist? Dann viel Spaß beim widerlegen.
Die haben weder musikalisch, noch inhaltlich wahnsinnig viel gemeinsam. Das ist alles. Mal davon abgesehen, dass die Aussage auch ziemlich provokant ist. "Aura" ist ziemlich gut, keine Frage, aber Summoning sind schon noch ein anderes Kaliber, vor dem man auch ein bisschen Respekt haben sollte. (Das mit Epikur versteh ich nicht, aber ist auch nicht wichtig.)
Da jetzt Respektlosigkeit rauszulesen ist schon arg mimosig, meine Güte. Wenn es dich beruhigt, ich wollte mehr Aura hervorheben als Summoning abwerten - die haben wirklich genug anerkannt gute Alben auf dem Buckel, als dass ich mit dem lapidaren Halbsatz daran rütteln könnte.
Habs quer gehört und finde es durchaus hörenswert. Nur das Schlagzeug mit den Blastparts knüppelt immer wieder die Stimmung nieder und vergällt einem das Vergnügen. Die Tante sollte ihren Göttergatten aufs Abstellgleis schieben, dann wird das noch was.
süß finde ich ja auch, dass die beiden als "botanist" (einem anderen bandprojekt der beiden), tatsächlich über pflanzen singen und ihren post-bm dort "green metal" nennen.
Botanist scheint er alleine zu stemmen. Von seiner Homepage: "The Botanist awaits the time of humanity's self-eradication, which will allow plants to make the Earth green once again".
Von daher singt er wohl nicht über Pflanzen, sondern dem Streben nach einem natürlichen "Urzustand". Rousseau, Romantik, retoure a la nature, in verschieden radikalen Ausprägungen auch hier wieder recht klassischer BM; Die Perspektive ist allerdings spannend.
Egal, ich werde Rervum die Tage mal anhören, Botanist eventuell auch.
Immer wenn ich Black-Metal in Verbindung mit Naturalismus, Urzustand etc. höre, klingeln bei mir die Alarmglocken.
Also bei jedem BM-Album? Dass die Szene textlich nicht gerade Blumen angrunzt ist jetzt nicht wirklich neu - wie weit man das mittragen möchte, ist mMn jedem Hörer selbst überlassen. Zwischen Kulturpessimismus und NSBM liegen allerdings Welten.
Jo. Halte den auch eher für nen harmlosen Spinner, der halt Bäume statt Bürger propagiert. Aus der (Sub)Szene kenn ich sowas ebenfalls gehäuft und ohne politisch-ideologisches Unterfutter.
@Tinco: Da liegen leider nicht immer nur "Welten" dazwischen. Oft gibt es da deutliche Annäherungs- oder sogar Überschneidungspunkte.
Wenn man wieder anfängt überall etwas "rechtes" reinzuinerpretieren, obwohl halt nix da ist.. Aber kennt ma ja..
Klar gibt es die und "Welten" ist für viele Fälle auch etwas übertrieben ausgedrückt; deswegen sage ich ja, dass das jeder mit sich selbst ausmachen muss. Ich kann hier nur meine Haltung wiedergeben: Wenn die Personen hinter der Band außerhalb der Musik nicht durch (rechts)radikale Aussagen oder Handlungen aufgefallen sind, ist mir generell wurscht, was die singen - solange ich ihnen ganz subjektiv abnehme, dass sie sich im künstlerischen Raum bewegen. Der Unterschied zwischem BM und NSBM ist oft die Trennung von Interpret und lyrischem Ich (oder wie auch immer man das in der Musikwelt nennt), von daher kann ich nur empfehlen, sehr reflektiert an BM-Texte/Bands generell heranzugehen - oder einfach nur das unverständliche Growlen anzuhören.
@Ana: Naja, im BM ist die Lage etwas anders, da muss man eher fragen, wo "rechts" anfängt und wie weit man die Texte mit künstlerischer Freiheit decken kann oder will. Grundsätzlich ist BM natürlich ein Gutmenschen-Alptraum (Hier passt dieser hässliche Begriff vielleicht sogar halbwegs).
Da ich hauptsächlich BM höre musst du mir da nichts erzählen Nur weil jemand Texte über Krieg schreibt oder über Nordische Götter etc. hat das mit rechts sein nicht wirklich was zu tun. Das ganze satanische Zeugs sowieso nicht.
Echte NSBM Bands versuchen ja auch nicht wirklich ihre Gesinnung zu verstecken.
Klar gibts dann auch welche in ner Grauzone, aber das sind echt ziemlich wenige.. Auch wenn die Antifa was anderes sagt